Geschichten

Birgitt -III-

Zwei Seelen, eine männliche, eine weibliche…

Herrn Görgens kann ich gut verstehen, er empfindet es als seine moralische Pflicht, die Frau, die ihn so viele Jahre durchs Leben begleitete, anständig unter die Erde zu bringen.
Ich verstehe auch, daß seine jetzige Frau damit ihre Probleme hat. Aber irgendwie schlägt mein Herz doch ein bißchen mehr für den Mann.
Seine Frau Barbara wird nichts einbüßen, nichts von seiner Liebe verlieren, wenn er seiner ehemaligen Frau diesen letzten Dienst erweist.

Nur ist es nicht an mir, ihr das klar zu machen.

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Ich lasse Frau Görgens mit einer Tasse Tee in der Halle alleine und gehe zu ihrem Mann. „Und?“, frage ich ihn.
Er hat feuchte Augen, zieht hörbar seine Nase hoch und schüttelt langsam den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich meine, irgendjemand muß sich doch um Birgitt kümmern, das muß Barbara doch verstehen.“

„Hat Ihre Frau Barbara manchmal über Birgitt gesprochen?“

„Ja, hin und wieder.“

„Und was?“

„Nichts Gutes.“

„Warum nicht? Kannten die beiden sich?“

„Flüchtig. Sie haben sich vorher vielleicht drei- oder viermal kurz gesehen. Ich weiß nicht mal, ob die jemals miteinander geredet haben.“

„Warum spricht sie dann schlecht über Ihre erste Frau.“

„Eifersucht.“

„Eifersucht? Wenn ich das richtig verstehe, haben Sie doch aber wegen Barbara ihre Birgitt verlassen, oder?“

„Ja, deshalb verstehe ich es ja auch nicht. Birgitt hat nie Geld von mir bekommen, wir haben uns seit der Trennung nur noch ein einziges Mal, nämlich bei der Scheidung vor Gericht gesehen. Sonst haben wir nie wieder ein Wort miteinander gewechselt und uns nie wiedergesehen.“

„Warum nicht?“

„Ja, warum eigentlich nicht? – Ich glaube, wegen ihr“, sagt er und zeigt mit dem Daumen über seine Schulter in die Richtung seiner Frau.

„Kann es sein, daß ihre Frau Angst hatte, Sie zu verlieren?“

„Da gab es doch überhaupt keinen Grund dafür!“

„Das ist für solche Betrachtungen ohne Belang. Ein Mann, ein Wort; eine Frau, tausend Gedanken.“

„Sie sind auch verheiratet, oder?“

„Und wie!“

„Beileid!“

Ich muß grinsen. Da stehen ein Mann, der gerade einen Menschen aus seinem Umfeld verloren hat und ein Bestatter zusammen, und der Mann wünscht dem Bestatter Beileid. Grotesk!
Auch er grinst. „Mann, wie komm ich aus der Nummer raus?“

„Entweder durch ewig lange Diskussionen oder wir müssen uns was einfallen lassen.“

„Ja, was denn? Unser Sohn ist nicht aufzutreiben und dann bleibe ja nur noch ich …“

„Oder Birgitt.“

„Die ist doch tot!“

„Ja, aber sie kann noch ihre eigene Bestattung bezahlen. Solange da Geld ist …“

„Ist aber wahrscheinlich keins.“

„Tja, und wenn doch?“

„Wenn doch da aber keins ist!“

„Und wenn DOCH?“

„Ah, ich glaub‘, ich versteh‘ Sie! Sie meinen, ich soll das heimlich bezahlen?“

„Na ja, ich will Sie jetzt hier nicht zu einer Lüge anstiften, aber manchmal hilft es schon sehr, wenn man einfach nicht alles erzählt.“

Er nickt. „Wissen Sie was? Das wäre in der Tat die einfachste Lösung! Wie machen wir das?“

Ich erkläre ihm meinen Plan. Wenig später sitzen wir im Beratungszimmer und ich notiere die persönlichen Angaben. „So“, sage ich und schaue Herrn Görgens an: „Sie meinen also, Sie könnten die Beerdigung für diese Frau nicht übernehmen?“

Er seufzt, faßt sich dann aber und sagt mit fester Stimme: „Nein, das betrifft einen Abschnitt, den ich lange hinter mir gelassen habe.“

„Nun gut, dann lassen Sie uns die Sache anders zum Abschluß bringen. Es ist ja sowieso so, daß zuerst das Barvermögen der Verstorbenen für die Kosten einspringen muß. Und dann wäre der Sohn an der Reihe. Sie sind damit außen vor. Sie dürfen eigentlich gar nichts bestimmen.“

„Moooment mal!“, hört man auf einmal die aktuelle Frau Görgens: „So geht das nicht. Man kann uns nicht verbieten, das in die Hand zu nehmen!“

„Ja, aber Sie wollten doch nicht, daß ihr Mann sich kümmert …“

„Ich sehe nicht ein, daß er dieser Frau einen Liebesdienst erweist, aber daß wir uns von irgendwelchen Bestimmungen vorschreiben lassen, was wir dürfen und was nicht, das kommt ja auch nicht in Frage!“

„Und nun?“

„Na, ein anständiges Grab mit kleiner Trauerfeier ist ja wohl das Mindeste.“

Ich habe bis heute den Sinneswandel von Frau Görgens nicht verstanden. Mein eigentlicher Plan wäre auf etwas ganz anderes hinausgelaufen. Ich hatte vorgehabt, so zu tun, als würde die Beerdigung aus der Erbmasse bezahlt und Herr Görgens solle nur aussuchen, was für die Frau das Richtige wäre, damit es kein Armenbegräbnis gäbe. Und dann hätte er mir, ohne das Wissen seiner Frau, später doch die Rechnung bezahlt.

Aber nun hatte sich schlagartig alles geändert.

Jetzt empfand Frau Görgens die Tatsache, daß ihr Mann „gar nicht berechtigt sei“, die Bestattung auszurichten, als Beschneidung ihrer Rechte und wehrte sich.

Wir besprachen alles Notwendige und die erste Frau Görgens wurde anständig beerdigt. Sogar einen Kranz hatte Herr Görgens bestellen dürfen oder müssen.

Ich habe oft und lange über diesen Sinneswandel nachgedacht.
Bis jetzt ist mir nur eine Erklärung eingefallen. Kurz nachdem sie ihren Mann seiner ersten Frau abspenstig gemacht hatte, lebte Barbara wohl in der Furcht, sie könne ihn wieder an seine erste Frau verlieren. Deshalb hatte sie immer so heftig reagiert, wenn von Birgitt gesprochen wurde; vielleicht auch um zu sehen, wie ihr Mann darauf reagierte.
Und diese Art und Weise hat sie lange Jahre ohne Notwendigkeit beibehalten, bis hin zu dem Tag, an dem sie zu uns kam.

Die goldene Brücke, die ich Herrn Görgens bauen wollte, war indes die goldene Brücke für Frau Görgens geworden. Unter dem Vorwand, sich gegen Bestimmungen aufzulehnen, konnte sie das böse Reden über die Ex-Frau endlich fallenlassen.

Eine andere Erklärung habe ich nicht.

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