Seit sechs Wochen ist kein neuer Auftrag reingekommen. Die Stimmung im Betrieb ist ziemlich gedrückt. Alle schauen den Chef irgendwie vorwurfsvoll an.
Drei Sterbefälle hatten wir auf einmal hereinbekommen. Alle dienstags morgens. Da lacht das Bestatterherz. Wir machen das ja nicht aus karitativen Beweggründen, sondern als Unternehmer, um davon leben zu können. Natürlich will man den Menschen helfen, und sie so gut wie möglich durch die schwere Zeit begleiten. Aber es bleibt dabei: Bestatter sind Kaufleute, die ihren Laden mit einer Gewinnerzielungsabsicht betreiben.
Wenn viel zu tun ist, läuft ein gut organisiertes Bestattungshaus wie eine gut geölte Maschine. Jeder weiß, was er zu tun hat, alles wird stringent abgearbeitet, auf den Laufzetteln reiht sich ein Erledigungshäkchen an das andere.
Es gibt so viel zu organisieren, so viel zu erledigen, da ist jeder voll beschäftigt.
Und dann? Dann ist auf einmal zwei Tage lang komplette Ruhe. Die Rechnungen für die letzten Fälle kannst Du noch nicht schreiben, weil man immer ein paar Tage abwarten muss. Einmal aus Pietätsgründen und andererseits, weil noch Danksagungen und solche Sachen hinzukommen.
Dann sind vier Tage rum und immer ist noch kein neuer Auftrag eingegangen. Das Wochenende naht, Du fixierst Dich auf die Freizeit. Am Montagmorgen gehst Du voller Elan in den Betrieb, doch die Kühlkammern sind leer, es liegen keine gelben Mappen auf der Rezeption.
Die werden schon noch im Laufe des Tages anrufen. Am Wochenende stirbt sich ja so manches weg in den Krankenhäusern …
Doch es ruft keiner an.
Die zweite Woche ohne Auftrag geht dem Ende zu.
Die Männer im Keller haben die Dartscheibe schon in kleine Fetzen zerballert, die Aschenbecher quellen über und die Autos sind schon sechsmal gewaschen und poliert worden.
Im Büro geht es weiter, Frau Büser hat immer einen Stapel, der noch abgearbeitet werden muss. Als Chef hast Du auch immer genug Schreibkram zu erledigen.
Als ich anfing, hatte ich jeden Monat einen Ablagekasten voll mit Formularen und Behördenbriefen, inzwischen sind es elf solche Kästen, die mir die Bürokratie aufnötigt.
Am Beginn der dritten Woche rufst Du heimlich Deine eigene Geschäftsnummer an, um zu überprüfen, ob das Telefon überhaupt noch geht.
Langsam beginnst Du Dir Sorgen zu machen, ob irgendetwas passiert sein könnte, das den Ruf Deines Unternehmens so nachhaltig beschädigt haben könnte, dass niemand mehr anruft.
Gleichzeitig siehst Du, dass der Leichenwagen von der „Pietät Eichenlaub“ quasi Tag und Nacht durch die Stadt fährt. Die Zeitung ist voll mit Todesanzeigen, zum Teil direkt aus der Nachbarschaft.
Vier Wochen kein einziger Auftrag.
Du schaust auf die Statistik. Im vergangenen Jahr um diese Zeit hattest Du zwanzig Sterbefälle mehr. Ist das der Niedergang? Du fängst an zu rechnen. Wie viele Monate lang kannst Du das durchhalten? Du musst bald die Löhne fertigmachen, die kannst Du noch fünfmal zahlen, vielleicht auch sechsmal …
Aus Panik legst Du die eine oder andere Rechnung lieber erst mal beiseite, statt sie sofort zu bezahlen.
Obwohl Du noch händeringend Aushilfskräfte suchst, nimmst Du trotzdem lieber Abstand davon, jetzt einen Bewerber einzuladen oder gar einzustellen.
Selbst Werbung kann Dir nicht helfen. Du wirbst ohnehin zweimal in der Woche mit einer schönen Präsenzanzeige in der Tageszeitung und einmal wöchentlich im Blätt’l und im Stadtanzeiger. Mehr Anzeigen bringen nichts, es stirbt ja keiner, nur weil der Bestatter Sonderangebote hat oder eine „Black Week“ veranstaltet.
Nachts kommen Dir ganz schlimme Gedanken. Du siehst Dich schon zerlumpt und abgebrannt unter einer Brücke wohnen, die Familie ausgemergelt und in lumpigen Fetzen – Les Misérables lassen grüßen.
Vielleicht beziehst Du momentan alles nur auf Dich, aber es scheint so, als mache Dir unausgesprochen jeder einen Vorwurf und gebe Dir allein die Schuld am Niedergang des Unternehmens.
Wen wirst Du als Ersten entlassen müssen? Geld ist genug da, aber Du verschiebst alle Ausgaben auf demnächst. Vertreter schickst Du ohne Auftrag wieder weg. Warenbestellungen gibt es auch keine mehr.
Was wird aus dem Haus werden? Ob sich ein Mieter findet?
Dann klingelt das Telefon. Nein, es klingeln zwei Apparate fast gleichzeitig. Die Maschinerie fängt an zu laufen, zwei Sterbefälle, einer direkt aus der Nachbarschaft, einer aus der nächsten Stadt. Sandy düst los, um die Beratungen zu machen.
Die Männer fahren los. Schon wieder klingelt das Telefon. Nach drei Tagen hast Du acht Leichen im Keller, Särge müssen nachbestellt werden, keiner hat Zeit, Kaffee zu kochen.
Sorgen? Was für Sorgen? Läuft doch!
Bildquellen:
- flaute_800x500: Peter Wilhelm KI
Hashtags:
Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

















