Geschichten

Die Kuckucksuhr -VI-

Es ist wirklich kaum auszuhalten. Man wundert sich ja manchmal, wie schnell Gerüchte sich verbreiten.
Wie eine metastasierende Krebsgeschwulst bilden sie eigenständige Absiedlungen, kleine lokale Tochtergerüchte, die weitergesponnen werden, zu denen etwas hinzugedichtet wird und die auf ganz eigentümliche Art ein sonderbares Eigenleben führen.

Am südlichen Ende der Hauptstraße, dort wo die Gemüsefrau ihren Laden hat, hält sich noch hartnäckig die Schuhgeschichte. „Man stelle sich vor, aber das sage ich nur unter dem Schwiegel der Versiegenheit, da hat doch der Bestatter die Schuhe für sich behalten wollen, statt sie dem Toten anzuziehen.“

So ungefähr 800 bis 805 Meter weiter, also ziemlich in der Mitte der Hauptstraße, heißt es, wir hätten ein paar Schuhe aus dem Schuhsammelcontainer einer Wohlfahrtsorganisation herausgefischt und dem Toten gegen seinen Willen appliziert.

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Am nördlichen Ende der Hauptstraße geht das Gerücht um, wir hätten Geld aus Uganda unterschlagen. Der Gerüchteverbreiter, ein Kioskbesitzer mit ganz häßlichen Wurzeln im Saarland, hat zwar keine Ahnung von was er da spricht, beteuert aber den zuhörenden Gerüchteempfängern, die Sache habe auf ominöse Weise irgendetwas mit Schuhe zu tun, er werde den Rest auch noch erfahren und wenn er mehr weiß, dann will er das alsbald nachtragen.

Die Birnbaumer-Nüsselschweif ist ebenfalls in die Schuh-Affäre verwickelt. Sie hat nämlich bei Frau Mandel inzwischen sämtliche Kleidungsstücke des verstorbenen Herrn Mandel abgeholt und bei einem der örtlichen Altersheime abgeliefert. Dort hat man sich die besten Stücke herausgesucht und der Kleiderkammer zugeführt. Mit dem ganzen Rest und sämtlichen Schuhen, die wollte man nämlich gar nicht haben, ist sie dann wieder bei Frau Mandel aufgetaucht und hat sie ihr wieder in den Flur gestellt.
Man muß sich das nochmals auf der Zunge zergehen lassen:
Die Witwe ist froh, daß jemand die gut gepflegte und zum Teil wenig getragenen Sachen ihres Mannes haben möchte. Sie hat einige Stücke extra noch von Kaisers Reinigung und Heißmangel abholen und säubern lassen. Alles hing schön unter Plastikfolie auf Bügeln und die bestens geputzten Schuhe steckten alle noch in ihrem Schuhkarton.
Mit Wehmut schaute sie zu, wie Frau Birnbaumer-Nüsselschweif im Auftrag des Mütterkreises die Sachen abholte und als dann die Tür zuschnappte, hatte Frau Mandel ein paar Tränen in den Augen und sagte: „Ach Schorschi, jetzt biste ganz weg.“

Und dann kommt die Birnbaumer ein paar Tage später und stellt ihr den ganzen restlichen Krempel in zwei blauen Müllsäcken einfach wieder hin. „Können’se in die Altkleider werfen, für zum Putzlumpen draus machen.“

Frau Mandel war ziemlich entsetzt, ließ sich aber nichts anmerken, sondern von Frau Birnbaumer-Nüsselschweif zum Friedhof fahren. Auf dem Rückweg schaute Frau Mandel kurz bei uns herein, die Birnbaumer wartete im Mercedes, und erzählte mir das alles. „Mit irgendwem muß ich mal darüber sprechen. Ich hab‘ mich doch ziemlich geärgert. Die guten Sachen, einfach in Müllsäcke gestopft. Da hätte sie die lieber gleich selbst in den Container geworfen.“

Ein günstiger Moment für mich, um mal das dumme Schuhthema anzusprechen, doch Frau Mandel winkt ab: „Ich weiß schon was ich an Ihnen habe, machen Sie sich keine Gedanken.“
Gut so; und wenn der Moment schon mal günstig ist, spreche ich sie auch auf Frau Birnbaumer-Nüsselschweif an und lasse mal ganz vorsichtig durchblicken, daß ich die dicke Berufsmutter nicht für besonders aufrichtig halte.

In diesem Moment passiert etwas Merkwürdiges. Es scheint so, als gingen vor Frau Mandels Augen zwei Rollos herunter und von einer Sekunde zu anderen hat sie so einen weichen, hilfsbedürftigen Zug um die Augen und meint: „Ach, die herzensgute Frau Birnenbaum, die ist ja soooowas von nett, aber wirklich soooowas von nett, die bringt sich ja fast um für mich und kümmert sich, nein, was die sich kümmert!“

„Na, dann passen Sie nur mal auf, daß die sich nicht zuviel um sie kümmert. Ich finde, Sie haben der schon genug geschenkt.“

Zwar hat Frau Mandel immer noch diesen weh- und notleidenden Blick eines von der Mutter verlassenen Rehkitzes in den Augen, aber für den Bruchteil einer Sekunde funkelt da etwas auf, was mir das Gefühl gibt, daß Frau Mandel eigentlich ganz genau weiß, was sie da macht.
Aber das ist nur mein ganz subjektiver Eindruck. Tatsächlich sagt sie aber: „Noch ein paar Tage, dann fahren wir in die Schweiz. Wir wollten ja eigentlich schon gefahren sein, aber ich hatte doch noch einen Arzttermin. Aber jetzt fahren wir wirklich, ich habe schon meine große Tasche offenstehen und packe so nach und nach meine Sachen zusammen. Eigentlich kann ich ja das Haus gar nicht betreten, mir graust es davor, da erinnert mich bestimmt sehr vieles an meinen Schorsch, aber man muß ja mal nach dem Rechten schauen. Außerdem nehme ich immer so an die 2.000 Euro mit, die bekommt der Urs, das ist ein ganz netter Trampolinspringer, der im Haus nebenan wohnt. Der macht den kleinen Garten und kümmert sich immer so nett um alles.“

Mir ist ja nicht wohl bei dem Gedanken, daß die alte Frau mit so viel Bargeld und der Birnbaumer-Nüsselschweif in die Schweiz fährt. Eins ist doch sonnenklar: Die Birnbaumer wird alles versuchen, um sich in den Besitz des Hauses zu bringen. Ich bin fest davon überzeugt.

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