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Die Eiche

Manni hat viel zu tun. Im Laufe von nur zwei Wochen haben vier Aushilfsfahrer aufgehört. Der eine hat eine Festanstellung bei einem Mitbewerber bekommen, einer zieht weg und einer hat endlich eine Stelle in seinem eigentlichen Beruf gefunden. Vom vierten wissen wir nichts, er ist einfach nicht mehr erschienen und geht auch nicht mehr ans Handy.

Auf die Stellenanzeige in der Zeitung haben sich sehr viele Bewerber gemeldet und Manni und Frau Büser hatten bereits eine gewisse Vorauswahl getroffen. Das machen wir seit einigen Jahren so, damit sich nicht erst beim Gespräch mit mir herausstellt, daß einer der Kandidaten keinen Führerschein hat und wegen eines ärztlichen Attests nur 20 Kilo heben darf.

Am Ende sind fünf Mann übrig geblieben und davon sind auch vier tatsächlich einige Tage später zum Dienst angetreten. Nun ist es an Manni, die Männer in das berufliche Umfeld einzuführen und ihnen die Feinheiten beizubringen.

Meiner Meinung nach ist „learning by doing“, also das direkte Einlernen beim Arbeiten immer noch die beste Methode. Es ist schön, daß es inzwischen Bestatterschulen gibt und viele Menschen dort einen Abschluss machen können, aber -wie sehr viele Kollegen auch- bin ich immer noch davon überzeugt, daß man diesen Beruf am besten von der Pieke auf erlernt.
Davon einmal abgesehen ist es ja auch so, daß man im Bestattungsgewerbe eine gewisse Fluktuation an Personal hat. Die Stamm-Mannschaft bleibt oft über Jahrzehnte, aber die Fahrer und Helfer wechseln dann doch immer mal wieder. Und die kann man nicht für eine Tätigkeit von vielleicht 3-5 Jahren erst noch 1-3 Jahre auf irgendeine Schule schicken.

In Manni habe ich jemanden, der nie eine Bestatterschule von innen gesehen hat, der weder Bestattungsfachkraft, noch „Funeral Master of the Universe“ ist, noch Bestattermeister oder fachgeprüfter oder verbandsgeprüfter Bestatter, sondern jemand, der sich so gut auskennt, daß er ohne weiteres an jeder dieser Schulen als Lehrer anfangen könnte.

Antonia kommt an meinem Büro vorbei und ich rufe ihr die Frage zu, ob sie weiß, was Manni gerade macht. Eigentlich wollte ich mit ihm den Fahrtenplan kurz durchgehen, doch Antonia teilt mir mit, Manni sei im Keller mit den Neuen beschäftigt und übe mit denen.
Ich schaue mir Antonia näher an und tippe mir an die Nase. Das soll ein Zeichen für sie sein, denn sie hat sich da mit irgendeiner grünen Zuckermasse verschmiert.

Ein paar Minuten später kommt Frau Büser in mein Büro und legt mir Laufzettel hin, die sie bei Manni im unteren Geschoss geholt hat. Auch sie hat einen grünen Fleck, genauergesagt einen grünen Streifen und zwar oben rechts hinten an der Schulter.

Sandy bringt mir Kaffee und ich sehe, daß sie grüne Handrücken hat…

Was ist da los?

Meine Frau kommt kurz rein, gibt mir einen Kuss und verabschiedet sich; sie muß in die Stadt und fragt, ob sie irgendwas mitnehmen kann oder abholen soll. Das ist oft sehr praktisch, denn wenn sie schon mal in die Stadt fährt, kann sie meistens noch irgendwelche Unterlagen beim Standesamt abholen oder abgeben. Aber heute ist das nicht der Fall.
Ich sage aber zu ihr: „Du, wenn Du jetzt in den Keller runterfährst, dann guck doch mal, was die da treiben, jeder, der mir heute Morgen begegnet, hat grüne Flecken irgendwo.“

„Grüne Flecken?“

„Ja, grüne Flecken!“

„Und Du bist sicher, daß es nicht an etwas anderem liegt, daß Du grüne Flecken siehst?“

„Sag mal, warum suchst Du eigentlich bei jedem und allem immer erst den Fehler bei mir?“

„Erstens mache ich das gar nicht und zweitens liegt er ja auch meistens bei Dir.“

„Wieso das denn?“

„Weil Du ein Mann bist und bei den Männern hat Gott bekanntlich geschlampt, vielleicht war sie da schon müde.“

Ich seufze nur, sie geht.

Es vergehen kaum vier oder fünf Minuten, da steht sie wieder in der Tür, sie beugt ihren Oberkörper, muß sich den Bauch halten, sie gluckst vor Lachen, kann kaum sprechen und endlich höre ich aus dem albernen Gekicher und Gegluckse heraus, ich solle jetzt sofort und unverzüglich und auf der Stelle in den Keller runtergehen.

Ich mache mich auf den Weg und höre noch, wie meine Frau sagt: „Und nimm Sandy mit!“
Sandy geht von sich aus mit und wir fahren mit dem Aufzug runter, Sandy, meine Frau und ich.

Im Keller biege ich um die Ecke, gehe durch das Sarglager, an den Kühlkammern vorbei und biege nach rechts ab, wo die Werkstatt ist und von wo es sich in den Aufenthaltsraum, den Präparationsraum und die Wagenhalle verzweigt.
Vor der Werkstatt steht ein einfacher Sarg auf niedrigen Holzböcken. Ringsherum stehen die vier Neuen und Manni. Sie haben Einwegschürzen aus Plastikfolie umgebunden, tragen Latexhandschuhe und üben am offenen Sarg.

Alle Männer sind über und über mit grüner Farbe verkleckst und auch sonst gibt es jede Menge grüne Tupfen ringsherum.
Einer der Männer verdeckt mir die Sicht auf den Sarg und erst als er beiseite tritt, sehe ich das ganze Malheur!

Im Sarg liegt eine aufblasbare Sexpuppe mit gefesselten Armen und Beinen und einem einladend geöffneten Mund und billig aufgeklebten falschen, blonden Haaren. Diese Puppe ist über und über mit grüner Farbe eingeschmiert, was die Szene so wirken läßt, als stünden die Männer um einen eben aufgefundenen toten Außerirdischen vom Planeten Porno herum.

„Was ist hier denn los?“ frage ich, die Männer fahren herum und Sandy, die ja mit mir von oben heruntergekommen ist, sagt sofort: „Ich kann nix dafür.“

„Doch!“ sagt Manni und verdreht die Augen.

„Also, was ist hier los?“ frage ich erneut und muß meine Frau etwas beiseite schieben, weil die sich vor Lachen krümmt und nun auch noch mit dem Handy Fotos machen will.
Sie kommt nicht dazu. Erstens nehme ich ihr das Handy einfach weg, nicht auszudenken, wenn solche Bilder im Netz auftauchen, und zweitens hätte ich das gar nicht machen müssen, denn wenn (m)eine Frau irgendetwas nicht kann, dann ist es das Aufrufen einer Handyfunktion die nicht der sofortigen Kommunikation dient. Da hat Gott geschlampt, genau da!

Manni guckt mich entschuldigend an und erklärt mir die Situation.
Schon seit Jahren übe er das Thema Sarghygiene mit neuen Männern auf diese Weise.
Eine hastig zusammengeschnürte Stoffpuppe oder ein Müllsack voller Folie als Dummy reiche ihm dafür. Diese Ersatzleiche färbe er dann mit irgendeinem Farbrest ein und dann müssen die Männer es üben, wie man nun die Leiche von der Trage auf den Tisch und in den Sarg bekommt, wann man die Handschuhe anzieht und wann man sie wieder auszieht, ohne sich und die Umwelt mit der Leiche in Berührung zu bringen.
Die Farbe helfe sehr dabei den Neuen klar zu machen, daß man sich beispielsweise mit den Handschuhen, mit denen man an der Leiche war, nicht an der Nase kratzt usw.

Ja und nun habe er heute Morgen Sandy gefragt, ob die oben noch Papierschnipsel vom Shredder haben, damit er damit einen Sack füllen und sein Dummy bauen kann. Da habe Sandy gesagt, sie habe was viel Besseres und sei mit der aufblasbaren und stets willigen „Miss Lulu“ angekommen.

Zuerst habe er das für eine gute Idee gehalten, aber dann habe sich herausgestellt, daß die „Plastiktante“ immer so gespreizte Beine und diese weit ausladenden Arme habe. Also habe man sie mit Gewebeband so gefesselt, daß die Füße zusammenbleiben und die Arme anliegen.

Nur halte das Gewebeband nicht so richtig und deshalb ploppten manchmal die Beine auseinander oder die Arme seitlich weg und dann spritze es etwas grün herum…

Das ist einer der Momente, in denen ich mir anhöre, was mein Volk der Untergebenen so brabbelt und in denen ich dann ganz tief durchatme, in mein Büro hoch gehe und ganz alleine sein will – ganz alleine mit mir, einer Tasse Kaffee und einer Zigarette. Ich schaue dann aus dem Fenster auf die alte Eiche in Nachbar Nasweis-Lästigs Garten und denke, wie schön es doch wäre, eine Eiche zu sein.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

keine vorhanden

Mitarbeiter / Firma

Hier erzähle ich Geschichten aus meinem Bestattungshaus und insbesondere über meine fabelhaften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Namen sind verändert. Manchmal wurde auch mehrere Personen zu einer Erzählfigur zusammengefasst.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 31. Mai 2012 | Peter Wilhelm 31. Mai 2012

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12 Jahre zuvor

Tom, deine Beschreibungen von Situationskomik sind wirklich die Allerbesten! Aber dass sowas immer bei dir passiert…. 😉

Christians Ex
12 Jahre zuvor

Viel zu schade, in dem Moment eine Eiche zu sein. So ein Lachanfall tut aktuell bisweilen in den betroffenen Muskelpartien zwar sogar weh und sorgt für Atemnot, ist aber ungemein gut für die allgemeine Laune.

Im Übrigen war Gott nicht schon müde, sondern bestenfalls [i]noch[/i] und sie soll nach allgemeiner Meinung beim Manne geübt haben, nur mal so zum besserwissern für dich beim nächsten Schlagabtausch.
Und Handys wurden von Männern erfunden, that’s it. Die wollten wieder mal blinkendes, piependes, technisches Spielzeug. Dass Frauen das Ding als Quasselknochen benutzen, ist da eher so eine Nebenwirkung.

hajo
12 Jahre zuvor

Lieber Tom, Du tust mir herzlich leid: Du kannst noch nicht einmal in den Keller gehen
.. zum Lachen 😀

12 Jahre zuvor

Ich hab den Text jetzt dreimal gelesen und bin immer noch mit Lachen beschäftigt. Lass die Eiche Eiche sein, die hat bestimmt nicht so viel zu Lachen!

Chrisitan
12 Jahre zuvor

der letzte Satz^^ einfach nur küstlich^^

Michael
12 Jahre zuvor

Ist es schlimm wenn ich die Idee von Mannie und Sandy garnichtmal so schlecht finde?

Anita
12 Jahre zuvor

Wieso hat Sandy eine Sexpuppe griffbereit?

Melvin
12 Jahre zuvor

Nach alledem was man hier in den Storys über Sandy liest sollte das eigentlich keinen mehr verwundern, dass sie eine Sexpuppe griffbereit hat 😉

Musste aber auch sehr lachen beim Lesen, ich konnte es mir geradzu bildlich vorstellen. Aber prinzipiell find ich die Idee auch nicht so verkehrt.

Kirstin
12 Jahre zuvor

„Funeral Master of the Universe“ <--- DAS will ich in meinem nächsten Leben werden. 🙂

12 Jahre zuvor

Ist das herrlich! 😆 Ich habe grad eifrigstes Kopfkino! 😆

Big Al
12 Jahre zuvor

Urnenfachabfüllkraft: Master of the Blechbembel.
B. A. (böse heute)

Kadder
12 Jahre zuvor

„learning by doing“ heißt das nicht mehr das ist ja so 19xx 🙂
„Training on Job“ sagt der Denglisch-Kenner 😉

12 Jahre zuvor

@Kadder
„Training on Job“ heißt „Training on the Job“ und ist noch älter, gab’s nach meiner eigenen Erfahrung schon ’78, vielleicht auch früher.

@B.A.
MA = Meistä der Aschebeschä

Big Al
12 Jahre zuvor

@ kall.
Eine Anspielung auf die hessische Aussprache des Namens einer nordbayrischen Stadt? So mit „AB“ auf dem Autokennzeichen?
B. A.

Mort
12 Jahre zuvor

@B.A.: „Nordbayern“ ist ungeschickt, dass ist ungefähr so, als würde man ’nen Düsseldorfer als Kölner oder ’nen Schwaben als Badener bezeichnen. Die „Aschebeschä“ sind *Franken*, auch wenn sie jeder Franke außerhalb der Region für Hessen halten würde… *gdnr*

Designierter Komposti
12 Jahre zuvor

Ich merke schon, mir fehlt jede aufgeklärte Phantasie: aber was zum Kuckuck fängt Sandy mit einer Sexpuppe an?

havyrl
12 Jahre zuvor

Ich musste mich echt gerade um hier nicht lauthals im Büro loszulachen. Genial!

@16 Frauengespräche? Ansonsten ist das vielleicht etwas für mhm schmutzige Männerphantasien.

Astrid
12 Jahre zuvor

Hey, aber diese Idee zum Vorführzweck finde ich durchaus gut! Ist halt nur ein bissel entgleist…

12 Jahre zuvor

Au…Au…Au…!
Ich hab Unterricht, verdammt… Ich weine gerade vor Lachen! Herrlich dieses Bild in meinem Kopf!
Danke für diesen schönen Montagmorgen!

8 Jahre zuvor

Irgendwie muß ich grad schwer an Tom Sharpe („Puppenmord“) denken! :-)))))
Aber daß man als Bestatter so viel zu lachen hat, ist doch wieder tröstlich…




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