Ich schrieb gestern auf eine Anfrage hin, daß es durchaus möglich ist, ein Beerdigungsinstitut auch als Ein-Mann-Betrieb zu führen. Im angefragten Fall ging es um ein dörfliches Institut mit gut 300 Sterbefällen pro Jahr.
Mir war schon beim Schreiben klar, daß sich da jemand regen würde und so dauerte es nicht lange, daß sich ein Bestatter zu Wort meldete:
So leid es mir tut unserem Tom Wiederworte zu sagen, das ist nicht realistisch, wenn man alles mit Niveau und Stil über die Bühne bringen will. Da ist ja nun nicht nur der Transport, die Begleitung auf dem Friedhof zum Beispiel ist immens wichtig, kostet viel Zeit, die Nachbereitung mit Danksagung usw., wenn einer vor 300 Sterbefällen allein sitzt, ist er bald sein eigener Patient. Nicht umsonst hat Tom eine ganze Schar von guten Geistern um sich geschart – oder hat er etwa 1200 Sterbefälle? Boah…
Lassen wir mal den sehr polemischen letzten Halbsatz des Kommentars außer Acht, dann haben wir es mit einem durchaus berechtigten Einwand zu tun. Der Kommentator schreibt/meint ja, daß man es im Bestattungsgewerbe mit so vielen Arbeiten und so viel zu erledigendem Kleinkram zu tun hat, daß eine Person allein kaum 300 Sterbefälle im Jahr abwickeln kann, ohne daß darunter Niveau und Qualität leiden.
Dem kann ich auf der einen Seite vorbehaltlos zustimmen, denn auch in meinem Institut bewältigen wir eine etwas höhere Zahl auch nur im Team. Völlig berechtigt ist der Einwand, daß wir hier in besten Zeiten mit 14 Beschäftigten arbeiten.
Aber ich kenne es auch vollkommen anders. Dazu zwei Beispiele:
Zum einen habe ich eine direkte Mitbewerberin vor den Toren der Stadt. Sie führt in der zweiten Generation das einzige Institut in zwei Gemeinden. Als vor vielen Jahren ihr Mann verstorben ist, hat sie das Institut erst mal in der Not alleine weitergeführt und parallel einen Nachfolger/Käufer gesucht.
Genau dabei ist es geblieben und dieser status quo hält nun schon über 17 Jahre an.
Den Fahrdienst kann sie nicht leisten, das übernehmen wir seit Jahren für sie. Aber alles andere macht diese mittlerweile über 70jährige Frau ganz alleine. In absoluter Ruhe und Gelassenheit mit der Routine des absoluten Profis wickelt sie deutlich über 300 Sterbefälle im Jahr ab.
Die Buchhaltung hat sie komplett an ein Steuerbüro ausgelagert, der Fahrdienst machen wir und ein großes Lager hält sie nicht vor. Abgesehen von einer Stückzahl der gängigsten Modelle hat sie nur Katalogware und lässt sich vom Großhändler mit den fix und fertig ausgestatteten Särgen „just in time“, also dann wenn es benötigt wird beliefern.
Sie hat einen Schwager Franz, der ihr zur Hand geht, der kommt aus dem Nachbarhaus mal für ein Viertelstündchen rüber und hilft, wenn es um das Einbetten der Verstorbenen geht, das war es aber auch schon. Selbst das Hervorholen der gelagerten Särge aus dem Keller bewältigt die alte Dame alleine. Sie hat sich beim Schlosser eine Vorrichtung bauen lassen, die wie eine verlängerte Sackkarre aussieht und mit der sie Unterteil und Deckel eines Sarges getrennt voneinander 20 Stufen empor schafft.
Behördengänge? Einmal am Tag fährt sie rum, es sind immer drei bestimmte Krankenhäuser, ansonsten spielt sich alles bei ihrer dörflichen Gemeinde ab. Keine Wartezeiten, keine unnötigen Behördenprobleme, das läuft alles so nebenbei.
Beratungen? Wunderbar! Ich hatte Gelegenheit, bei mehreren Beratungen dabei zu sein. Meine Güte, die kennt ihre Pappenheimer und wer als Bestatter keine 40 Särge im Angebot hat, dessen Kunden entscheiden sich auch schneller. Sie spricht die Sprache ihrer Kunden, ihre Beratungen sind kompetent, höflich, einfühlsam, vermutlich kannte sie auch jeden einzelnen Verstorbenen.
Natürlich kann sie keinen Limousinenservice bieten, sie kann nicht auf dem Friedhof noch Kunstrasen und Pavillion und 40 Stühle aufstellen, zum Kondolenzbuch stellt sie keine Betreuung, das legt für sie der Friedhofsmann aus und gibt es anschließend der Familie einfach mit.
Den ganzen Firlefanz, den wir als besonderen Service ansehen und den wir u.a. ja auch betreiben, um uns von der Konkurrenz abzuheben, den lässt sie einfach weg.
Und trotzdem sind die Trauerfeiern würdig und feierlich, es fehlt an nichts.
Der zweite Fall handelt von einem Bestatter in der Nachbarstadt, der ein großes Haus mit 12 Leuten betreibt und nun noch zwei kleinere Bestatter in Vororten aufgekauft hat. In diese neuen Filialen hat er jeweils einen Bestattungshelfer als Präsenzmitarbeiter gesetzt.
Geplant war, daß diese einfach nur da sind und Aufträge annehmen. Doch der Mitarbeiter in der einen Filiale wickelt quasi alle eingehenden Aufträge im Alleingang ab. Sein Chef sieht das mit Stolz und einem Lachen, der wäre ja verrückt, aber solange es klappe, habe der Chef nichts dagegen…
Mit Hilfe des Gärtnergesellen von nebenan, der so eine Stunde am Tag hilft, erledigt dieser Mitarbeiter die gesamten Sterbefälle von vorne bis hinten und ist stolz darauf, daß er die von der „Zentrale“ nie braucht.
Auf diese Weise schafft er zwischen 180 und 200 Sterbefälle im Jahr.
Man sieht also, es geht.
Und dennoch: Wir machen das anders und ich berate Neulinge in der Branche auch anders.
Wir bieten so viele Nebenleistungen an, wir haben einen so umfassenden Großstadtservice und wir arbeiten vor allen Dingen nicht auf dem Land, daß man das hier gar nicht alleine oder zu zweit abwickeln könnte.
Zwölf große Krankenhäuser mit Wartezeiten von bis zu zwei Stunden, unkooperative städtische Friedhofsverwaltung, über 30 Friedhöfe in und um die Stadt, alles das kann man alleine unmöglich bewältigen.
Da braucht man einen abgesetzten Fahrdienst und da geht es schon los:
Man kann als kleiner Dorfbestatter irgendeinen Heinz oder Willi haben, der mit einem fährt, in der Stadt braucht man ständig zwei Leute in Bereitschaft. Von denen wird auch mal jemand krank oder hat frei, also braucht man wenigstens eine zweite Mannschaft und wenn dann noch Polizeieinsätze dazu kommen, kommt man unter sechs Fahrern gar nicht zurecht. Natürlich sind die nie alle gleichzeitig da, das sind bis auf die „Festen“ alles Aushilfen, manchmal braucht man so einen Fahrer gerade einmal 3-5 Stunden im Monat.
Wenigstens eine Hilfe braucht man im Büro. Während der Ein-Mann-Bestatter alles aufs Handy umleitet, benötigen wir jemanden am Telefon. Dieser jemand empfängt auch die Besucher und betreut sie. Der Dorfbestatter hat keine eigenen Aufbahrungsräume und keine eigene Trauerhalle. Wir brauchen jemandem zum Orgelspielen, Reinigungspersonal und mindestens einen Techniker, der auch die ganzen technischen Anlagen, wie Kühlungen und Aufzüge im Auge behalten kann. Merke: Die Dorfbestatterin wuchtet die Särge in zwei Teilen mit einer Sackkarre die Treppe hoch.
Sowas bläht sich auf. Ruckzuck hat man 10-12 Leute und dann kommen noch die ganzen Aushilfen hinzu.
Natürlich kann man mit der notwendigen Personalausstattung einen ganz anderen Service leisten als ein Ein-Mann-Unternehmen, aber unterm Strich muß man sagen, daß es durchaus möglich ist, ein Beerdigungsinstitut mit anderthalb Mann/Frau zu führen.
Ein Bestatter, der auch noch eine Schreinerei, einen Rolladenbau und die Grabmacherei betreibt, der wird sich das kaum vorstellen können, aber gerade im Ruhrgebiet und im Bergischen Land gibt es ganz viele „Wohnzimmerbestatter“.
Typischerweise haben die nur einen Katalog und ein Büro. Keine Ausstellung, keine Mitarbeiter, kein eigenes Fahrzeug, kein Lager.
Sie erledigen die Beratung und organisieren alles. Den Fahrdienst übernimmt ein professionelles Fahrunternehmen (Hauderei, Leichentransportunternehmen), das auch den Sarg ausstattet, den Verstorbenen einsargt und zum richtigen Friedhof bringt.
Der Bestatter konzentriert sich allein auf die Beratung und Betreuung der Hinterbliebenen.
Also, es geht.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Sehr schön. Erinnert an den Vergleich Dönerbude vs. Hotel.
(Sorry, es gibt hier sehr gute Dönerbuden. Und satt wird man allemal.)
Hallo Tom.
Da hatte ich aber einige „Déja Vuès“ in dem Artikel.
Besonders der „Wohnzimmerbestatter“ brachte mich wieder zum Schmunzeln.
B. A.
Sag ich doch…es geht……man muss halt auch nicht immer alles verraten! Aber so jemanden kenne ich auch. Davor ziehe ich als junger Mann den Hut.
Ich denke auch, dass das geht. Wobei es -wie Tom sagt- auch eine Frage des Umfelds ist. Hier in dörflicheg Gegend sind diese 1,5-Mann-Betriebe die Regel. Meistens Schreiner, die mit Bestattern aus der nahegelegenen Stadt kooperieren, die dann eben die Fahrten übernehmen und teilweise auch die Särge liefern. So hat fast jeder „Dorfschreiner“ seinen eigenen „Stadtbestatter“. Und auch deren Beerdigungen waren immer in Ordnung – da mangelte es an nichts, was man nicht gewohnt ist. Toms umfangreicher Service (z.B. Stühle) ist hier vor Ort (noch) nicht angekommen, wird aber auch nicht erwartet. Wobei mir auch ein mit bekannter Schreiner einfällt, der das auf seine eigene Art macht – und das wirklich gut! Die Familie besitzt eine Schreinerei und beschäftigt ca. 7 Miarbeiter – man hat schon immer auch Bestattungen angeboten. Seit dem Neubau im Gewerbegebiet hat man in den alten Räumlichkeiten einen kleinen aber feinen Ausstellungsraum, in dem die gängigen 6(?) Modelle präsentiert werden. Standardmodelle sind auf Lager. Das ganze Bestattungsgeschäft wickelt der Senior mit seinen gut 70 Jahren alleine ab, kann aber im Bedarfsfall… Weiterlesen »
Den Wohnzimmerbestatter fürs Ruhrgebiet kann ich bestätigen *g*
Und der macht offenbar auch alleine. 😉
Natürlich kann man praktisch als „Agent“ eine Menge mehr erledigen als wenn man die eigentliche Tätigkeit selbst macht. Das generiert auch jede Menge Umsatz. Ob dabei viel Gewinn hängen bleibt möchte ich einmal bezweifeln. Aber ich mag auch falsch liegen. Interessantes Thema alle mal.