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Dubiosia AG

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Verträge muß man ganz genau lesen. Wenn man das nicht tut, darf man sich hinterher nicht beschweren, daß man vielleicht übers Ohr gehauen wurde. Ist doch klar, oder?

Elisabeth Poschenleitner betreibt seit 1971 das ‚Beerdigungsinstitut Karl Bauer‘, das sie einige Jahre zuvor mit ihrem Mann vom alten Karl Bauer übernommen hatte. Wie in der Branche üblich zahlten sie Bauer einmal einen Kaufbetrag und verpflichteten sich, ihm auf Lebenszeit eine monatliche Rente zu bezahlen. Für Bauer war das selbstverständlich, hatte er doch das Unternehmen über Jahrzehnte aufgebaut und zu gutem Erfolg geführt. Da der ehemalige Inhaber schon recht betagt war, hatten die Poschenleitners gute Hoffnung, nicht allzu lang den monatlichen Betrag zahlen zu müssen.

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Jetzt wollte das Schicksal es aber, daß der alte Bauer noch viele Jahre leben sollte, während es den, immer gesund gewesenen, Poschenleitner mit einem heftigen Schlaganfall kurzerhand ins Grab schickte.

Frau Poschenleitner stand dann 1971 vor der Frage, ob sie weitermachen sollte und ihr einziger Angestellter redete ihr gut zu, versprach ihr zu helfen und so entschied sie sich für die Fortsetzung des Unternehmens.

Viele Jahre konnte sie sich gerade so über Wasser halten, mußte fest zupacken, manche Durststrecke überstehen, schaffte es aber, den Kopf über Wasser zu halten. Besser wurde das erst, als der alte Bauer dann 1984 starb und wenigstens diese monatliche Zahlungsbelastung wegfiel.

Im Laufe der Jahre konnte Elisabeth Poschenleitner ihr Bestattungsunternehmen zu einer gutgehenden Firma ausbauen und als sie vor drei Jahren beschloß, sich aufs Altenteil zurückzuziehen, fehlte ihr nur ein geeigneter Nachfolger.
Den zu finden gestaltete sich schwerer als sie gedacht hatte. Immer wieder fragte sie mich, ob ich nicht ihr Geschäft übernehmen wolle, aber ihr Betrieb liegt zu weit entfernt, als daß man ihn als Dependance führen könnte.

Sie inserierte in Fachzeitschriften für Bestatter, verbreitete unter Kollegen ihren Verkaufswunsch und ließ nichts unversucht, doch leider ohne Erfolg.

„Ich habe zwar gut vorgesorgt, aber das Geld ist doch nichts mehr wert. Notfalls werde ich arbeiten müssen, bis ich umfalle“, hatte sie mir einmal gesagt und damit die Situation vieler Gewerbetreibender beschrieben.

Wie groß war die Überraschung, als plötzlich ein Ehepaar aus dem Osten der Republik Interesse an dem Geschäft anmeldete. So ein richtiges Nachfolgerehepaar mit Kapital, wo gibt es das schon? Frau Poschenleitner ließ die beiden zur Probe arbeiten und kam schnell zu dem Entschluß, daß das die richtigen Leute sein würden.

Eigentlich hatte sie schon einen Vertrag vorbereitet. Dazu hatte sie den alten Vertrag, den sie und ihr Mann vor Jahren mit ihrem Vorbesitzer abgeschlossen hatten, an die heutigen Verhältnisse angepasst und war auf zwei Schreibmaschinenblätter gekommen.
Doch die potentiellen Nachfolger kamen mit einem eigenen Vertragsentwurf, der immerhin stolze 46 Seiten umfasste. Das machte die alte Poschenleitnerin dann doch etwas stutzig. Doch das Ehepaar beruhigte sie und konnte die bestehenden Zweifel zerstreuen. Das sei heute so und schließlich bekämen sie Geld von einem Geldgeber und der wolle sich ja auch absichern und ohne diesen Vertrag würden sie das gar nicht machen und sie hätten ja sowieso noch ein anderes Objekt in der Hinterhand…

Doch Frau Poschenleitner ist nicht doof, ihr kamen insbesondere die verklausulierten Vertragsabschnitte über den Grundbesitz und das Wohnrecht spanisch vor und deshalb bestand sie auf einer Prüfung durch einen Anwalt. Und an dieser Stelle, genau an dieser Stelle machte sie DEN entscheidenden Fehler! Sie ließ sich darauf ein, mit dem Nachfolgerehepaar zu einem Anwalt zu fahren, den die ausgesucht hatten. Folge: Der Anwalt redete der Poschenleitnerin alles schön und beseitigte auch das letzte ungute Gefühl. Eine hohe monatliche Zahlung sollte die auf einmal fällige Kaufsumme senken und der Poschenleitnerin ein gutes Auskommen sichern.

Sie unterschrieb und da der Rechtsanwalt auch Notar war, wurde alles ordnungsgemäß beurkundet.

Schon drei Wochen später ging aber alles ein wenig anders weiter, als die alte Frau Poschenleitner es erwartet hatte. Vom Nachfolgerehepaar war auf einmal nichts mehr zu sehen. Stattdessen saß einen Morgen auf einmal ein Geschäftsführer im Büro und zeigte sich ziemlich verwundert, daß die Poschenleitnerin immer noch mal nach dem Rechten schauen wollte. Sie habe da nichts mehr verloren, schließlich habe sie ihr Geschäft doch verkauft.
Wo denn das Ehepaar sei, wollte sie wissen und bekam zu Antwort, das sei in dieser Firma so üblich, daß die Geschäftsführer auch schnell mal wechseln. Die seien jetzt in Norddeutschland.

Die Poschenleitnerin verstand die Welt nicht mehr. Sie hatte doch ihr Traditionsunternehmen an ein Nachfolgerehepaar verkauft und mit denen auch noch ausgemacht, daß sie noch, so lange sie das noch kann, immer mal in der Firma mithelfen könne.

Nein, davon könne keine Rede sein, sie solle mal ihren Vertrag richtig lesen und ansonsten bitte den Betriebsablauf nicht weiter stören.

Schon eine Woche später wurde die Firmentafel über dem Schaufenster abgeschraubt und stattdessen prangte dort die Leuchtreklame der „Pietät Eichenlaub„.

Ausgerechnet mit denen hatte aber Frau Poschenleitner überhaupt keine Geschäfte machen wollen und wutentbrannt marschierte sie wieder aus ihrer Wohnung im ersten Stock hinunter ins Büro. Der junge Geschäftsführer zeigte ihr aber die kalte Schulter und wies sie ab. „Gehen Sie Ihren Vertrag lesen und lassen Sie uns hier in Ruhe.“

„Ja aber, es wurde doch vereinbart, daß ich noch mit im Betrieb arbeiten kann und ich mich schrittweise zurückziehe“, protestierte Frau Poschenleitner.

„Lesen Sie den Vertrag!“ lautete die barsche Antwort.

Erst da kam Frau Poschenleitner auf die Idee, das über 40seitige Vertragswerk von ihrem eigenen Anwalt prüfen zu lassen.

Ja und der fiel natürlich aus allen Wolken. „Wie konnten Sie sowas denn unterschreiben? Warum sind Sie denn um Gottes Willen nicht vorher zu mir gekommen?“

Ihr Rechtsanwalt brauchte eine ganze Woche, bis er das gesamte Ausmaß des Vertrages in allen Einzelheiten gelesen, verstanden und in seinen einzelnen Folgen erfaßt hatte.

Was hatte die Poschenleitnerin unterschrieben?

Sie hatte ihren Betrieb quasi für ein Butterbrot verschenkt. Statt der erhofften sechsstelligen Verkaufsumme hatte sie sich auf einen fünfstelligen Betrag eingelassen, um dem Nachfolgerehepaar entgegenzukommen. Schließlich bekam sie dann stattdessen fast das Doppelte an monatlicher ‚Rente‘.

„Ja aber“, belehrte sie ihr Rechtsanwalt nun, „Sie haben ja gar keinen Vertrag mit diesem Ehepaar gemacht. Die stehen zwar als Vertragspartner drin, aber es heißt auch, daß sie nur als Bevollmächtigte für einen Berliner Rechtsanwalt stehen, der wiederum die ‚Dubiosia AG‘, eine Versicherungsgesellschaft vertritt. Im Grunde haben Sie den Vertrag mit der ‚Dubiosia AG‘ gemacht, das steht auch klipp und klar im Vertrag. Haben Sie das denn nicht gelesen?“

„Doch, aber es hieß doch, das seien nur die Geldgeber. Und ich fand es gar nicht schlecht, daß da eine Gesellschaft für meine monatliche Rente geradesteht.“

„Da kommen wir zum nächsten Punkt, Frau Poschenleitner. So leid es mir tut, aber Sie bekommen keine monatliche Rente, sondern eine monatliche Vergütung.“

„Aber auf Lebenszeit!“

„Theoretisch schon.“

„Theoretisch?“

„Ja, praktisch ist es nämlich so, daß Sie eine monatliche Vergütung erhalten.“

„Vergütung, Rente, wo ist da der Unterschied?“

„Sie bekommen diesen monatlichen Betrag zwar theoretisch auf Lebenszeit, es ist also kein Alter oder Datum vereinbart, an dem das ausläuft…“

„Na sehen Sie!“

„…aber es ist eine Vergütung für Ihre Beratung und Hilfe in der Firma.“

„Ja aber das habe ich doch ausdrücklich so gewollt. Ich will dem jungen Ehepaar helfen und beim Aufbau der Existenz unter die Arme greifen. Ich kenne doch die Kunden, die Verhältnisse hier und da ist es doch sinnvoll, daß ich solange ich das noch kann, denen mit Rat und Tat zur Seite stehe. Außerdem bin ich so viele Jahrzehnte jeden Tag runter ins Büro gegangen und will mir das nicht nehmen lassen.“

„Das sieht aber laut Vertrag ganz anders aus. Sie haben Recht, es ist tatsächlich vereinbart, daß Sie dem jeweiligen Geschäftsführer als Beraterin zur Seite stehen können. Das kann der aber jederzeit ablehnen, weil er in seinen Entscheidungen frei ist. Außerdem kann die ‚Dubiosia‘ das jederzeit kündigen und dann, so leid es mir tut, fällt auch die monatliche Vergütung weg.“

„Wie? Ich bekomme das Geld nicht mein Leben lang?“

„Nur solange die ‚Dubiosia‘ das will. Wenn die Ihnen aus berechtigtem Grund eine Kündigung schickt, dann ist es aus.“

„Um Himmels Willen! Kann man das nicht alles rückgängig machen?“

„Wir können es versuchen, aber ehrlich gesagt sehe ich da Schwarz….“

„Soll das heißen, daß ich irgendwann ohne diese monatliche Rente in meiner Wohnung sitze und die quasi unter meinen Füßen ihr Bestattungsbüro betreiben und ich von meinen eigenen Ersparnissen und meiner Rente aus meiner Versicherung leben muß?
Ich meine, ich werde schon gut rumkommen, aber wenn man einen Betrieb verkauft, rechnet man sich doch schon einen gewissen Wohlstand aus, oder?“

„Ich glaube, ich habe noch mehr schlechte Nachrichten für Sie.“

„Ach nee, bitte nicht! Mehr kann ich wirklich nicht ertragen.“

„Ich fürchte, Sie werden sich mit dem Gedanken abfinden müssen, daß Sie auch die Wohnung nicht behalten können.“

„Was? Es hieß doch, ich habe da Wohnrecht auf Lebenszeit!“

„Schon, aber eben nur solange Sie der Firma als bezahlte Beraterin zur Verfügung stehen.“

Drei Tage lang war Frau Poschenleitner regelrecht krank und ihr Anwalt prüfte verschiedene Wege, um den Vertrag anfechten zu können. Schließlich kam er aber zu dem Schluß, daß der Vertrag so raffiniert und wasserdicht abgefasst ist, daß man da eher wenig Chancen hat.

Das war vor rund drei Jahren. Noch wohnt Frau Poschenleitner in ihrer Wohnung und sie kämpft wie ein Löwe und das, obwohl der Kampf fast aussichtlos ist. Jeden Tag geht sie ins Büro, wo mittlerweile der dritte Geschäftsführer Dienst tut, stellt brav ihre Beratungstätigkeit zur Verfügung und wird jeden Tag abgewiesen. Mehr als 120 Abmahnungen hat ihr die „Pietät Eichenlaub“ zw. die „Dubiosia AG“ schon zukommen lassen. Mit jeder Abmahnung versucht man, Frau Poschenleitner loszuwerden. Aus jeweils vier bis sechs Abmahnungen läßt man eine Kündigung werden, gegen die sich Frau Poschenleitner seitdem erfolgreich vor Gericht wehrt.

Solange ihr das gelingt, bekommt sie ihre monatliche Vergütung und darf dort wohnen bleiben. Das hatte sie sich ursprünglich anders vorgestellt. Statt eines geruhsamen Altenteils hat sie jetzt einen Kriegsschauplatz direkt vor ihrer Wohnungstür und muß sich praktisch unentwegt gegen den Bestattungskonzern und seine rotzfrechen Geschäftsführer wehren.

„Ich darf nicht den geringsten Fehler machen“, sagte sie zu mir, „solange ich mich nicht unterkriegen lasse, können die mir nämlich nichts.“

Das hatte sich aber die „Pietät Eichenlaub“ auch anders vorgestellt, denke ich und drücke der Poschenleitnerin die Daumen. Sie weiß, daß sie immer auf uns zählen kann, wenn sie unsere Hilfe bracht, sind wir da.

‚Bestattungshaus Karl Bauer‘, ‚Poschenleitner‘, ‚Pietät Eichlaub‘ und ‚Dubiosia AG‘ sind erfundene Namen. Ähnlichkeiten mit bestehenden Unternehmen und lebenden oder toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#dubiosia

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