Menschen

Das Monument

Bei Herrn Gember ist alles noch von gestern. Er hat wohl nie das Geld gehabt, sein kleines Haus auf Vordermann bringen zu lassen, vielleicht gefällt es ihm aber auch einfach so, wie es ist.
Ich jedenfalls hätte schon vor Jahren mal den Putz an der Fassade erneuert und auch die Fenster und die Türen würden ganz mal einen neuen Anstrich vertragen.

Die Treppe nach oben ist schon ganz durchgetreten, da wo er immer läuft, da zeigen sich, bar jeder Farbe, richtig tiefe Gehmulden. Das Treppengeländer wackelt und das ganze Holzwerk quietscht und ächzt.

Sein Wohnzimmer wird vom Möbeln aus den 50er Jahren dominiert, einer Zeit, in der es Herrn Gember vielleicht mal besser ging, möglicherweise hat er die Möbel aber auch damals, als seine Eltern starben, von denen übernommen.
Aus der gleichen Zeit stammen auch die Tapeten, die wahrlich schon bessere Zeiten gesehen haben. Jede dritte Bahn hängt traurig eine Ecke nach unten und dort wo mal Bilder umgehängt wurden, sieht man hellere Rechtecke in allen möglichen Schattierungen.

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Die Zimmerdecke erdrückt, ja erschlägt einen fast mit Styroporplatten in braunem Eichenplastik, mich mehr als ihn, er ist gut einen halben Meter kleiner als ich.

Dann sitzen wir in Sesseln, die ich nicht näher beschreiben kann, weil sie mit weißen Laken abgedeckt sind.
„Ich schone meine Sachen, dann halten sie länger.“

Im aufgeschlagenen Fernsehheft hat Herr Gember das Kreuzworträtsel angefangen und selbst wenn ich nie Zeit finde, Kreuzworträtsel zu lösen, kann ich keine angefangenen herumliegen sehen. Kircheninstrument mit fünf Buchstaben waagerecht… Mann, das ist die ORGEL, ich habe fast den Trieb, meinen Kugelschreiber zu nehmen und das hinzuschreiben, daraus ergibt sich ganz klar auch ‚Morgenland‘, sechs Buchstaben senkrecht ORIENT und aus dem T von Orient kann man noch das Wort TRIEBWAGEN bilden.

Herr Gember hat schon vor zwölf Jahren eine Vorsorge bei uns gemacht, direkt nachdem wir seine Frau beerdigt hatten. Nun will er was ändern, ihm gefällt es nicht mehr, daß er zu seiner Frau ins gleiche Grab kommen soll.
„Das Grab läuft noch acht Jahre, aber in drei Jahren ist die Ruhezeit für meine Hertha abgelaufen und dann kann ich das Grab wegmachen lassen. Vielleicht lasse ich es auch noch ein, zwei Jahre länger, ich weiß es noch nicht, aber der Weg zum Friedhof fällt mir immer schwerer und die Gießerei im Sommer wird mir zu viel. Wenn es dann nicht mehr geht, lasse ich es einebnen. Und ich, ich will dann anonym bestattet werden, irgendwo auf der grünen Wiese. S’ist ja niemand mehr da, der sich um mein Grab kümmern könnte.“

„Sie haben aber für diesen Fall einen Haufen Geld an die Gärtnergenossenschaft bezahlt, für die Grabpflege.“

„Ja genau, und das Geld, das will ich jetzt wiederhaben, meinetwegen mit einem kleinen Abschlag, aber den großen Batzen will ich haben. Ich brauch das Geld.“

„Haben Sie was Größere vor?“

„Das kann man wohl sagen“, sagt Herr Gember, dabei wackelt sein Gebiss, das nicht so richtig passt, in seinem Mund hin und her und er schaut mich durch die speckigen Gläser seiner viel zu großen Brille abwartend an. Er wartet darauf, daß ich ihn frage, was er denn vor haben möge. Also stelle ich die Frage:

„Und was?“

„Ich geh nach Amerika!“

„Wow! Nach Amerika?“

„Jawoll!“

„Toll!“

„Ich bin jetzt gerade noch so fit, daß ich das machen kann, wer weiß wie das in drei oder vier Jahren sein wird, aber jetzt bin ich noch fit.“

„Kennen Sie da jemanden in Amerika, haben Sie da vielleicht sogar Verwandte?“

„Verwandte? Ja, meine Schwester ist 1959 nach Texas ausgewandert, aber die ist ja auch schon tot. Nein, ich will den Mount Rushmore sehen, Sie wissen doch, diesen Berg, wo die ihre Präsidenten eingemeisselt haben, nicht wahr?“

Und dann erzählt er mir, daß er vor vielen Jahrzehnten einmal einen Bildband über die größten Wunder dieser Welt in die Hände bekommen habe, eine Quartalsgabe eines Buchclubs. Und dieses Präsidenten-Monument in den Vereinigten Staaten habe ihn ganz besonders fasziniert und seitdem sei er von der Idee beseelt, eines Tages mal mit einem richtig großen amerikanischen Auto einige Zeit durch die USA zu fahren und das Ziel seiner Reise soll das Monument am Mount Rushmore sein.

„Da hab‘ ich immer von geträumt und wer weiß, wie lange ich noch Zeit habe, diesen Traum zu verwirklichen. Also mache ich das jetzt. So!“

Ich schaue auf seine Unterlagen und sehe sein Geburtsdatum. Herr Gember ist im Jahr 1923 geboren worden.

„Und Sie wollen das ganz alleine machen? Trauen Sie sich das noch zu?“ frage ich und er sagt:
„Ich bin 1944 aus russischer Kriegsgefangenschaft weggelaufen und habe mich ganz alleine bis in die Heimat durchgeschlagen. Wer sowas hinter sich gebracht hat, der schafft es auch bis nach Amerika.“
Er klatscht sich mit den Händen auf die Oberschenkel, lacht und seine Zähne wackeln dabei.

Ich drücke ihm die Daumen!

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(©si)