Allgemein

Es geht wieder los, Abzocke beim Bestatter

Die dunklen Herbsttage nähern sich und damit auch die Trauergedenktage. Alle Jahre wieder machen sich dann Journalisten, die DIE Idee hatten, auf die Suche nach Opfern, Betrogenen und Abgezockten.
Bei mir steht das Telefon nicht still und etwa drei bis fünf Mailanfragen pro Woche kommen hinzu.

„Haben Sie nicht Adressen und Namen von Leuten, die mal so richtig abgezockt wurden?“

Klar, während man im Sommer lieber aufblasbare Gummitiere fürs Schwimmbad testet und in seinen Artikeln ganz überrascht feststellt, daß das Iglo Bordelaise-Fischgedöns jetzt bei gleichem Packungsgewicht rund 30% weniger Fisch enthält, muß man ja auch den Herbst mit kleinen Skandälchen anreichern.
Nur ganz so einfach ist das nicht.

Werbung

Es gibt keine zuverlässigen Angaben über die Zahl der Vorkommnisse, die man in den Bereich der Bestatterabzocke einreihen könnte.
Die Verbände reden die Zahl klein und tun oft so, als käme das in ihren Reihen sowieso nicht vor und die auf Skandal gebürsteten Journalisten pauschalieren sowieso gerne ganze Branchen zu Betrügerbanden hoch.

Ein paar Mal im Jahr rauschen Fälle durch die Presse, wie der über den ich hier im Bestatterweblog erst vorgestern berichtete. Es gibt solche Bestatter, die ganz bewußt ihre Kunden betrügen, das ist gewiß, aber genauso gewiß ist, daß ihre Zahl verschwindend gering ist. Angesichts über 800.000 Bestattungen, die in Deutschland Jahr für Jahr durchgeführt werden, sind die Betrugsfälle im molekularen Bereich der Zahlen anzusiedeln.

Das kommt einfach daher, daß Bestatter schon aufgrund der Art ihres Gewerbes permanent um ihren guten Ruf besorgt sind und alles tun, um ja nicht mit den wenigen schwarzen Schafen über einen Kamm geschoren zu werden. Das Bestattungsgewerbe lebt in erster Linie von Mundpropaganda und den guten Erfahrungen, die die Kunden mit dem Bestatter gemacht haben.

Etwas höher, aber immer noch, gemessen an der gesamten Sterbefallanzahl, dürfte die Zahl solcher Vorkommnisse sein, wie wir vorgestern eines lesen konnten. Liest man mehr darüber und läßt man mal das Gefühlsduselnde und Sensationsheischende der BILD weg, dann sieht man sofort, daß es sich bei diesem Kollegen um einen sehr verzweifelten Mann gehandelt haben muß. Die Wirtschaftskrise macht auch vor Bestattern nicht halt und der Konkurrenzdruck, auch durch Kettenbetriebe á la Pietät Eichenlaub, wächst. Da kann es in einer ansonsten krisensicheren und durchaus finanzstarken Branche zu Firmenzusammenbrüchen kommen und immer wenn ein Bestattungshaus „den Bach runtergeht“, beobachtet man die gleiche Verkettung von Vorkommnissen. Zuerst werden Lieferantenrechnungen nur noch schleppend bezahlt, dann gar nicht mehr. Der Bestatter stopft, infolge mangelnder Aufträge und gestiegener Kosten, das übriggebliebene Finanzloch von Bestattung A mit den Einnahmen aus Bestattung B. Im Laufe der Zeit werden immer mehr Rechnungen, die nichts mit den aktuellen Sterbefällen zu tun haben, Miete, Autos, Reparaturen etc., aus dem für aktuelle Sterbefälle eingezahlten Geld bezahlt. Das geht so lange gut, oft über Jahrzehnte, wie der Bestatter genügend neue Aufträge bekommt. Aber irgendwann passen dann Einnahmen und Ausgaben gar nicht mehr zusammen und die Blase platzt. Dann stehen zwei, drei Familien da, deren Sterbefälle nicht mehr richtig abgewickelt werden können, weil sich Lieferanten und Verwaltung diesem Bestatter verweigern und es kommt zum großen Knall.

Dieser klassische Ablauf, den ich eben schilderte, ist aber nicht auf das Bestattungsgewerbe begrenzt, auch Malerbetriebe, Autowerkstätten und Betriebe aus nahezu allen Branchen bis hin zu Arztpraxen sind davon betroffen. Nur ist das Bestattergewerbe eben ein besonders empfindliches Gewerbe und die Kunden stehen sowieso unter großem emotionalen und oft auch finanziellen Druck; umso größer ist der Katzenjammer, wenn dann so etwas mal vorkommt.

Es kommt vor, aber eben wirklich und erwiesenermaßen nur höchst selten.

Hunderttausende von Sterbefällen werden vollkommen ordnungsgemäß abgewickelt und man tut sich als Journalist deshalb sehr schwer, eine größere Zahl von tatsächlich Getäuschten zu finden.

Es bleiben jährlich mit Sicherheit mehr Leute auf halbfertiggebauten Pfuschhäusern sitzen, weil Baufirmen Pleite machen, als daß Bestatter in wirtschaftliche Schieflage geraten und Kundengelder mißbrauchen.

Viel häufiger als die große Pleite, bei der die Kosten mehrerer Bestattungen verlorengingen, ist die tägliche kleine Abzocke.
Spricht man als Bestatter über Preise, Kalkulation und Gewinne, dann wird einem schon allein die Tatsache, daß man etwas verdient, zum Vorwurf gemacht.

„Wie, Du kaufst Sachen günstig ein und verkaufst sie teurer weiter? Ist das nicht Betrug?“

Erst neulich stand ein Bestatter wegen fortgesetzten Betruges vor Gericht. Ein findiger Schutzpolizist, bei dem man fast einen persönlichen Rachefeldzug unterstellen könnte, hatte bei diesem Bestatter akribisch an die hundert Fälle von Betrug ermittelt und so kam es zur Anzeige und Anklage. Dem Bestatter wurde zum Beispiel vorgeworfen, daß er Waren günstig einkaufte und seinen Kunden die Rechnungen hierfür nicht 1:1 weiterreichte, sondern seinen Verdienst und seine Kosten noch hinzurechnete und so einen höheren Kundenpreis in Rechnung gestellt hatte.

Wer bitte beauftragt einen Heizungsinstallateur und erwartet, daß der einem z.B. (den Tippfehler lasse ich mal stehen:) Heinzkörperventile zum Einkaufspreis liefert. Der verdient ja schließlich auch noch am Einbau.
So ähnlich hatte aber das Gericht geurteilt. Da der Bestatter ja sowieso einen Posten für Bearbeitung und Erledigung der Formalitäten auf der Rechnung hatte, wäre mit diesen rund 100 Euro seine Dienstleistung quasi abgegolten und sämtliche Lieferungen und Besorgungen mache er sozusagen im Kundenauftrag und müsse sie deshalb auf Basis der Originalrechnungen seiner Lieferanten und Subunternehmer 1:1 abrechnen.
Utopisch, weltfremd und praxisfern, ja fern jeglicher kaufmännischer Praxis.

Doch zurück zu den kleinen Schummeleien:
Hier bewegen wir uns in der Grauzone, wo sich kaufmännisches Interesse und Abzocke vermischen und verwischen und man wirklich nicht sagen kann, wo sauberes Verkaufsgespräch mit böser Absicht kopulieren.

Auch ich muß im Verkaufsgespräch alle geeigneten Waren und alle denkbaren Varianten, jede mögliche Gestaltungsform dem Kunden vorschlagen und präsentieren. Nur so kann ich herausfinden, was er wirklich will, was im Rahmen seiner Wünsche und Möglichkeiten liegt und was wir an Innovationen einbringen können. Nur während dieses ersten Gespräches habe ich die Gelegenheit. dem Kunden alles zu zeigen und alle Möglichkeiten zu erklären. Schon eine halbe Stunde später ist da vieles irreversibel und absolut festgelegt. Ein einmal gewählter Sarg wird dann benutzt und kann nur schwer wieder gewechselt werden.

Mancher Kunde könnte schon so ein intensives Beratungsgespräch als Zumutung und Drängen zu teuren Produkten empfinden, würde man es aber unterlassen, hieße es hinterher: „Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß es auch das und das noch gibt?“

Und ganz sicher wird mancher Kollege, er ist ja auch Verkäufer und Kaufmann, hier versuchen, den einen oder anderen Artikel an den Mann zu bringen, bei dem er einen höheren Gewinn hat.
Solange er das tut, ohne die günstigen Alternativen aufzuzeigen und ohne die Ausnahmesituation der Trauernden auszunutzen, ist das ja auch in Ordnung.
Auch der Verkäufer im orthopädischen Sanitätshaus wird einem Kunden, dem neulich beide Beine abgefahren worden sind, sicherlich neben den günstigen Rollstühlen auch Luxusmodelle mit Hybridantrieb zeigen.
Man ist so oder so angewiesen, ausgeliefert und in Ermangelung vorheriger Erfahrungen hilflos.
Jeans kauft man häufiger.

Insgesamt kann man also sagen, daß große Betrugsfälle so gut wie gar nicht vorkommen und die kleineren verkaufstaktischen Schummeleien z.B. für einen Leser des Bestatterweblogs leicht zu durchschauen sind.

Zu erwähnen sei noch der Rechnungseffekt. Das ist etwas, was alle Bestatter -aber auch viele Handwerker- immer wieder beobachten: Der Kunde ist hochzufrieden mit der Arbeit, lobt während der Ausführung die Arbeiten über den grünen Klee und erst in dem Moment in dem die Rechnung bei ihm eintrudelt, fällt ihm ein, daß dieses oder jenes ja doch nicht ganz so toll gewesen sein könnte und das große Rechnungsmeckern fängt an.
Da werden dann Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt, gut gelaufene Dienstleistungen schlechtgeredet und der Kunde nimmt einen Streit mit dem Dienstleister in Kauf. Er braucht ihn ja nun nicht mehr und für weitere Fälle in der Zukunft gibt es genügend Mitanbieter. Also verweigert man bis zu 50% der Rechnungssumme obwohl alles in Ordnung war und zum vereinbarten Preis abgewickelt wurde.

In einer solchen Phase kommen Journalisten, die auf der Suche nach Abgezockten sind, natürlich genau richtig.

Auch im Bestattungsgewerbe gibt es die berühmten scharzen Schafe, ohne Frage, aber sie sind bei weitem nicht so häufig wie jetzt im Herbst wieder behauptet werden wird.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)