Menschen

Erbsensuppe

orgel

Das war wieder so ein typischer Bestattersonntag. Irgendwie war den ganzen Tag was zu tun und jetzt ist es bald 21 Uhr und ich bin immer noch nicht fertig. Morgen habe ich eine Traueransprache, da muss ich noch den Text fertigschreiben und dann wird es gegen 22 Uhr sein.
Das mit den Traueransprachen mache ich nicht oft, aber es kommt vor. Mich hat mal ein Pfarrer einfach sitzenlassen.

Die Halle voll mit Trauergästen und der Organist fängt pünktlich an, wer nicht kommt ist der Pfarrer. Handy raus, Pfarramt anrufen, die Bürotante sagt nur, dass der Herr Pfarrer jetzt seine Suppe ißt und nicht gestört werden will. Ich dränge und nörgle, bittele und bettele. „Das tut mir Leid, der Herr Pfarrer hat strenge Anweisung gegeben, dass wir ihn beim Suppeessen nicht stören.“ Spricht’s und legt auf.

Drinnen spielt der Organist schon das zweite Lied. Was tun? Was macht man jetzt zuerst? Am Besten ist es, zuerst die Familie zu informieren, damit die ruhig bleiben. Ich flüstere der Witwe zu, der Herr Pfarrer verspäte sich, es dauere noch ein paar Minuten. Dann rauf auf die Empore, der Organist soll weiterspielen, das hält die Leute in Andacht und bei Laune, bis jetzt denkt nämlich jede, das sei alles so gewollt.
Der Organist nickt, als ich ihm „Weiterspielen!“ zuflüstere und beginnt sein drittes Lied.

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Ich gehe vor die Halle, pfeife unseren Fahrer herbei: „Marsch, Marsch den Pfarrer holen, notfalls mit Gewalt!“

Drinnen verstummt das Orgelspiel. Kurz darauf kommt der Organist durch die Seitentür aus der Halle, die Noten unterm Arm.
Er würde generell nur für drei Lieder bezahlt und gehe jetzt nach Hause. Ich drücke ihm nen Zwanni in die Hände drehe ihn um und schiebe ihn wieder rein „Weiterspielen!“. Er guckt auf den Zwanni und sagt: „Zwei Lieder.“ Ich gebe ihm noch nen Zehner und sage „Vier!“ Dabei gucke ich ihn so an, dass ihm klar sein muss, dass auch ich Suppe essen werde, wenn er mir nicht willig ist und dass er die Suppeneinlage sein wird.

Die Leute fangen an zu murmeln, Unruhe macht sich breit. Da fällt mir auf, dass vorne noch zwei Kerzen stehen, die noch nicht brennen, also gehe ich feierlich nach vorne und zünde die an. Schlagartig kehrt Ruhe ein, der Organist spielt den Schlussakkord des Liedes und schaut erwartungsvoll zu mir herunter. Ich stehe nur drei Schritte vom Pult entfernt und entdecke ein Gebetbuch und eine Bibel auf dem unteren Brett.

Ich habe schon ein paar Mal Traueransprachen gehalten und bin ja nicht auf den Mund gefallen. Was soll’s? Ich stelle mich ans Pult und rede, erzähle den Anwesenden alles was ich von der Witwe in einem langen Gespräch erzählt bekam; von der Flucht, dem Verlust der Heimat, dem Wiederanfang, dem Hausbau, der Familiengründung bis hin zur Pensionierung, dem Kleingarten und der goldenen Hochzeit voriges Jahr.
Während ich so rede, blättere ich verzweifelt im Gebetbuch, da muss es doch eine Abteilung „Beerdigung“ geben. Tatsächlich, da gibt es ziemlich vorne was. Es ist so klein gedruckt, meine Brille liegt im Auto… Scheiße!

Das Vaterunser kann ich auswendig, für andere Gebete bin ich zu aufgeregt. Ich sage noch etwas über die Vergänglichkeit und dass die Leute nicht nur traurig sein sollen, dass sie ihn verloren haben, sondern sich auf die schönen Momente besinnen sollen, die sie gemeinsam mit ihm hatten.

Dann das Vaterunser, einige beten mit. Unter dem Pult gibt es einen Knopf, ich bin froh als ich ihn drücken kann. Die Totenglocke der Kapelle fängt an zu bimmeln, die Friedhofsleute kommen und schieben den Sarg raus, ich direkt dahinter, die Trauergäste langsam hinterher. Ich höre rasche Schritte und sehe ihm Augenwinkel, wie der Pfarrer mit wehender Stola aufschließt. Er schiebt sich neben mich. Er hat einen hochroten Kopf. Ich sage: „Auch schon da?“ Das Einzige was dem einfällt ist: „Erbsensuppe.“

Am Grab schiebe ich den Pfarrer vor und halte mich im Hintergrund. Der macht das ganz gut, aber ich fand mich besser.

Kein Einziger von den Trauergästen hat irgendein Wort darüber verloren, keiner sich beschwert, keiner gemault. Nur mehrten sich seit dem Tag die Anfragen, ob der Große mit der schönen Stimme nicht die eine oder andere Trauerfeier übernehmen kann.

Der Pfarrer hat sich mehr als tausend Mal entschuldigt. Sowas sei ihm noch nie passiert, er habe den Termin fest im Kopf gehabt und dann sei das auf einmal wie weggeblasen gewesen, er habe sich so auf diese Erbsensuppe gefreut… Erst als unser Fahrer fast die Tür eingeschlagen habe, sei ihm siedendheiss eingefallen, dass da noch was war.

Ist ja auch nur ein Mensch und so eine Erbsensuppe, gekocht von einer Pfarrhaushälterin, die hat was!

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#erbsensuppe

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