Manche Tage haben es in sich. Da steht man morgens auf und weiß schon, noch bevor die Zahnbürste im Mund steckt, daß das ein komplizierter Tag wird, wenn nicht gar ein Scheißtag.
Da macht man nix dran. Diese Tage hat jeder mal und man kann den Lauf der Dinge kaum ändern. Soviel gute Laune und Gutmütigkeit kann nicht mal ich aufbringen.
Okay, dieser Tag von dem ich hier erzählen will, der hatte schon begonnen, bevor er richtig zum Tag geworden war, nämlich als er noch Nacht war.
Kurz nach eins hatte das Telefon geklingelt und vierzig Minuten später standen Manni und ich vor dem Sterbebett eines 160 Kilo schweren Mannes. Und diese 320 Pfund verteilten sich gerade einmal auf knapp Einssechzig Körpergröße.
„Manchmal hat der ein Pfund Butter mit den bloßen Fingern verdrückt, ja, so war er, der Otto“, hatte seine Frau gesagt und unter ihren traurigen Augen ein Grinsen zustandegebracht.
„Die pure Butter?“, fragte ich erstaunt.
„Aber nein, wo denken Sie hin, der hat sich manchmal Salz und manchmal Zucker drübergestreut.“
Dann verzog sie sich mit einer Nachbarin in die Küche, überließ uns das Feld und Manni fragte, sehr despektierlich aber dennoch angemessen: „Und wie kriegen wir den Dicken runter?“
„Egal wie, der muß!“
Ich dachte an meine Bandscheiben und an die blauen Flecken, die ich mir gewiss im Treppenhaus holen würde, aber es half ja nix, irgendwie mußte der Mann nach unten.
„Wer weiß, wann die den das letzte Mal gewogen haben, vielleicht hat er auf dem Sterbebett abgenommen“, gab ich einer vagen Hoffnung Ausdruck, doch Manni, der Zerstörer meiner nächtlichen Illusionen, deutete nur auf den Nachttisch, auf dem sich vier Pizzaschachteln stapelten.
„Sieht nicht so aus, ich glaube eher, der hat noch zugenommen.“
Nun ja, wir machten das nicht zum ersten Mal und da die Angehörigen brav wegblieben, trauten wir uns, den schweren Mann vorsichtig mit dem Laken auf die Trage neben dem Bett rollen zu lassen. Das gelang uns so lautlos, daß die Frau aus der Küche rief: „Is‘ was passiert?“
„Nö, nö, alles gut!“
Im Treppenhaus gegenüber ging die Tür auf und ein Ehepaar, so um die Vierzig, glotzte neugierig zu, wie wir ächzend und stöhnend die Trage mehr schoben als hoben.
„Is‘ schwer, ne‘?“, fragte der Mann und ich nahm seine Worte zum Anlaß, ihn einfach einzubinden: „Wenn Sie am Fußende mit anpacken, geht das leichter. Meinen Sie, das geht?“
Es machte ihm nichts aus und er packte tatsächlich mit an. Nun ging es besser, aber immer noch nicht gut.
Die erste Treppe schafften wir, auch den Treppenabsatz. Aber an der nächsten Treppe passierte es.
Der gerade so eben über den Bauch des Dicken reichende Gurt versagte seinen Dienst, schnalzte auseinander und ein Bein des Mannes schwuppte sich nach links von der Trage.
Ja und wenn so ein Bein allein so viel wiegt, wie sonst ein ganzer Mensch, dann reicht das aus, um die Träger der Last ins Schlingern zu bringen.
Die Trage bekam nach links Übergewicht, die zwei am Fußende balancierten es aus, doch ich, der ich alleine oben am Kopfende war, hatte nicht genug Kraft in den Handgelenken, um dem entgegensteuern zu können.
Es polterte kurz und schon hatte ich die Trage losgelassen.
Glücklicherweise stemmten die zwei weiter unten sich dagegen und verhinderten, daß sie mitsamt der Trage bis ins Erdgeschoß nach unten segelten.
Ich bückte mich, wollte die Trage wieder anheben, da sah ich, was geschehen war.
Das Bein des armen, dicken und toten Mannes hatte sich zwischen den Streben des Treppengeländers hindurchgeschoben und stak da fest.
Scheiße!
Manni kratzte sich am Kopf als wir Minuten später das Malheur betrachteten, und raunte mir zu: „Entweder die Strebe oder das Bein absägen …“
Ein Blick von mir genügte und er wußte, daß weder eine partielle Nekropsie, noch eine nächtliche Sachbeschädigung in Frage kamen.
„Ich hol Euch Schmierseife!“, rief die Witwe von oben und als sie mit dem Eimerchen da war, erklärte sie: „Der hat schon mal hinterm Klo festgesteckt, da half auch nur Dr. Baumanns Goldseife.“
Und tatsächlich, mit vereinten Kräften, Dr. Goldmanns Blauschmier und einem kräftigen Ruck gelang uns dann die Befreiung des Beinchens.
Nun hatte die Herrin des Eimerchens es etwas gut gemeint und so kam es, daß der ganze blauschmierige Goldschleim nicht nur die Trage, sondern auch den Boden des Ladeabteils unseres Bestattungswagens verschmierte.
Bei uns aus dem Hof kam uns der Verstorbene, ich will nicht übertreiben, aber beinahe wie der geölte Blitz entgegengeschossen.
Ich sag ja, manche Tage …
Nach so einer Abholung ist man fertig! Die vom städtischen Bestattungsdienst holen jedes 48 Kilo-Mütterchen zu viert!
Nachdem der Verstorbene endlich in der Kühlung war, verabschiedete sich Manni und ich glibschte nach oben unter die Dusche, um mich vom Goldschleim zu befreien, der die Tendenz gezeigt hatte, sich auf alles und jeden zu übertragen und dabei auch noch zu vermehren.
Aber meine Haut war nach dem Waschen schön weich geworden und ich roch nach frisch geputzter Turnhalle.
Schon um kurz vor acht stand die Witwe vor dem Haus und begehrte Einlaß. Sie wolle nun alles Notwendige besprechen, das müsse ja schnell gehen, meinte sie, ihr Mann habe schon zu Lebzeiten nicht so gut gerochen und der müsse bestimmt schnell unter die Erde. Also machte ich die Beratung und freute mich, daß an diesem Tag unsere Werkstatt gut besetzt war und somit genügend Männer vorhanden sein müßten, um das Schwergewicht in einen überbreiten Sarg zu betten und zum Friedhof zu fahren.
Doch daraus wurde vorerst nichts.
Manni kam zwar pünktlich, gestand mir aber nach der Beratung, er habe sich in der Nacht doch am Rücken weh getan und könne unmöglich den schweren Mann noch einmal heben.
Ein weiterer Mitarbeiter hatte sich krank gemeldet, sagte mir Frau Büser und so hofften wir alle auf Herrn Vossem, einen weiteren Fahrer.
Obwohl er um acht hätte da sein müssen, war der aber bis um neun noch nicht da. Ich wollte ihn gerade auf dem Handy anrufen, da klingelte das Telefon und Herr Vossem war dran. Ja, er habe eine Panne mit dem Auto und müsse auf den ADAC warten.
Okay. Also hieß es warten. Wir warteten auf Herrn Vossem und der irgendwo am Straßenrand auf den ADAC.
Der eingeschränkte Manni, Herr Vossem, Sandy und ich würden das mit dem schweren Mann zusammen irgendwie schaffen, aber nur so und in dieser Besetzung.
Um halb elf war Herr Vossem immer noch nicht da. „Mein Gott, den lassen die vom ADAC aber lange warten“, meinte Frau Büser noch.
Da habe ich ihn angerufen. Nach dem dritten Klingeln ging Herr Vossem ran.
Erleichterung! Ich fragte: „Na, wie sieht’s aus, war der ADAC schon da? Kommen Sie bald?“
„Wie jetzt?“
„Ja, wegen der Autopanne. Sie warteten doch auf den ADAC.“
„Ach der, der war dann schnell da.“
„Und jetzt?“
„Na, jetzt sitze ich zu Hause auf dem Sofa und schaue einen Film.“
„Was machen Sie?“
„Ich gucke einen Film!“
„Ja Moment, die Panne ist doch behoben, Sie müßten eigentlich jetzt arbeiten.“
„Ich? Aber ich hab‘ doch angerufen!“
„Ja, sind Sie verletzt oder was?“
„Nee, ich bin zu Hause, alles in Ordnung.“
„Und warum kommen Sie dann nicht zur Arbeit?“
„Das wäre mir nach dem Theater mit dem Auto jetzt zuviel Streß.“
„Was? Zuviel Streß? Wie wäre das denn, wenn Sie arbeitslos wären, hätten Sie dann auch Streß?“
„Und wie, meine Frau würde mich killen!“
„Dann sehen Sie zu, daß Sie schnell herkommen, sonst haben Sie Doppelstreß!“
Er ist dann tatsächlich noch gekommen, nicht ohne mehrfach darauf hinzuweisen, daß er voll den Streß habe…
Immerhin haben wir es geschafft, den dicken Mann ordnungsgemäß einzubetten und zum Friedhof zu bringen.
Aber der Tag war und blieb Scheiße, kann man nicht anders sagen.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Keine Schlagwörter vorhanden
„Ein Blick von mir genügte und er wußte, daß weder eine partielle Vivisektion, noch eine nächtliche Sachbeschädigung in Frage kamen.“
Vivisektion am Toten ist schwer. 😉
@pflaegermeister: Auch wieder wahr. 🙂
„Manchmal hat der ein Pfund Butter mit den bloßen Fingern verdrückt“
HUNGER !!!
Makkaroni,viel Butter und Zucker drauf und dann schlurrrrppppppp
@Georg: Ich sehe schon Ihr Beinchen in den Treppengeländerstreben verkeilt…. -D
@Rita-Eva Neeser:
Zum Glück wohne ich im Erdgeschoss 😉
@Peter Wilhelm: @pflaegermeister: @Peter Wilhelm:
Die Vivisektion wurde dann übungshalber an Herrn Vossem durchgeführt, oder wie?@Georg:
Scheiße sagt man nicht, da ist die Bildung im Arsch.
Scheiße sagt man nicht, da ist die Bildung im Arsch.
@Llu: huch
Llu stottert…………….
@Georg: ….vor Lachen!
Hallo Peter, Du hast meinen Tag wieder einmal gut beginnen lassen:
„Aber nein, wo denken Sie hin, der hat sich manchmal Salz und manchmal Zucker drübergestreut.“ 😀
Aber mal was anderes:
„Die vom städtischen Bestattungsdienst holen jedes 48 Kilo-Mütterchen zu viert!“
Zeugt das nicht von einem durch übertriebene Sparsamkeit geprägten betriebswirtschaftlichen Denken (ich verkneif‘ mir da den umganssprachlichen Begriff, der mit „Ge“ beginnt und mit „iz“ endet 😉 )
Aber als Fazit kann man sagen, dass es Tage gibt, die man besser aus dem Kalender streichen sollte.
Herzliche Grüsse
Hajo
Herzlich gelacht, als ich mir vorgestellt habe, wie der Tote aus dem Auto geschossen kam 😀
P.S. Wo ist das Tippfehler-Formular?!?
Hab da was gefunden: dbaie
ach gefunden… so unscheinbar zu lesen
Da hab ich ja endlich noch ein weiteres Argument dafür warum ich statt Dachgeschoss dann doch lieber eine Erdgeschosswohnung haben wollte: „Damit der Bestatter es nicht ganz so schwer hat mit meiner Untergröße* wenn es dann mal soweit ist“
* Untergroß -> zu klein für mein Gewicht
Ich kann mich an so manchen Tag erinnern, wo ich mir nach der Arbeit beim Einsargen die Schuhe im stehen zubinden konnte!
Otto, die 320 Pfund schwere Buttercremetorte wird eines Tages auferstehen und Euch alle aus Rache zu 30 Tagen Donauwellendiät verdonnern.