Ich hab‘ das schonmal erzählt, ich bin ohne Großeltern aufgewachsen. Ja klar, ich habe welche gehabt, schon aus rein genealogischen Gründen. Aber ich habe sie, bis auf eine Oma, nicht gekannt, weil sie längst verstorben waren, als ich auf die Welt kam. Mein Opa mütterlicherseits wurde 1875 geboren.
Die Oma väterlicherseits habe ich noch erlebt, da war ich kaum zwei Jahre alt. Den Teddy, den sie mir damals geschenkt hat, habe ich heute noch, er sitzt im Schlafzimmer auf der Fensterbank.
Wenn man keine Großeltern hat, dann fehlen einem einfach Erfahrungen, die andere Kinder machen können. Ich meine, mein Schwiegervater ist heute an die 90 Jahre alt, meine Kinder sind schon um die 30. Das sind ja ganz andere Voraussetzungen. Für sie ist es selbstverständlich, Opas und Omas zu haben.
Ich habe das immer ein bißchen vermisst. Schon als kleines Kind war ich gerne mit alten Leuten zusammen, die zu uns zu Besuch kamen. Ich habe in manchen ganz gewiss so ein bißchen den Ersatz für Opa und Oma gesucht.
Auf jeden Fall habe ich zeitlebens immer viel Respekt und Achtung vor alten Menschen gehabt.
Es ist frühmorgens. Ich bin zwar schon tischfein angezogen, aber noch weit davon entfernt, funktionstüchtig zu sein. Nein, ich bin kein Morgenmuffel, sondern immer schon ein frühaktiver Frühaufsteher gewesen. Aber ohne Kaffee und ein bißchen Anlaufzeit geht da gar nichts.
Um genau 6 Uhr dingdongt der Gong an der Haustür des Beerdigungsinstituts. Auf dem Monitor im Flur sehe ich, dass ein alter Mann draußen steht.
„Ich hab’ ein wacker Tagwerk zu verrichten, da muss ich früh anfangen, um fertig zu werden“, lautet seine Erklärung für das frühe Erscheinen. Er habe später noch einen Termin beim Pillermanndoktor, wie er den Urologen nennt. Dann müsse er noch die Winterreifen aufziehen lassen, und bis um elf muss er wieder daheim sein, weil dann das Essen auf Rädern kommt.
Vorher, so eben, fast schon nebenbei, will er kurz mal die Beerdigung seiner Frau organisieren, die gestern Abend gestorben ist und nun noch immer tot im Wohnzimmer auf der Couch liegt.
„Die ist einfach eingeschlafen. Ich denk‘ noch, die muss gar nicht so oft pullern, wie sonst, dann sag‘ ich was zu ihr, aber da war sie schon tot und konnte nicht mehr antworten. Der Doktor hat gesagt, ich muss nicht sofort den Bestatter rufen, denn wenn der nachts kommt, wird das teurer.“
Da hat er Recht.
Jetzt soll seine Frau noch ein, zwei Stunden da liegen bleiben, denn nach dem Mittagessen komme noch eine Nichte zu Besuch. „Die weiß noch gar nicht, dass die Hertha tot ist, die will nur so zu Besuch kommen. Aber die bringt sowieso immer Blumen mit, das passt ja dann heute ganz besonders.“
Nun sitzt Herr Olz, so heißt der Mann, vor mir und hat ziemlich genaue Vorstellungen davon, was alles geschehen soll. Bei den Älteren, und nicht nur bei denen, gibt es zwei Sorten von Menschen. Die einen wollen sich partout nicht mit der eigenen Endlichkeit beschäftigen, die anderen haben das alles schon durchdacht und besprochen.
„Ich bin 94 Jahre alt, da sollte man sich schon mal Gedanken über den Tod gemacht haben. Der Zappenduster-Mann kann ja jede Sekunde vorbeikommen, oder?“
Seine Frau soll erdbestattet werden und er möchte gerne ein Familiengrab für die ganze Familie.
Wer denn da, außer ihm selbst vielleicht, noch alles hinein soll, erkundige ich mich.
„Ja, die ganze Familie.“
„Wer ist das denn alles?“
„Ja, die Nichte vielleicht, sonst haben wir niemanden mehr. Wenn man so alt geworden ist, wie ich, dann überlebt man halt viele. Ja, wenn ich recht überlege, ist es nur diese Nichte.“
„Und die will eventuell in dieses Grab?“
„Warum denn nicht?“
„Wo wohnt die denn?“
„In Flensburg.“
„Da würde ich dann doch aber erst mal fragen, ob die das überhaupt will. So ein Grab ist ja doch recht groß, ziemlich teuer und hat auch eine lange Laufzeit.“
„Wie jetzt Laufzeit?“
„Na ja, man mietet das Grab für 20 oder 30 Jahre an, das geht bis zu 50 Jahren. Und das kostet entsprechend.“
„Da nehme ich natürlich 50 Jahre, ist doch klar.“
„Und wer soll das Grab pflegen?“
„Ich mach doch auch die Blumenkästen am Balkon, da werde ich so ein Grab auch noch schaffen.“
„Unterschätzen Sie das mal nicht. Und, wenn Sie es mir gestatten, muss ich doch auch auf Ihr fortgeschrittenes Alter hinweisen.“
„Na, so zehn bis zwanzig Jahre schaffe ich das noch.“
Ich sag‘ nichts dazu. Ich meine, viele werden ja heute locker über 100 Jahre alt, aber man muss ja auch realistisch bleiben, und da ist es eben so, dass der Sensenmann ganz bestimmt schon die Adresse von Herrn Olz in sein Navigationsgerät eingegeben hat.
Ich frage nur: „Und dann?“
„Dann kann das die Nichte aus Flensburg übernehmen, die erbt ja auch alles.“
„Wissen Sie was, lieber Herr Olz? Ich hab‘ das alles aufgeschrieben. Am Besten erledigen Sie jetzt das mit dem Arzt und den Winterreifen. Und wenn dann heute Mittag ihre Nichte kommt, besprechen Sie das alles ganz in Ruhe mit ihr. Sie können auch mit Ihrer Nichte nochmal herkommen.“
„So machen wir das! Ich muss jetzt auch los, der Pimmelmanndoktor wartet schließlich nicht auf mich und nimmt sonst jemand anders dran.“
Nachmittags war er dann mit seiner Nichte da. Die Dame war auch schon 70 Jahre alt. Was kam dabei heraus: Feuerbestattung, kleines Urnengrab, 15 Jahre Laufzeit, der Friedhofsgärtner übernimmt die Pflege.
Passt besser.
Bildquellen:
- opa55_800x500: Peter Wilhelm ki
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