Geschichten

Bestatter: Nackt

Männer und Frauen unterscheiden sich ja vor allem dadurch, dass Frauen wesentlich geschickter sind.
Ich meine das jetzt nicht so in Bezug auf Erfindungen und das Einschrauben von Butangasdübeln, aber beispielsweise was Kleidung anbetrifft, da haben uns Männern die Frauen ganz klar etwas voraus.
Gut, es gibt Frauen, die können auch Butangasdübel eindrehen und es gibt Männer, die was von Klamotten verstehen. Man mag mich steinigen, aber diese folgende Erkenntnis beruht auf 56 Jahren Beobachtung: Erstere spielen meist auch Fußball und zweitere lackieren sich hin und wieder auch die Fußnägel.
Okay, genug Unmut erzeugt, es geht um etwas anderes:

In meinem Bühnenprogramm stelle ich manchmal die Frage, wem von den anwesenden Männern die Frau morgens die Klamotten rauslegt. Meistens zeigt nur ein einsamer Mann auf, aber so an die zwanzig Frauen deuten auf ihre Männer.
Und wenn ich ehrlich bin: Das ist auch gut so.

Vielen Männern mangelt es einfach an Geschmack. Anders sind Socken in Sandalen und bunte Bermudas nicht zu erklären.
Vor allem aber würden Männer ja eher sterben, als ihre Lieblingshose zum Waschen herauszurücken. Es ist diese eine Hose, diese bequeme, die schon so schön die Form von Hintern und Beinen angenommen hat, nur sie vermag uns wirklich angenehm zu kleiden. Wobei die Betonung auf angenehm liegt, wie sie aussieht, das ist doch mal sowas von schietegal!

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Ich selbst bin mit einer Frau geschlagen gesegnet, die selbst genug damit zu tun hat, das Passende für sich herauszulegen und in Ermangelung von Zeit, Lust und männerkleidungsgeeignetem Geschmack entzieht sich dieses Haderweib seit Jahren ihrer Verpflichtung, mir was rauszulegen. Ich glaube, darauf hat man als Mann irgendwie auf dem Standesamt einen Anspruch erworben.

Also habe ich mir einen universal geeigneten Kleidungsstil angeeignet und trage Kleidung in allen möglichen Farben. Gemeinsames Merkmal all dieser Farben ist es, daß es Schwarz sein muß.
Das macht schlank, man sieht nicht jeden Fleck darauf und man kann Schwarz unheimlich gut mit Schwarz kombinieren.

Da muß ich mir auch nichts raussuchen, da greife ich morgens blind in den Schrank.
Und wenn ich in den Schrank greife, dann ziehe ich immer auch Unterhosen und ein Paar Socken mit raus.
Das hat mich schon meine Mutter in der Kindheit gelehrt: Man(n) muß immer saubere Unterhosen tragen, falls mal was passiert.
Ja, es ging nicht um Hygiene oder schlechte Gerüche, es ging nur darum, daß man, wenn man beispielsweise überfahren oder von einem Kugelblitz getroffen wird, auf der Rettungstrage wenigstens saubere Unterhosen anhat, um die Mama nicht zu blamieren.

Ich bin also eines Tages gerade dabei, im Büro unterhalb der Fluxkompensatordose einen Butangasdübel einzudrehen, da kommt Frau Büser herein und kündet von der Anwesenheit einer Kundin.
Die ältere Dame sitzt im Beratungszimmer und knetet ein Papiertaschentuch so intensiv, daß schon Papierflocken herabfallen.

„Mein Mann ist tot.“

„Beileid…“

„Ach, der war ja schon alt (Pause) – und ziemlich nutzlos.“

Was soll man auf so eine Äußerung hin sagen?
Ich ignoriere den Satz und bespreche mit Frau Kruse, so hieß die alte Dame, den Ablauf der Beerdigung ihres Mannes.

„Sind Sie dann am Grab dabei?“, fragt sie.

Ich nicke: „Natürlich, ich bin von Anfang an dabei und notfalls immer in der Nähe.“

„Ach, das ist aber beruhigend. Wissen Sie, mein Mann ist ja vorher noch nie gestorben, ich kenne mich da nicht so aus.“

Wieder nicke ich und will fortfahren, da beugt sich die alte Dame etwas vor, krümelt ein paar Papierflöckchen auf den Tisch und winkt mich mit dem Zeigefinder etwas näher zu sich heran.

„Sie, wenn Sie dann zur Beerdigung kommen, dann haben Sie aber bitte frische Unterhosen an, oder?“

Ich muß schlucken. Unwillkürlich beginne ich zu schnuppern wie ein scheues Reh und meine Nasenlöcher flattern.
Rieche ich merkwürdig? Habe ich Flecken im Schritt?

Erst vor ein paar Wochen habe ich mich mit etwas Büchsenmilch bekleckert. Und Büchsenmilch am Hosenlatz: Das glaubt Dir kein Mensch, dass das Kaffeesahne war!

Die Frau ist weg, ich bin allein in meinem Büro, als Frau Büser recht unvermittelt eintritt und mich in einer höchst merkwürdigen Position vorfindet.
Wie diese Position aussieht, kann ich nicht beschreiben, aber sie diente dazu, mir selbst in den Schritt zu schauen und eine Riechprobe zu nehmen.

Frau Büser grinst und meint: „Gar keine schlechte Idee, in Ihrem Alter noch mit Yoga anzufangen.“

Das Ergebnis meiner Bemühungen ist eindeutig, meine Hose ist nicht fleckig und ich rieche selbst an ungewöhnlichen Stellen nach Rasierwasser.

Am nächsten Tag ist Frau Kruse wieder bei mir im Bestattungshaus. Sie bringt die Kleidung für ihren Mann vorbei. „Da ist auch ne frische Unterhose dabei. Sie wissen ja, wie wichtig frische Unterhosen sind?“

„Ja klar, weiß ich das.“

„Sie ziehen doch auch jeden Morgen eine frische Unterhose an, nicht wahr?“

„Aber selbstverständlich, manchmal wechsele ich sie mittags auch noch mal…“

„So ist es recht, mein Junge“, sagt Frau Kruse und streichelt mir über den Kopf, dann zieht sie kurz an meinem Ohrläppchen und sagt grinsend: „Und nicht mogeln!“

Ja, ich gebe es zu, die Frau ist etwas dement. Ihre Tochter sagt mir am Telefon, die Mama sei zwar ein bißchen gaga, aber könne ihren Tagesablauf noch komplett selbständig regeln. „Da brauchen Sie keine Angst zu haben, das ist nur so altersgaga, so richtig verkalkt ist die noch lange nicht.“

Jau.

Es kommt der Tag der Beerdigung. Ein freier Trauerprediger hält die Andacht in der Friedhofskapelle.
Auf besonderen Wunsch von Frau Kruse spielt der Organist „Hoch auf dem gelben Wagen“, das Lieblingslied des Verstorbenen.
Nach diesem Lied soll der Trauerprediger noch ein, zwei Sätze sagen, dann wird der Sarg hinausgefahren.

Doch es kommt anders.
Als er seine Worte gesprochen hat und zur Witwe in der ersten Reihe geht, um ihr zu kondolieren, ergreift Frau Kruse seine Hand. Sie zieht sich hoch und geht nach vorne ans Rednerpult.

„Der Hans ist tot“, sagt sie und fährt mit den mir unvergesslichen Worten fort: „Und unser Bestatter hat frische Unterhosen an – und darunter ist er nackt.“

Stimmt ja alles. Nur hat es mich schon gestört, daß von dieser Sekunde an, ja selbst in dem Moment als der Sarg ins Grab gelassen wird, alle Blicke nur auf mich gerichtet sind.

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    #frau #frauen #männer

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