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Gerolltes Geld IX

Sie schlägt mich überhaupt nicht. Sie muß den Stock heben, sonst kann sie das nicht tun, was sie tun will, denn sie umarmt mich. Ich muß mich ziemlich tief zu ihr herunterbeugen und sie schreit mir auf Portugiesisch ins Ohr, überschüttet mich mit einem Schwall portugiesischer Sätze, wechselt unvermittelt ins Flämische und wenigstens das kann ich verstehen.

So schnell der Spuk begonnen hatte, so schnell ist er auch wieder vorbei. Mascha läßt von mir ab und marschiert, vom Onkel und ihren Töchtern begleitet, in Richtung Aufbahrungsraum. Eine Frau übersetzt mir das, was ich nicht verstanden habe und ich erfahre, daß Mascha sich bei mir für die Gastfreundschaft bedankt hat und mir große Anerkennung dafür ausgesprochen hat, daß wir diese Aufbahrung ermöglicht haben. Na, immerhin.

Am Ende der Halle bleibt Mascha unvermittelt stehen, stampft mit dem Stock auf den Boden und wirft mir einen Blick zu, dann sagt sie: „Alla hopp!“ und zwei Frauen geben mir einen Schubser. Ich soll mit Mascha und ihrem kleinen Begleittross mitgehen.

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Mascha hält mir ihren freien Arm hin und ich ergreife ihn, stütze sie ein wenig und empfinde das als Ehre. Vor der Aufbahrungskammer will ich sie loslassen, doch sie klammert und so gehe ich mit ihr, ihren beiden Töchtern und dem aktuellen Onkel hinein.
Die Verstorbene sieht gut aus, Sandy hat immer mal wieder nachgepudert und gezupft, man hat keineswegs den Eindruck, als sei da mit dem Gesicht irgendetwas nicht so, wie es hätte sein müssen. Ob das Aussehen der Frau exakt getroffen ist, spielt kaum eine Rolle. Das ist, so denke ich mir, so wie bei den Figuren im Wachsfigurenkabinett. Es ist auch eine Frage des jeweiligen Betrachters, ob er nun findet daß die Kopie dem Original ähnlich sieht oder ob er findet, daß da keinerlei Ähnlichkeit besteht.
Diese Überlegungen haben mit diesem konkreten Fall nur am Rande zu tun, sie passen auf jeden Verstorbenen, den wir zurecht machen. Die meisten haben wir nie zuvor gesehen, wissen nicht wie sie ihre Haare trugen, können uns nur an Fotos orientieren, müssen oft unserer Phantasie und unserer Erfahrung folgen.
Die Roma jedenfalls haben sich bislang durchweg nur positiv geäußert und befolgen meine Bitte, die Verstorbene nicht anzufassen oder zu küssen, vielleicht hatten sie das auch gar nicht vor, jedenfalls machen sie es auch nicht.

In der Aufbahrungszelle riecht es süßlich, ganz leicht chemisch, eher angenehm. Es ist der Geruch von Incidin, Blumen, dem Öl aus unseren Öllämpchen und ein wenig der Geruch des Todes.
Wir haben einige Beutel Sarghygiene und Mannis Kräutersäckchen in den Sarg gegeben, die ebenfalls zum Geruchsbild beitragen.

Mascha tritt an den Sarg, flankiert von ihren Töchtern und redet mit der Toten. Der Onkel geht einen Schritt zurück, steht im Gang vor der Aufbahrungskammer und kaut Sonnenblumenkerne, die er aus seiner Jackentasche holt. Auch ich trete nach draußen, lasse die Frauen alleine.
Es dauert.

Bald eine Stunde bleibt Mascha im Aufbahrungsraum, hat sich inzwischen gesetzt und redet die ganze Zeit. Dann kommt sie heraus, wieder flankiert von ihren alten Töchtern und angeführt vom diensthabenden Onkel. Mascha hält noch kurz in der Halle Hof, läßt sich etwas zu Trinken bringen, ist alsbald von Leuten umringt und offenbar gibt sie Anweisungen, wie sie sich den weiteren Fortgang vorstellt.
Dann ist der Spuk vorbei, Mascha stampft wieder mit ihrem Stock auf und geht. Das Stimmengewirr nimmt zu, alle reden durcheinander, jeder will seine Sichtweise von Maschas Stippvisite kundtun, dann gehen etliche der Anwesenden, die offenbar alle nur ausgeharrt hatten, um den Besuch der Königin nicht zu verpassen.

Der momentan zuständig Geldrollenonkel tritt an meine Seite: „Wir machen den Sarg jetzt zu, das macht der Mann.“
Es ist der Witwer der jetzt kommt und der von einem anderen die Kurbel für den Sargdeckel erhält. Ich gehe ihm zur Hand, kurbele erst die Liegesstatt der Verstorbenen herunter, dann kurbelt der Witwer den Deckel zu. Langsam senkt er sich über die friedlich da liegende Frau und kurz bevor der Deckel ganz zu ist, wird der Mann von Tränen übermannt. Es ist das letzte Mal, daß er seine Frau sieht, dann zieht die Schwerkraft den Deckel die letzten Zentimeter zu.

Es ist Dienstag, spät nachmittags. ‚Open house‘ ist vorüber, nur noch eine kleine Totenwache wird bis Mittwochmorgen bleiben, dann steht uns das große Ereignis der Überführung bevor. Das wird noch was geben, kann ich Euch sagen!

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#geld! #gerolltes

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(©si)