Menschen

Das neue Hemd

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Mein Freund Stefan ist schon vor über 15 Jahren nach Amerika ausgewandert und ganz lange hatte ich überhaupt keine Ahnung, wo er steckt. Die moderne Technik machte es möglich, daß wir uns wiedergefunden hatten. Eines Tages schrieb er einen Kommentar in ein Gästebuch auf irgendeiner meiner Seiten: „Bist Du das?“

Seitdem stehen wir in Mailkontakt und ich erfüllte Stefan schon so manchen heimatverbundenen Wunsch. Deutscher Kaffee, Maggi-Produkte, Hanuta, die in Amerika verbotenen Überraschungseier und ab und zu eine Fußballzeitung, das ist so das, was er haben möchte.

Im Gegenzug schickt er mir zweimal im Jahr ein Paket mit typisch amerikanischen Sachen. Manchmal wünsche ich mir was, manchmal packt er einfach was ein.

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Neulich traf ein Päckchen ein, das neben allerlei Süßigkeiten, Fotos seiner Kinder und ein paar amerikanischen Tageszeitungen auch ein Penis-Shirt enthielt.

Ein Penis-Shirt!

Das ist ein weißes T-Shirt, auf das man vorne unten einen recht großen, sehr naturgetreu aussehenden Pimmelmann aufgedruckt hat, der kühn nach oben zeigt. Trägt man dieses Hemd, dann sieht das so aus, als rage einem das Gemächt nach oben aus der Jeans.
Unmöglich! Unanständig! Primitiv!

Stefan hat das wohl für einen besonders gelungenen Gag gehalten oder meinte, mir etwas geschickt zu haben, was man hierzulande so nicht kennt. Egal, ich finde das T-Shirt scheiße und würde es ums Verrecken nicht anziehen. Niemals!

Als ich es dann das erste Mal trug, meinte meine Frau lakonisch: „Angeber!“
Mein Sohn grinste, reckte den Daumen nach oben und sagte: „Cool“, meine Tochter hielt sich ihre Augen zu, lugte durch die gespreizten Finger und rief: „Eklig, Papi, voll eklig!“

Nach diesem ersten und einzigen Versuch, mit dem neuen Kleidungsstück zu punkten, flog es im Wohnzimmer über die Lehne eines Sessels und ich begann wieder schwarze T-Shirts zu tragen, die stehen mir besser.
Allerdings war mir aufgefallen, daß -einmal den aufgedruckten Lümmelmann außer Acht lassend- das amerikanische T-Shirt von besonders guter und sehr weicher Qualität ist.

So lümmelte sich also das Hemd auf der Sessellehne herum, irgendjemand legte eine zusammengefaltete Wolldecke drüber und es geriet in vorübergehende Vergessenheit.

Nun ist es ja so, daß ich verheiratet bin und das dann auch noch ganz unmodern mit einer Frau.
Und über die geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Wahrnehmung dessen, was man landläufig die Zimmertemperatur nennt, muß ich jedem, der verheiratet ist, ja nun wirklich nichts erzählen.

Während meine Allerliebste sich das zweite Paar Socken überstreift und schniefnasig aus einem Norwegerpulli ragt, tropfen mir Kondenswassertropfen von der Zimmerdecke in den Nacken und die von der Schwiegermutter geschenkte Bananenpflanze auf der Fensterbank treibt schlagartig tropische Blüten.
Es ist eine Bullenhitze, man könnte auf den beschlagenen Fensterscheiben seinen Namen schreiben und die Frau fragt: „Ist die Heizung überhaupt an?“

Ich kann nicht noch mehr ausziehen, sonst würde es strafrechtlich relevant, man hat ja Kinder, aber bis auf eine Shorts bin ich sowieso schon nackt, anders sind Herbst und Winter bei uns nicht auszuhalten.

Da klingelt es an der privaten Tür, es ist Samstagnachmittag und wer da klingelt, der ist sowieso schon todgeweiht, denn für gewöhnlich klingeln um diese Zeit nur irgendwelche Habenichtse, die den ganz Doofen eine Mitgliedschaft in der Flugschrauberrettung oder ein Zeitschriftenabo andrehen wollen.

„Geh‘ mal gucken, wer da klingelt!“ friert mich meine zitternde Frau an, die so schnell nicht aufstehen kann, weil sie sich zusätzlich noch in drei Wolldecken eingewickelt hat und aussieht, wie eine fette Raupe kurz vor dem Schlüpfen.
Weil sie die Wolldecke da weggenommen hat, liegt das weiße T-Shirt auf dem Sessel in der Ecke offen da, ich schnappe es mir und ziehe es mir, während ich zu Tür gehe, schnell über.

Draußen steht eine junge Frau im Kamelhaarmantel, hat einen Briefumschlag in der Hand und stellt sich vor als Frau Riepenkötter, die von der Kirchengemeinde komme und eigentlich „die Regina“ sei und die meine Tochter zum sonntäglichen „Happy morning and joy“ einladen möchte.
Ich nehme den Umschlag und ihre Augen weiten sich schreckhaft, sämtliche Farbe weicht aus ihrem ohnehin recht farblosen Gesicht und ganz, ganz schnell sucht sie das Weite, stolpert dabei fast über ihre eigenen Füße und hinterlässt vor lauter Eile fast einen Kondensstreifen.

Als ich wieder ins Wohnzimmer komme, sagt meine Frau: „Sag mal, Du warst doch wohl nicht in diesem Penishemd an der Tür, oder?“

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

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(©si)