Geschichten

Das Schwein -V-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Es ist ein Tag vergangen. Die Hartmanns sind nach dem „Knall“ sofort nach Hause gegangen und haben uns ziemlich ratlos zurück gelassen.
Wir wissen ja auch nicht, was wir von der Sache halten sollen. Antonia neigt dazu, der Mann habe ein paar Mal „so komisch geguckt“ und Männern traue sie ja sowieso alles zu. Sandy, Frau Büser und Nadine können die ganze Geschichte gar nicht glauben und regen sich über die Boulevardpresse auf, wobei Frau Büser sich ein Hintertürchen offen lässt und sagt: „Man weiß ja nie, am Ende ist manchmal ja was dran.“
Sandy hingegen ist der Auffassung, egal wie es wirklich gewesen sei, der Mann stehe jetzt Zeit seines Lebens als Kinderschänder da.

Gegen 10 Uhr kommen die Hartmanns in Begleitung seiner Mutter und ihrer Schwester. Sie wollen gemeinsam in einem unserer Aufbahrungsräume am offenen Sarg Abschied von Melanie nehmen.
Vorher habe ich Gelegenheit, mit den Leuten zu sprechen.

Das Ehepaar Hartmann ist fassungslos. Klaus Hartmann will Gott und die Welt verklagen, Frau Hartmann weint und jammert und es ist eine Mischung aus Wut, Verzweiflung und Scham, die ihr immer wieder auch die Zornesröte ins Gesicht treibt.
Anders sieht das bei der Mutter und der Schwester aus.

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Die Schwester, also Klaus Hartmanns Schwägerin, macht einen spitzen Mund und spricht von ihrem Schwager als „dem da“ und „der da“ und bittet darum, als Erste und allein zu dem Mädchen gelassen zu werden.

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ tönt Klaus Hartmanns Mutter in einer ganz unangenehmen, tinnitussierenden Kleinmädchen-Stimmlage. Mir verursacht diese Frequenz fast schon einen Ohrenschmalzreflux.

Sie zieht der anderen Frau am Ärmel und ruft: „Du bist natürlich wieder die Erste, die Klaus hier benachteiligen will. Dir passt das doch alles ganz gut in den Kram, Dir geht es doch nur um die Hütte von Deinem Vater und da kommt das ja jetzt mal so richtig gelegen, daß dem Klaus da so was unterstellt wird.“

„Ach, lasst mich doch alle in Ruhe! Melanie war meine Nichte und ich möchte mich in Frieden von ihr verabschieden können, aber nicht im Beisein von dem da!“

Klaus Hartmann nimmt seine Frau am Arm, wirft seiner Schwägerin und seiner Mutter einen bösen Blick zu und sagt: „Ihr habt doch beide einen Vogel! Hier so ein Theater zu veranstalten… Wer sind wir denn, dass wir uns so aufführen? An dem ganzen Geschmiere ist nichts dran und jetzt entschuldigt uns bitte, wir haben ein totes Kind da drinnen und von dem wollen wir jetzt Abschied nehmen. Ihr könnt mitkommen oder ihr geht später alleine nochmal zu Melanie, aber jetzt wollen wir unsere Ruhe.“

Manni und seine Männer haben den Aufbahrungsraum schön hergerichtet und dem Mädchen einen Teddy in den Arm gelegt. Der Teddy ist aus Stroh und wir haben ihn als kleine Weihnachtsgabe von einem unserer Lieferanten bekommen. Eigentlich ist Melanie ja mit 14 schon etwas zu alt für einen Teddy, aber ich weiß von meinen Kindern, daß im Alter zwischen 13 und 19 zwei Herzen in ihrer Brust schlagen. Einerseits möchte man doch schon so erwachsen sein und andererseits würde man doch so gerne noch auf Papas Schoß sitzen und mit Playmobil spielen…

Das Ehepaar Hartmann und Mutter Hartmann gehen den schweren Weg gemeinsam, Schwägerin Isolde bleibt in der Halle stehen.
Es scheint den Leuten zu gefallen, wie Manni das alles gemacht hat. Dreißig weiße Lilien säumen den Rand des Sarges und eine grüne Girlande ist in Herzform auf der Decke ausgelegt, gefüllt mit weißen Blütenblättern.

Beim Sarg haben sich die Hartmanns dann doch für ein ganz helles, aber nicht weißes Modell entschieden und die Sargdecke und das Kissen sind zartrosa. Manni hat dem Mädchen nach einem der Fotos, die wir bekommen haben, einen Pferdeschwanz gemacht und den über ihre rechte Schulter gelegt.
Das Totenhemd ist schneeweiß und hat kleine Glaskristalle auf den angedeuteten Knöpfen. Am Hals und an den Handgelenken schließt es mit einer silbern durchwirkten üppigen Spitze ab.
Das Mädchen sieht aus wie ein Engel.

Mir läuft es kalt den Rücken herunter, ich habe gestern erst Weihnachtsgeschenke für meine Kinder gekauft. Vielleicht haben die Hartmanns das vor ein paar Tagen auch schon gemacht… Ich möchte gar nicht daran denken, wie Weihnachten dieses Jahr und in den kommenden Jahren für sie werden wird.

Die Hartmanns bleiben eine gute halbe Stunde und ich verbringe die Zeit bei Isolde in der Halle.

„Ich habe ja schon immer zu meinem Mann gesagt, daß da was nicht stimmt. Der Klaus ist ja nur noch mit der Melanie unterwegs gewesen und hat ihr jeden Wunsch erfüllt. Das Mädchen hat sich geschminkt, stellenweise wie eine Hure, und dann diese Klamotten, die er ihr gekauft hat, also wirklich, wie eine Nutte hat sie ausgesehen und ihm hat das auch noch gefallen.“

Ich schweige, was bei mir bedeutet, daß ich gar nichts sage.
Sandy steht dabei und schweigt auch, aber sie ist eine Frau und damit bedeutet schweigen ja nicht, gar nichts zu sagen…

„Wollen Sie andeuten, an dem Zeitungsdreck sei etwas dran?“ fragt sie.

„Ach, was weiß ich denn? Ich kann nur eins und eins zusammen zählen und sagen was ich gesehen habe. Im Sommer, meine Güte, im Sommer da hat der Klaus auf der Liege im Garten gelegen und die Melanie hat fast nichts an gehabt, als sie im Pool geplantscht hat. Nur so zwei Streifchen Stoff um die Scham und die Brustwarzen, ekelhaft! So zeigt man sich doch nicht seinem Vater! Ich habe noch gedacht, daß das höchst unanständig ist und stellen Sie sich vor, was ich dann gesehen habe.
Ich habe gesehen, wie der Klaus sich ein Handtuch über seinen, na Sie wissen schon, gelegt hat. Wenn Sie mich fragen, hat der eine Erektion gehabt. Das ist doch krank! Bei seiner eigenen Tochter kriegt ein Vater doch keinen Hartriegel, das ist doch pervers!“

Ich stelle mir meine Tochter vor und denke daran, wie leicht bekleidet das Kind völlig arglos hier durchs Haus läuft. Ich freue mich darüber, daß sie langsam zur Frau wird und habe mit durchaus männlicher Freude festgestellt, daß sie Brüste entwickelt und sich auch hin und wieder überaus sexy zu kleiden und zu schminken weiß.
Aber ich habe in keinster Weise sexuelle Phantasien, wenn ich an die Kleine denke, die im gleichen Alter wie Melanie ist. Eher mache ich mir Gedanken darüber, was für ein dahergelaufener 15-jähriger Heckenpenner seine dreckigen Griffel sabbernd an meine schöne Kleine legen wird. Wehe!

Kinder müssen erwachsen werden, aber sie haben ein Recht darauf, behütet erwachsen zu werden und den Schutz und die Hut, die muß ich ihnen bieten, da darf nicht ein Funken Misstrauen sein. Sie haben gehörigen Respekt vor mir, den ich auch einfordere; niemals mit Gewalt, niemals laut, aber durchaus intensiv.
Dafür können sie aber auch mit jedem Scheiß zu mir kommen und haben Rückendeckung, wobei das eine eventuelle Strafe nicht ausschließt. Und sie nutzen diese Freiheiten, sie überbeanspruchen sie auch nicht und ich bin immer wieder erstaunt, was die Kinder uns alles ganz offen erzählen.
Ich hätte mit meinen Eltern solche Gespräche nicht geführt.
Hier zu Hause ist der Ort des Friedens und des Schutzes und da kann und darf es nicht vorkommen, daß die Kinder auch noch Angst davor haben müssen, hier nackt oder leicht bekleidet zu sein zu dürfen.

Ich lasse Isoldes Worte unkommentiert und warte auf die Hartmanns, die kurz darauf sehr ergriffen und ziemlich fertig vom Aufbahrungsraum zurück kommen. Isolde geht wortlos an ihnen vorbei.

„Sie haben das so schön gemacht“, sagt Monika Hartmann und ihr Mann Klaus fragt: „Woher wußten Sie, daß Melanie immer einen Teddy hatte?“

Ich beantworte seine Frage nicht, denn dann hätte ich sagen müssen, daß Manni und ich auch Kinder haben und dann hätte ich wieder an meine Kinder denken müssen…
Stattdessen sage ich: „Wenn Sie noch eigene Kuscheltiere bringen wollen…“
Die beiden nicken und die alte Frau Hartmann kramt ihr Portemonnaie aus der Handtasche, knipst es auf und holt mit spitzen Fingern eine Euromüze heraus und drückt mir die als Trinkgeld in die Hand: „Weil Sie das so schön gemacht haben“.

Ja dann…

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(©si)