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BILD und die Experten: Ahnungslos

Vorne raus

Ein Seniorenheim ist eine Wohnstätte für alte Menschen. Früher sagte man Altenheim. Bessere Unterkünfte heißen Seniorenresidenz. In solchen Wohnheimen leben also alte Menschen, vorwiegend solche, die allein nicht mehr zurechtkommen können oder möchten.

Oft sind auch Pflegeabteilungen angeschlossen für diejenigen, die am Ende ihres Lebens komplett versorgt werden müssen.

Seniorenheime verlieren in den seltensten Fällen ihre Bewohner, weil diese wegziehen, in den meisten Fällen sterben die Leute und verlassen das Heim auf der Trage eines Bestatters oder in einem Sarg.
Fehlt morgens einer beim Frühstück, dann wissen die anderen meist schon, was los ist.

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Jeder, der dort lebt, weiß, dass das in gewisser Weise die Endstation ist. Der Tod ist dort gegenwärtiger als sonst wo, abgesehen mal vom Friedhof.
So ist für die Bewohner der Seniorenheime der Anblick eines Sarges oder die Begegnung mit Bestattern nichts Ungewöhnliches. Wenn ein Leichenwagen vor dem Haus parkt, ist das kein Aufreger.

raus

Wer so lebt, und das trifft wahrscheinlich auch auf viele andere alte Menschen zu, macht sich keine blumigen Illusionen über die Endlichkeit. Ja, viele haben sogar ein ganz besonders entspanntes Verhältnis zum Tod.

Umso unverständlicher war der neulich in der BILD erschienene Aufregerartikel über die vermeintlich makabre Sensation, dass zwei Bestatter einen Sarg durch den Speisesaal transportieren mussten, während die alten Herrschaften beim Mittagessen saßen.
Nicht schön, aber vielleicht unumgänglich, wer weiß? Die genauen Hintergründe und die Örtlichkeiten sind mir/uns nicht bekannt.

Nun legt die BILD nach und fragt, ob denn so etwas auch bei uns in Deutschland passieren könnte. Und sie fragt den obersten Bestatterverbandschefvorsitzenden und einen Senioreneinrichtungsverbandsvorsitzenden. Aber lest mal selbst:

Bild Zeitung Warnung

Kann SO etwas auch in Deutschland passieren?

Sarg mit Leiche durch vollen Speisesaal gekarrt

Das sagen Experten über den unglaublichen Vorfall in Salzburg

Ein Sarg wird zur Mittagszeit durch den vollen Speisesaal in einem Seniorenheim gekarrt. Unvorstellbar?
Könnte so eine geschmacklose Aktion auch in Deutschland stattfinden?

Nein, auf keinen Fall! Sagt Stephan Neuser, Generalsekretär des Bundesverbands Deutscher Bestatter, zu BILD: „Der fachgerechte und pietätvolle Umgang mit Verstorbenen ist ein wichtiger Bereich innerhalb der Berufsausbildung in Deutschland. Hierauf ist gerade bei der Abholung am Sterbeort verstärkt zu achten.“
Bedeutet: „Im Rahmen der … Ausbildung … wird die fachgerechte … Abholung am Sterbeort praktisch und theoretisch erlernt.“

Professor Alexander Schraml, Vorsitzender des Bundesverbandes der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen, sagt zu BILD: „Der Vorgang ist natürlich unwürdig und zu verurteilen. Er bleibt hoffentlich ein Einzelfall.“ Es sei von großer Bedeutung, dass die verstorbenen Menschen würdig aus der Einrichtung gebracht werden. „Und das am besten über den Haupteingang, so wie sie das Pflegeheim auch betreten haben. Und nicht auf dem ‚Entsorgungsweg‘ über die Hintertür“, so der Professor.

gekürzt u. sinngemäß nach BILD

Kommentar eines Bestatters per Mail: „So ein Schwachsinn!“
Und ein anderer Kollege schrieb: „Die haben keinen blassen Schimmer von der Realität!“
Ja, eine Pflegeassistentin sagte mir heute Morgen: „Absolute Ahnungslosigkeit fernab der Wirklichkeit.“

Was ist denn die Realität?

Die Realität sieht so aus: Du kommst als Bestatter in ein Altenheim, um Frau B. aus Zimmer 209 abzuholen. Zimmer 209 ist ein Doppelzimmer. In dem einen Bett liegt Frau B. Ihr Mund ist grotesk weit aufgerissen, ihre toten Augen starren an die Decke. Ein trübdunstiger Geruch von Leiche liegt in der Luft. Draußen sind es frühlingshafte 23 Grad. Die Frau ist irgendwann nachts gestorben, der Arzt hatte erst um 11 Uhr vormittags Zeit und jetzt ist es 14 Uhr.
Auf dem anderen Bett sitzt eine alte Dame, die unverwandt auf einen Fernseher schaut, auf dem eine Kochshow läuft. Sie isst von einem Dreikammerteller aus Plastik mit einem Kunststofflöffel einen Brei, der aus dem durchgedrehten Mittagessen der anderen besteht. Schweinebraten mit Leipziger Allerlei und Kartoffeln. Das steht auf dem Kärtchen auf dem Tablett. Alles zusammenpüriert. Denn auf dem Zettel steht auch noch: „Schwerschlucker“. Achtung: Da ist kein T in dem Wort Schwerschlucker.

Teilnahmslos schaut die Essende gelegentlich zun uns herüber, als wir Frau B. für die Trage fertig machen. Und dann geht es mit der Fahrtrage durch den großen Raum, der gleichzeitig Fernsehraum und Speisesaal ist. Dort sitzen immer Leute. Immer!

Wenn überhaupt jemand von uns Notiz nimmt, dann höchstens aus Neugier, weil man gerne wüsste, wen es dieses Mal erwischt hat.

Das ist Normalität in diesem Heim und die Heimleitung achtet penibel darauf, dass der Bestatter nach dem Anruf auch schnell kommt, sonst stornieren die das und rufen jemand anders.

In einem anderen Heim dürfen wir nur nachts abholen. Die Verstorbenen werden vom Pflegepersonal in den Keller in einen größeren Abstellraum gebracht. Das machen die mit fahrbaren Pflegebetten.
Abholen dürfen wir nur nach 22 Uhr, wenn alles schläft. Nur über den Hof, nur durch die Hintertür. Wehe, wir kommen am anderen Tag noch mal mit dem Bestattungswagen, um Papiere oder persönliche Sachen abzuholen! Das muss immer mit einem neutralen Auto passieren oder auch wieder nur über den Hof.
Auf keinen Fall sollen die Alten durch den Anblick eines Leichenwagens verstört werden, heißt es.

Und auch sonst hat Deine Ausbildung als Bestatter überhaupt keine Auswirkungen auf das Prozedere. Das hat nichts damit zu tun, ob Du Mitglied in irgendeinem Verband bist, irgendeine Zertifizierung hast oder sonst was. Du bist auf die Gepflogenheiten angewiesen, die in diesem Heim vorherrschen oder auf das, was Dir von der Heimleitung vorgegeben wird. Da läuft doch keiner aus Spaß mit ’nem Sarg durch den Speisesaal.

Bildquellen:
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  • vorne-raus: Peter Wilhelm ki


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 18. April 2024

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3 Kommentare
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Alwin
7 Monate zuvor

Salzburg. Festspiele. „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ Jedes Jahr. Haben die Österreicher allgemein schon ein recht entspanntes Verhältnis zum Tod („Am Zentralfriedhof is Stimmung“, W. Ambros), so ist es in Salzburg wohl am entspanntesten. Sarg im Speisesaal, na und? „Unglaublich“ oder „geschmacklos“ ist daran gar nichts.

NIXE
7 Monate zuvor

Das ist eben die BILD. Wo immer die glauben, einen Skandal aufgedeckt zu haben, schlagen sie zu. Dabei ist es noch nicht einmal ein Skandälchen. Der Leichnam wird sicher zugedeckt gewesen sein, davon gehe ich aus. Zur Ausbildung eines/einer Bestatters/Bestatterin gehört sicher auch Pietät und Takt. Und sterben müssen wir alle, nur wie, wo und wann bleibt uns verborgen…und das ist auch gut so.

Ina
7 Monate zuvor

Meine Oma ist im Altersheim verstorben. Sie war wohl früh morgens nochmal kurz wach bei der ersten Kontrolle und zur Aufstehzeit gegen 7 Uhr wurde bemerkt, dass sie verstorben war. Der Bestatter kam gegen 10.30 Uhr weil dann das Frühstück vorbei wäre. Natürlich sitzt im Speise-/Aufenthaltsraum eines Altersheimes immer jemand aber dass es nicht gerade beim Essen sein muss, fanden wir schon nachvollziehbar und okay, wir selbst hätten uns aber in dem Moment nicht daran gedacht. Sie hatte ein Einzelzimmer, wir blieben dort bei ihr bis der Bestatter kam. Hinausgebracht wurde sie im Sarg über den Haupteingang, einige Pflegekräfte, die sie kannten, standen „Spalier“ um sich zu verabschieden. Das fanden wir sehr nett. Ein Vorteil der Uhrzeit und der Tatsache, dass das Frühstück vorbei war sonst hätten die gar keine Zeit gehabt.




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