Allgemein

Der ideale Pfarrer

Der ideale Pfarrer nimmt sich Zeit für die Angehörigen, die ihn wegen eines Trauerfalles sprechen wollen. Er notiert sich die den Angehörigen wichtigen Dinge sorgsam und spricht ihnen Trost zu. Auch nach der Beerdigung steht er ihnen zur Seite.
Er spricht auch mit dem Bestatter, läßt sich darüber informieren, was die Angehörigen sonst noch anläßlich der Trauerfeier planen, erkundigt sich nach Sonderwünschen und berücksichtigt diese möglichst. Bei der Trauerfeier gibt er das im Trauergespräch Gehörte wieder, kennt vor allem die Namen und Daten und beherzigt Wünsche hinsichtlich der religiösen Ausprägung der Zeremonie.

Glücklicherweise arbeiten die meisten Pfarrer auch so und wir sind insgesamt sehr zufrieden, jedoch gibt es da den einen oder anderen Helden vor dem Herrn, der sich den jahrzehntelangen Zorn der Trauerfamilie redlich verdient:

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Bei einer der gestrigen Beerdigungen waren die Angehörigen hinterher ziemlich erzürnt über den Geistlichen. Er hatte so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.

Ein Beratungsgespräch hat überhaupt nicht stattgefunden. Nachdem die Familie beim Pfarrbüro angerufen hatte, wurde ihnen mitgeteilt, sie hätten bitte am nächsten Tag um 11 Uhr dort zu erscheinen. Die Pfarrsekretärin kassierte zunächst einmal 30 Euro „Taxigebühr“ und notierte sich dann die Daten der Verstorbenen und die Wünsche der im Stehen abgefertigten Angehörigen.

In seiner Ansprache nannte der Pfarrer dann die Verstorbene immer Maria, obwohl sie Martha hieß und erst deutliches Gehuste und heftige Winkzeichen eines Angehörigen in Richtung der mit Martha beschrifteten Sargschleife brachten den Pfarrer dann auf den richtigen Weg. Statt von der kürzlich erst stattgefundenen Goldhochzeit sprach er von der Silberhochzeit, und den Witwer sprach er gleich drei Mal mit „lieber Herr Schneider“ an, obgleich der Mann auf den schönen Namen Karczowynczyk hört.
Obwohl die betagte Frau Karczowynczyk sechs Jahre lang qualvoll vor sich hin gestorben ist, vergaß der Pfarrer auch nicht zu erwähnen, daß es bitter ist, „eine so fleißige Hausfrau und Mutter so plötzlich und unerwartet aus der Mitte ihres Lebens gerissen zu bekommen“.

Das alte Mütterlein soll, so der Geistliche, immer fleißig bei der Freiwilligen Feuerwehr gedient haben, wenngleich der Enkel der Verstorbenen dort aktiv ist und er es war, der bei der Pfarrsekretärin gesagt hat, es würde noch der Spielmannszug der Feuerwehr vor der Kapelle etwas vortragen.

Das alles trug der Pfarrer so langsam und gedehnt vor, daß zwischen einzelnen Tränenschüben lautstarkes Gähnen in der Trauerhalle zu hören war. Die anschließende Zeremonie am Grab, die bei strömendem Regen stattfinden mußte, dehnte er dann so in die Länge, daß die Hälfte der Trauergäste vollkommen durchnässt und mit Friedhofslehm verschmutzt waren. Und das obwohl man ausdrücklich um ein kurzes und schmerzloses Vorgehen gebeten hatte.

Das alles hätten die Angehörigen aber hingenommen. Doch eins brachte das Faß zum Überlaufen:
Angesichts der riesengroßen Zahl von Trauergästen, weit mehr als bei so alten Menschen normalerweise kommen, hatte man ausdrücklich darum gebeten, der Pfarrer möge doch ganz zum Abschluß sagen, daß nur die engsten Familienangehörigen anschließend in den „Schwarzen Ochsen“ gehen. Stattdessen verkündete der Pfarrer mit jovialem Unterton, daß die Angehörigen alle Trauergäste zum Essen und Trinken einladen.

Dann setzte er sich in sein Taxi und fuhr zu einem anderen Friedhof zur einer anderen Beerdigung, vermutlich um dort immer von der lieben verstorbenen Frau Martha Karczowynczyk zu sprechen.

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