Manchmal ist es ja so, daß man etwas vor hat und einfach nicht dazu kommt, es in die Tat umzusetzen.
So hatte ich mir nach dem abenteuerlichen Besuch von Lizzy Miller vorgenommen, des abends noch unbedingt mit Herrn Falk zu sprechen.
Insgeheim, und zwar so insgeheim, daß selbst ich nichts davon merkte, gefiel mir ja die Idee, daß jemand einen meiner Texte auf die Bühne bringen könnte. Das schmeichelte mir und Schmeicheleien sind das Öl, das die Vernunft ins Rutschen bringen kann.
Doch irgendwie gelang es mir nicht, Herrn Falk zu fassen. Am Abend dieses Tages mußte ich selbst zu einer Sitzung und am nächsten Tag hatten wir eine Trauerfeier im Haus, sodaß ich vollends beschäftigt war. Ich hatte nämlich vergessen, daß ich bei dieser Feier der Trauerredner sein sollte, und so hatte ich schon morgens um neun Uhr alle aus meiner Nähe vertrieben, um die nächste gute Stunde an meiner Ansprache zu feilen.
Danach kam noch ein neuer Trauerfall ins Haus und dann war irgendwie schon wieder Feierabend.
Kurz und gut: Danach folgte das Wochenende, die Kinder und ich hatten ein neues Spielzeug und waren viel draußen unterwegs und so gerieten der Sargschläfer und seine Freundin vom Berghof vorübergehend in Vergessenheit.
Es kam der Montag und ich sah Herrn Falk nur einmal kurz, wie er schwitzend gleich zwei Särge auf den Schultern vom Lastwagen des Lieferanten hob.
Na ja, arbeiten konnte der, da kann man nichts sagen.
Und nach diesem Montag folgte der Rest einer Woche, die so schnell verflog, wie kaum eine andere, und wieder war es Wochenende.
Am Samstagmorgen, ich salzte gerade mein Frühstücksei, da plapperte hinter der Zeitung mir gegenüber meine Frau los: „Du, Du bist in der Zeitung.“
Mit diesen Worten faltete Sie die Zeitung zusammen und schob sie mir, mit dem betreffenden Artikel nach oben zu.
Und tatsächlich, da stand in der schmalen Spalte an der Seite in der Reihe „Kultur vor Ort“ dieser Text:
„Der Tod kommt oft und unverhofft
Die bekannte Sängerin Lizzy Miller und der Schauspieler Heiner Falk spielen am Samstag um 19 Uhr im Luis-Trenker-Heim das morbide Stück „Der Tod kommt oft und unverhofft“.
Dazu spielen die Penny-Buckles und es gibt Haferbrei mit Haferflocken zum Selbstkostenpreis.
Nach längerer Abwesenheit von der Bühne beehrt Lizzy Miller das Publikum mit ihrem lyrischen Heldensopran und singt mehrere neu komponierte Stücke ihres kongenialen Mitstreiters, des aus Funk und Fernsehen bekannten Debütanten Heiner von der Gnaden. Nach einer Vorlage des Schriftstellers Peter Wilhelm spielt und singt das Paar ein schwarzhumoriges Stück. Eintritt 3 Euro.“
„Und? Gehst Du da hin?“ wollte meine Frau wissen.
„Wer? Ich? Da hin? Auf gar keinen Fall!“
„Könnte doch ganz lustig werden.“
„Meinetwegen.“
„Hast Du inzwischen mit Herrn Falk gesprochen?“
„Nein, ich hatte einfach keine Gelegenheit dazu. Aber am Montag, da werde ich ihn mir schnappen und ihn mal genauer interviewen.“
Und an diesem Montag wurde es endlich wahr. Schon frühmorgens brachte Frau Büser Herrn Falk zu mir, so wie ein Gefängnisschließer einen Gefangenen zum Knastdirektor bringt.
Herr Falk setzte sich mir gegenüber hin und seine blauen Augen glänzten vor Freude: „Das war so dolle, ich kann gar nicht sagen wie dolle das war“.
Mir ging das ganze Freuen und Strahlen allmählich auf die Nerven. Fast schien es mir, als stünden Herr Falk und seine Tin-Lizzy ständig unter irgendwelchen Drogen.
Ich hüstelte mir etwas Seriosität zurecht und versuchte grimmig zu gucken, um meinen nun folgenden Worten etwas mehr Nachdruck zu verleihen:
„Also, Herr Falk, das da neulich, wo Sie nachts in dem Sarg schlafen wollten, das geht nicht. Ich habe nichts dagegen, daß neue Mitarbeiter mal Probeliegen, aber hier nachts im Haus herumschleichen, das funktioniert nicht. Außerdem stört es mich, daß Sie mich, wie ich von allen Mitarbeitern hören, bei jeder sich bietenden Gelegenheit als ‚ihr’n Vadda‘ bezeichnen. Überhaupt geht mir das ganze Vertrauliche etwas zu weit. Außerdem ist neulich Ihre Bekannte hier aufgetaucht und wollte mich in irgendein Theaterstück oder so involvieren…“
Weiter kam ich nicht.
Der auf der anderen Seite des Schreibtischs in einem Sessel sitzende Mann hatte schon während meines ersten Satzes Tränen in den Augen gehabt, jetzt aber war er nach vorne über die Kante des Sessels geglitten, stumpf mit den Knien auf dem Boden aufgeschlagen, hielt sich kniend die Hände vor das Gesicht und ein Weinkrampf schüttelte ihn.
Ich kann schon mit weinenden Frauen nicht umgehen, vor allem dann nicht, wenn diese nicht aus Trauer, sondern aus Trotz, Selbstmitleid oder das Heulen als weibliche Waffe einsetzend weinen. Aber mit weinenden Männern komme ich noch weniger klar.
„Aber Vadda, das hab‘ ich nicht gewollt. Sie war’n doch so gut zu mir, ich hab mich hier doch so wohl gefühlt, ich hab doch alles gemacht und war fleißig“, schluchzte Herr Falk und flennte, immer wieder unter Tränen nach Luft schnappend weiter: „Das ist doch alles so schön gelaufen. Und jetzt soll Schluß sein, jetzt wollen Sie mich rauswerfen. Sowas passiert immer nur mit, ich bin vom Schicksal mit Pech verfolgt, jawoll. Ich hab’s doch nur gut gemeint…“
Mit den letzten Worten war er aufgesprungen und zur Tür gerannt, ganz kurz hatte ich sein Gesicht gesehen und da sah ich sie auch, den von Sandy beschriebenen irren Blick in seinen Augen.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Gleich zu Beginn darüber geschmunzelt: „Insgeheim, und zwar so insgeheim, daß selbst ich nichts davon merkte, gefiel mir …“ – ist so humorig ausgedrückt.
Ich sammle ja schöne Tippfehler(chen) oder Verschreiber(chen), und dieser wäre z.B. einer davon: „… in einem Sessel siezende Mann hatte …“ – der ergibt gerade hier bei diesem etwas plump-vertraulichen Heiner so einen „abartigen“ Sinn. – Na mal sehen, was es mit dem irren Blick noch so auf sich hat.