Und dann ist da dieser eine Tag, an dem du als Bestatter pünktlich zur Trauerfeier einen Sarg zum Friedhof bringst und alles für eine große Trauerfeier richtest.
Frau Gudrun Schummer war Gymnasiallehrerin für meine ehemaligen Hassfächer Mathematik, Chemie und Sport. 40 Jahre lang hat sie Kinder unterrichtet und war Bestandteil eines großen Lehrerkollegiums. Auch in ihrer Freizeit hatte sie ihrer Leidenschaft, dem Sport, gefrönt und war Mitglied in zwei Sportvereinen. Bei der Alemannia 1811 trainierte sie Leichtathletik und machte fast jedes Jahr das Sportabzeichen. Und im Verein der örtlichen DJK gab sie selbst Gymnastik- und Rückenkurse für Ältere.
Spreche ich hier von Freizeit, so spreche ich von genau den Stunden, die sich die Lehrerin für diese beiden Sportvereine abzwackte. Den Rest der Zeit nahm die Pflege ihrer kranken Mutter in Anspruch, die seit 22 Jahren durch einen schweren Schlaganfall ans Bett gefesselt war.
Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder war wegen des Berufs schon Jahre zuvor mit seiner Familie nach Norddeutschland gezogen und hatte sich von der Situation seiner Mutter nichts angenommen.
„Na ja, der hat ja zwei Töchter, da kann ich nicht erwarten, dass er sich auch noch um Mama kümmert. Ich bin ja alleine, da kann ich das schon besser als er“, hatte Frau Schummer während eines unserer Gespräche gesagt.
Sie war nämlich zu mir gekommen, um eine Bestattungsvorsorge für sich abzuschließen. „Ich bin ledig und hab‘ nur meine kranke Mutter, wer soll sich da um alles kümmern? Da ist es besser, wenn ich alles regele, um sicherzugehen, dass ich eines Tages wenigstens anständig unter die Erde komme.“
6.000 Euro hatte die Frau für ihre Beerdigung an die Seite gelegt und in bar mitgebracht. Bezahlungen an uns im Voraus nahmen wir aber nie an. Das hat nämlich viele Nachteile. Stattdessen haben wir empfohlen, die Vorsorgegelder bei einer Gärtnergenossenschaft auf ein Treuhandkonto zu legen, was viel angenehmer, sicherer und zinsbringender ist. Später dann haben wir die Vorsorgekunden immer dazu bewegt, eine Einmalzahlung bei einer Sterbegeldversicherung zu leisten, da vermehrt sich das eingezahlte Geld schlagartig um rund 700 bis 1.000 Euro.
Was ich aber nie gemacht habe: Ich habe ältere Leute nie wieder mit dem Haufen Bargeld nach Hause geschickt.
Einmal ist es uns nämlich passiert, ich glaube, der Mann hieß Kupfernagel, dass der alte Herr nach dem Besuch bei uns nicht mehr gewusst hatte, wo er seine wieder mit nach Hause genommenen 3.000 DM hingetan hatte. Seine Tochter war dann bei uns aufgeschlagen und hatte kreischend gefordert, dass wir das unterschlagene Geld zurückgeben sollen. Gott sei Dank gab es damals noch kein Social Media, sonst hätte die Tante gewiss einen hektischen Shitstorm entfacht. So eine Rufschädigung kannst du ja kaum wieder gut machen.
Drei Wochen lang besuchte sie uns immer wieder, rief zu jeder Tages- und Nachtzeit bei uns an, ließ eine Anwältin schreiben und schickte uns hasserfüllte Beschimpfungsbriefe. Dann kam die kurze telefonische Nachricht, sie habe das Geld in einem mit „Bestattung“ beschrifteten Umschlag im Vogelhäuschen auf dem Balkon ihres Vaters gefunden. Kein Wort der Entschuldigung.
Seitdem hatten wir es so gehandhabt, dass wir den Empfang des Geldes quittierten und den Betrag am selben Tag auf ein Anderkonto1 unseres Notars einzahlten. Von dort ging es dann später per Überweisung an die Sterbegeldversicherung oder, falls die Vorsorge nicht zustande kam, direkt an den Überbringer zurück.
Nur sollte man niemals alte Leute mit viel Bargeld durch die Gegend laufen lassen. Oft werden sie schon beim Abheben beobachtet und dann von bösen Menschen um ihr Geld gebracht.
Zurück zu Frau Schummer.
Sie war ja beim Abschluss ihrer Vorsorge erst so knapp über 60 und nahm ihr Geld wieder mit, um es bei der Sterbegeldkasse einzuzahlen. Dafür hatte sie sich einen schönen Eichensarg mit Schnitzungen ausgesucht und eine schöne Trauerfeier mit Musik und vielen Blumen bestellt. Auch eine große Todesanzeige in der Zeitung gehörte dazu. Alles in allem eine Bestattung, wie sie für eine Frau ihres Standes angemessen erschien und die sicherstellt, dass die Trauergäste ein würdevolles Zeremoniell erleben würden.
So acht Jahre später, es war so um diese Jahreszeit jetzt, erreichte uns der Anruf eines Pflegedienstes. Frau Schummer ist verstorben und wir möchten bitte zu ihrem Haus kommen, um sie abzuholen.
Als wir dort eintrafen, wartete eine Krankenschwester schon auf uns. Sie hatte im Nachtschränkchen der Verstorbenen den kleinen Vorsorgeausweis gefunden und uns verständigt. Ob Frau Schummer pflegebedürftig gewesen sei, erkundigte ich mich. Nein, sie sei wegen Frau Schummers Mutter da, die immer noch lebte und bei deren Pflege sie täglich helfe. Jetzt komme die alte Frau mit über 90 Jahren noch in ein Heim, denn, so wie sie gehört habe, sagte die Krankenschwester, habe die pensionierte Lehrerin nicht damit gerechnet, vor ihrer Mutter zu versterben, und das Wohnhaus ohne Auflagen und Verpflichtungen den inzwischen erwachsenen Kindern ihres Bruders vermacht.
„Das schöne Haus geht an die zwei Nichten?“, hakte ich nach.
„Ja, das hat Frau Schummer so gewollt. Das restliche Geld erbt ja nun die Mutter. Damit hat Frau Schummer wohl auch nicht gerechnet. Die dachte, das Geld ginge alles an ihren Bruder. Aber der kriegt vermutlich nur einen Pflichtteil oder so.“
„Hatte die denn so viel Geld?
„Also mich geht das ja nichts an, aber sie war auch mir gegenüber immer sehr großzügig und hat uns vom Pflegepersonal immer mal schöne Trinkgelder zugesteckt. Und so sind wir mal bei einer Tasse Kaffee ins Plaudern gekommen. Als Beamtin verdient man ja nicht schlecht, und im Gegensatz zu uns Normalsterblichen, die wir mit weniger als der Hälfte von fast Nichts auskommen müssen, bekommen die Beamten ja eine fette Pension. Sie hat mir mal im Vertrauen erzählt, sie habe fast eine Million gespart2. Ach, was könnte ich mit so viel Geld anfangen (seufzt).“
Mir blieb damals fast die Spucke weg, aber ich habe das abends mal im Kopf grob durchgerechnet und war erstaunt, wie viel Geld man so sparen kann, wenn man keine Kinder, keine Familie und keine großen Ausgaben hat. Aber so viel muss man erst mal verdienen, um jeden Monat über 1.000 Euro oder so weglegen zu können. Ich habe das aber in der näheren Verwandtschaft auch. Da gibt es einen pensionierten Hochschullehrer, der seit Jahrzehnten nur von den Zinsen seines Vermögens leben kann, und das nicht schlecht. Ich hab‘ da irgendwas falsch gemacht.
Jedenfalls nahmen wir die Verstorbene dann mit und richteten sie für die Beerdigung her. Sie bekam den gewünschten Sarg mit der schönen Handschnitzerei, die eine Waldszene darstellte. Die Blumen wurden bestellt, die Zeitungsanzeige aufgegeben.
Vier Tage später war es dann so weit.
Die Trauerfeier sollte in der St.-Josef-Kirche stattfinden, die einen eigenen Friedhof direkt hintendran hat. Um 10 Uhr sollte es losgehen und um halb zehn schoben wir den Sarg in die Kirche. Mit dem grünen Klebezeug aus Gärtnerknete befestigte Sandy das Sarggesteck, das der Gärtner vorne auf der ersten Sitzbank bereitgelegt hatte. Sie holte noch fünf der aufklappbaren Kranzständer und stellte sie an der Seitenwand bereit. Die Schule, das Land und sicher auch die Vereine würden bestimmt jeweils einen großen Kranz schicken.
„Chef, kommt da keiner?“, fragte mich die junge Deutschamerikanerin und schaute mich mit großen Augen an.
Denn vor zehn Minuten hatte der Küster die dünne Totenbimmel lange läuten lassen, doch weit und breit war niemand zu sehen.
Der Pastor, ein gemütlicher Brummbär, kam zu mir und runzelte die Stirn. „Ich hab‘ die Rede so vorbereitet, wie Sie es mir gesagt haben. Die liebe Frau hatte ja alles genau vorgegeben. Aber soll ich die Ansprache halten, auch wenn keiner kommt?“
Wir haben bis zehn nach gewartet, dann nochmal fünf Minuten, in denen ich hektisch die Todesanzeige in der Zeitung kontrollierte, ob da vielleicht ein falscher Termin abgedruckt war. Nichts, alles in Ordnung, nur kam eben keiner.
„Wissen Sie was, Herr Pastor, es ist ja jemand da. Wenn sonst keiner kommt, dann sind wir jetzt wenigstens zu fünft: der Organist, Sie, der Küster und Sandy und ich. Also, lasset die Spiele beginnen!“
Es war eine wirklich sehr schöne Trauerfeier. Auch das Begräbnis war ganz wunderbar. Liebenswürdigerweise sind auch alle mit zum Grab gegangen und es haben sogar die beiden Friedhofsmitarbeiter mit uns vor dem geöffneten Grab gestanden und den letzten Gebeten gelauscht.
So ganz allein ist Frau Schummer dann doch nicht gegangen.
Nachtrag: 18 Monate später ist Frau Schummers Mutter verstorben. Ihr Sohn hatte alles in die Wege geleitet, Urne anonym, 888 Euro bei Pietät Eichenlaub.
Bildquellen:
- imageleer_800x500: Peter Wilhelm und OG
Fußnoten:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Anderkonto (zurück)
- Eine „sparsame“ Oberstudienrätin, die diszipliniert 1.000–1.500 € im Monat zurücklegt und einigermaßen klug investiert, kann bis zum 70. Lebensjahr durchaus zwischen einer und zwei Millionen Euro ansammeln. Ohne Investition (reines Sparbuch) läge die Summe eher bei einer halben bis dreiviertel Million. (zurück)
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