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Briefwahl II

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Manche Leser fragen sich, ob ich nun in einer Stadt oder einem Dorf wohne. Es ist eine Großstadt, aber der Ortsteil hier war bis in die 20er Jahre eine selbständige Gemeinde. So ist das hier einerseits Großstadt, andererseits aber auch noch Dorf/Gemeinde mit seinen besonderen, durch die Genetik und Genealogie gekennzeichneten Merkmalen. Wir nehmen an, daß der Stammbaum hier bei sehr vielen Leuten ein Kreis ist und deren Eltern Geschwister waren…

Der manchmal etwas dörfliche Charakter zeigt sich z.B. darin, daß im Eingemeindungsvertrag bestimmte Regelungen enthalten sind, die der ehemaligen Gemeinde gewisse Rechte zugestehen. Zum Beispiel wurde vereinbart, daß ständig eine Straßenbahnlinie zwischen Dorfplatz und Innenstadt unterhalten werden muß, ein eigenes Rathaus für die behördlichen Belange erhalten bleibt, das Recht zur Feier von Jahrmärkten frei bestimmt werden kann und einmal jährlich der städtische Besamungseber zur freien Verfügung der Dorfbevölkerung den Sauen der Dorfbevölkerung zur Verfügung gestellt wird.

Mit dazu gehört, daß wir bis heute einen Gemeindebotendienst und an wenigstens zwei Stellen im Ort Rathausbriefkästen haben. Früher gab es noch einen Büttel, einen Gemeindediener, der die Lohnsteuerkarten austrug, Mahnschreiben der Kämmerei zustellte und auch mal Unterlagen beim Bürger abholte. Der Alte ist längst in Rente, vermutlich schon verstorben und wurde nie ersetzt. Für ihn sind die uniformierten Leute vom Ordnungsamt der Stadt eingesprungen, die allerdings nur noch in den seltensten Fällen Schreiben zustellen, der selbst möbelaufbauende und obstabwiegende Bürger ist es ja gewöhnt, daß ihm das Ziehen einer Nummer und das stundenlange Warten in einer Behörde als besonderer Service vorkommt.

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Nur so kommt es, daß mir gestern also jemand vom Amt die Briefwahlunterlagen vorbeibrachte.
Klar, das Wählen geht ja fix. Ein Kreuzchen, Stimmzettel in den gelben Umschlag, eine Unterschrift auf den Wahlschein und diesen mit dem gelben Umschlag in den großen roten Umschlag, fertig.
Der Ordnungsamtsbüttel hätte das gleich wieder mitnehmen können und dann wäre es für mich erledigt gewesen.

Aber nein, der glotzte nur und fuhr einfach weg.

Später dann, ich berichtete, kam er noch einmal vorbei und sagte kurz Bescheid, daß er die Briefwahlumschläge nicht einfach wieder mit zurücknehmen dürfe.

Okay, wenn das so ist, dann ist das eben so, es wird schon seinen Grund haben.

Heute Morgen hatte ich Frau Ludwig am Telefon, Verwaltungsfachangestellte der ersten Stunde und hier fast so etwas wie der Ersatzbürgermeister. Es ging um eine Sterbeurkunde und als das besprochen war, fragte ich sie, ob ich meine Briefwahlunterlagen per Post schicken muß oder ob ich sie auch vorbeibringen kann.

„Die können Sie bei sich schräg gegenüber in den Gemeindebriefkasten werfen, der wird ja zweimal täglich geleert.“

„Ich frag ja nur, weil gestern der Büttel hier war, der wollte die Unterlagen aber nicht mitnehmen.“

„Nein, das darf der nicht. Wegen des Briefgeheimnisses, äh, Wahlgeheimnisses.“

„Ach so, verstehe ich. Ich werfe den Umschlag dann gegenüber in den Gemeindebriefkasten.“

„Ja, das können Sie einfach so machen.“

„Und wer leert den dann?“

„Na, der Büttel, ist doch klar.“

„Der Büttel, der den Umschlag nicht transportieren darf?“

„Genau. Aber wenn der Umschlag vorher im Gemeindekasten war, darf er den transportieren. Dann wird aus den Briefwahlunterlagen allgemeine Gemeindepost und er wird erst wieder zur Briefwahlunterlage wenn er aus der Post aussortiert wurde.“

„Als der also gestern da war, hätte ich gerade die paar Schritte zum Kasten laufen müssen, den Umschlag durch den Schlitz stecken müssen und dann hätte er ihn mitgenommen?“

„War es denn 14 Uhr?“

„Nein.“

„Dann nicht. Der darf den Kasten nur um 10 und um 14 Uhr leeren.“

Ach so.

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#briefwahl

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(©si)