Die Welt besteht nicht nur aus jungen, muskulösen Männern mit Sixpack und kantigem Kinn. Und normale Frauen sehen auch nicht aus, wie verhungerte Magerrippchen, die sich nur von 500 kcal am Tag ernähren. Die wenigsten von uns kaufen sich Dubai-Schokolade oder fliegen dreimal im Jahr First-Class nach Dubai.
Nein, die Welt um uns herum besteht aus einigen wenigen, die in das eben genannte, bewusst verkürzt und provokant gewählte Schema passen. Die Allermeisten sind ganz normale Durchschnittsmenschen mit Abweichungen in die eine oder andere Richtung. Ganz viele von uns gehören zur älteren Generation. Da das Alter, entgegen dem, was uns die Werbung vorgaukelt, nicht nur oder nicht immer aus Silveraging, Altersfitness und Parshippen Ü60 besteht, gehören viele ältere Menschen zu denjenigen, die Unterstützung und Hilfe benötigen.
Unterstützung im Alltag ist aber grundsätzlich nicht ausschließlich eine Frage des Alters. Jeder von uns kann in praktisch jedem Alter in die Lage kommen, Unterstützung bei ganz einfachen Dingen zu benötigen. Meine Frau hatte sich vor ein paar Jahren bei einem Sturz im Bad die Schulter gebrochen. Kaum zu glauben, wie eingeschränkt sie von einer Minute auf die andere war. Unfälle, Krankheiten, genetisch Defekte, Minderversorgung und viele andere Sachen können Ursache dafür sein, dass man plötzlich ohne die Hilfe anderer nicht mehr klarkommt.
Dann ist man heilfroh, dass der Busfahrer eine Rampe ausklappen kann, dass es Behindertentoiletten gibt, dass man Packungsaufschriften bei Medikamenten in Blindenschrift hat oder dass es einen Tonkanal für Sehbehinderte im Fernsehen gibt.
Ich bin selbst immer sehr aktiv gewesen und habe u.a. eine militärische Karriere hinter mir, die mir körperlich viel abverlangt hat. Bei der US-Army war körperliche Fitness in manchen Belangen wichtiger als alles andere.
Und heute? Heute schwindet mein Augenlicht, ich kann nur noch mit Apparaten hören, ich bin bei weiten Strecken auf einen Rollstuhl oder Krücken angewiesen und habe Pflegepersonal, das sich um mich kümmern muss. Hätte ich auch nicht gedacht.
Ich bin ein Altruist und habe mein ganzes Leben schon immer allen geholfen. Aber wenn man selbst von Schwäche und Krankheit betroffen ist, werden die Sinne umso mehr für die Belange von Schwachen und Kranken geschärft.
Mein Vorbild ist nicht irgendein Heiliger, sondern ein kleiner Mann namens Zniatecki. Der etwas schmuddelig wirkende, manchmal etwas seltsam riechende Mann saß in der Kirche immer ganz bescheiden ganz hinten und meist ziemlich allein.
Als Messdiener war es meine Aufgabe, mit dem Körbchen durch die Reihen der Gottesdienstbesucher zu gehen und die Kollekte einzusammeln. Während fast alle nur kleine Münzen in den Korb warfen, legte Herr Zniatecki immer einen 20-Mark-Schein hinein.
Später erfuhr ich dann, dass der Mann jede Woche einen Tag fastete, um diesen Betrag zusammenzubekommen. Eine Lebensweise, wie ich sie sonst nur von den Mormonen kenne, die am monatlichen Fastsonntag nichts essen und das gesparte Geld für die Armen in ihrer Gemeinde stiften.
Außerdem sagte mir jemand, Herr Zniatecki sammele ganzjährig Hausrat und Kleidung für arme Menschen im Ausland. Einmal im Jahr ziehe er bis zu sechs Anzüge übereinander an, weil sein Freigepäck schon voll ausgeschöpft war, und flog dann in ein fernes Land, um dort ein Dorf zu unterstützen.
Sein Haus, so erzählte man sich, stand bei Tag und Nacht für Pennbrüder, Obdachlose und Bettler offen, die jederzeit eine warme Suppe, neue Klamotten oder einen Platz zum Schlafen bekommen konnten.
Als er starb, waren der Pastor und wir zwei Ministranten die einzigen, die an seinem Grab standen.
Zurück zu Dubai und so.
Ich kann das voll verstehen, wenn junge Menschen, die in der Blüte ihres Lebens stehen und vor Vitalität nur so strotzen, wenig Lust haben, über alte Leute und kranke Menschen oder Schwache nachzudenken. Dass ich in dem Alter anders war, spielt bei dieser Betrachtung auch keine Rolle. Ich war auch nicht besonders beliebt und galt eher als Eigenbrödler.
Aber ich bilde mir ein, dass die Leserinnen und Leser meiner Bücher, Zeitschriftenartikel und meiner Blogs nicht überwiegend aus jungen Leuten bestehen. Die interessieren sich doch nicht für geschriebene Sachen, die man mühsam lesen muss und die von Tod und Trauer, Schwerhörigkeit oder Mehr- und Tiefsinnigem handeln.
Man kann ja so Software einsetzen, die einem ziemlich genau verrät, was auf Webseiten so los ist. Aus den Statistiken kann man dann ableiten, wie viele Männer und Frauen das sind, ob sie älter oder jünger sind und so. Ich setze sowas aber nicht ein, und wenn, dann einmal im Jahr für ein paar Tage, um Zugriffszahlen für die Mediadaten zu bekommen. Trotzdem weiß ich aber, dass hier ganz überwiegend keine Jugendlichen mitlesen.
Umso weniger kann ich es verstehen, dass hier tatsächlich eine Diskussion darüber entbrannt ist, ob ich meine Texte zusätzlich zur normalen Version auch in einer kindgerechten Sprache und/oder in der sogenannten „Einfachen Sprache“ anbieten sollte.
Das ist nämlich überhaupt kein Punkt, über den es irgendwas zu diskutieren gibt.
Ich schaffe es sowieso nicht, alle Texte noch einmal komplett neu in Einfacher Sprache zu schreiben. Deshalb ist das ohnehin auf ausgewählte Texte beschränkt. Darüberhinaus geht ja durch ein zusätzliches Angebot niemandem etwas verloren.
Außerdem packe ich jetzt die Version in vereinfachter Sprache in einen kleinen Kasten, den diejenigen, die das lesen wollen, erst anklicken müssen.
Ich bekomme so viele Zuschriften von Behinderten, Älteren und Kranken, die glücklich und dankbar für meine zusätzliche Arbeit sind, die Texte auch in der vereinfachten Form anzubieten. Das zeigt mir, dass diese Arbeit nicht umsonst ist.
Wenn ich könnte, würde ich sie auch noch als Audio-Version für Sehbehinderte einsprechen.
Es muss doch unser aller Bestreben sein, dafür zu sorgen, dass alle die gleichen Chancen haben und dass niemandem der Zugang verwehrt wird. Ob dann jeder die ihm gebotenen Chancen ergreift oder die Zugänge nutzt, ist wiederum dessen ureigenste Sache. Es ist ja beispielsweise auch keine Pflicht für Behinderte, auch aufs Behindertenklo zu gehen.
Fazit: Menschlichkeit statt Glitzerwelt
Wir leben in einer Zeit, in der Oberflächen mehr zählen als Inhalte, in der Filter wichtiger sind als Falten, und Likes mehr Gewicht haben als Lebensleistung. Doch der wahre Wert eines Menschen bemisst sich nicht an seinem Körperfettanteil, an Followerzahlen oder an der Farbe seines Koffers auf dem Rollfeld in Dubai. Der Wert eines Menschen zeigt sich in seinem Mitgefühl, in seiner Haltung gegenüber Schwachen, Kranken und Alten – und darin, ob er bereit ist, Brücken zu bauen, anstatt Mauern zu errichten.
Ich habe gelernt – nicht aus Büchern, sondern aus dem Leben –, dass Stärke nichts mit Muskelkraft, Jugend oder Erfolg zu tun hat. Wahre Stärke bedeutet, hinzusehen, wenn andere wegschauen. Zu helfen, wenn man selbst kaum noch kann. Und sich einzusetzen für Menschen, die nicht laut genug sind, um gehört zu werden.
Die Gesellschaft wird nicht reicher durch Hochglanzwelten und Fitness-Influencer, sondern durch diejenigen, die anderen Türen öffnen, die Hände reichen, die Barrieren abbauen – ob sprachlich, körperlich oder sozial.
Deshalb werde ich weiterhin versuchen, meine Texte für alle zugänglich zu machen. Für die, die gut sehen, und für die, die nicht mehr gut sehen. Für die, die jedes Wort verstehen, und für die, die sich mühen müssen. Denn Barrierefreiheit ist keine Gnade, sie ist ein Ausdruck von Respekt. Und dieser Respekt – das ist das, was unsere Gesellschaft wirklich schön macht.
Es gibt leider immer wieder Menschen, die sich in ihrer eigenen Stärke, Jugend oder vermeintlichen Überlegenheit so sehr gefallen, dass sie den Blick für die Realität anderer verlieren. Sie halten körperliche Einschränkungen für persönliches Versagen, Armut für Faulheit und Hilfsangebote für überflüssig. Solche Haltungen entspringen meist nicht echter Bosheit, sondern einer tiefen Ignoranz – dem Unwillen, sich in andere hineinzuversetzen. Wer glaubt, immer gesund, unabhängig und leistungsfähig zu bleiben, hat das Leben schlicht nicht verstanden. Niemand von uns weiß, wann der Tag kommt, an dem man selbst auf Hilfe angewiesen ist. Arroganz gegenüber Schwächeren ist daher nicht nur unsympathisch, sie ist vor allem dumm – denn sie verkennt, dass Mitgefühl kein Zeichen von Schwäche ist, sondern der edelste Ausdruck von Menschlichkeit.
Bildquellen:
- schein-und-sein_800x500: Peter Wilhelm KI
Hashtags:
Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:
Betreffende Meinungsäußerungen kommen aus einer gewissen Richtung, es ist das Mindset Überlegenheitsphantasie, so ein Mindset führt nie wirklich nie zu was „Gutem“.
Beweis Menschheitsgeschichte.
Und komme mir Niemand mit Politik, diese Phantasien erstrecken sich übergreifend, sie sind das Grundproblem menschenunwürdigen Denkens und Handelns.
Wenn ich das richtig verstehe (und korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege) dann willst du zukünftig deine Texte in einfacher Sprache „verstecken“? Also eine zusätzliche Hürde aufbauen damit sich jemand, der in dieser Sicht anders gepolt ist wie du, sich nicht auf den Schlips getreten fühlt?
Das ist wirklich klasse von dir. Frei nach dem Motto: Ich teile Ihren Standpunkt nicht aber ich würde mein Leben dafür geben dass Sie diesen frei äußern dürfen!
Auf der anderen Seite finde ich es sehr bedauerlich dass man Hilfe verstecken muss. Dass es tatsächlich Menschen gibt die sich so überlegen fühlen dass sie solche Hilfen so herabwürdigen. Und wahrscheinlich selbst keinen eigenen Beitrag leisten würden um zu helfen…