Mittlerweile lassen sich mehr Menschen einäschern, als dass Menschen in einem Sarg erdbestattet werden. Das ist ein großer Wandel in der Bestattungskultur. Heute gilt die Feuerbestattung als normal.
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- Feuerbestattung im langen historischen Wandel
- In grauer Vorzeit war Leichenverbrennung völlig normal
- Die katholische Kirche propagierte die Erdbestattung
- Die Kremierung wird im 19. Jahrhundert populärer
- Jahrzehntelanger Widerstreit
- In der DDR lief das ganz anders
- Plötzlicher Anstieg der Kremierungen war eine statistische Täuschung
- Allmähliche Entwicklung der Feuerbestattung zum Normalfall
- Kosten, Bequemlichkeit und gesellschaftlicher Wandel
- Feuerbestattungen sind heute der Normalfall
- Bildquellen:
Das war nicht immer so. Früher war die Kremierung eine Besonderheit, die von Kirchen, Institutionen und der Bevölkerung weitgehend abgelehnt wurde.
Freidenker, Freimaurer, Atheisten und Künstler ließen sich verbrennen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung stand dem ablehnend gegenüber.
Feuerbestattung im langen historischen Wandel
Auf den ersten Blick wirkt die heutige Diskussion um Feuerbestattungen so, als handle es sich um eine moderne, beinahe revolutionäre Bestattungsform. Historisch betrachtet ist eher das Gegenteil der Fall: In vielen frühen Kulturen der Menschheitsgeschichte gehörte das Verbrennen der Toten ganz selbstverständlich zum normalen Bestattungsritus.
In grauer Vorzeit war Leichenverbrennung völlig normal
Archäologische Funde zeigen, dass bereits in der Stein- und Bronzezeit in Europa und im Vorderen Orient Verstorbene auf Scheiterhaufen verbrannt und ihre Reste in Urnen beigesetzt wurden. In weiten Teilen des Mittelmeerraums war die Feuerbestattung ebenso verbreitet wie in verschiedenen Regionen Asiens. Auch in der Antike galt sie vielerorts als völlig übliche Praxis: In Griechenland etwa wurden gefallene Krieger eingeäschert und ihre Asche feierlich in Urnen bestattet, in Rom existierten eigene Kolumbarien für Urnenbestattungen; daneben kannte man im germanischen und nordischen Raum ganze Urnenfelder, die von einer weit verbreiteten Feuerbestattungskultur zeugen.
Die katholische Kirche propagierte die Erdbestattung
Mit der Ausbreitung des Christentums in Europa setzte dann ein tiefgreifender Wandel ein. Die Kirche bevorzugte die Erdbestattung, weil die körperliche Unversehrtheit des Leichnams mit der christlichen Auferstehungsvorstellung verknüpft wurde. Die Feuerbestattung galt zunehmend als heidnisch, wurde theologisch abgelehnt und in manchen Regionen auch rechtlich eingeschränkt oder sogar verboten. Über viele Jahrhunderte dominierte in der christlich geprägten Bestattungskultur deshalb fast ausschließlich die Beerdigung im Sarg in geweihter Erde, und die Kremation verschwand nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben.
Die Kremierung wird im 19. Jahrhundert populärer
Erst im 19. Jahrhundert, im Zuge von Industrialisierung, Urbanisierung und hygienischen Reformbewegungen, wurde die Feuerbestattung in Europa wiederentdeckt. In dicht besiedelten Städten wurden Platzmangel auf Friedhöfen und hygienische Probleme diskutiert, außerdem gewannen naturwissenschaftliche und säkulare Weltanschauungen an Einfluss. In diesem Umfeld entstanden bürgerliche Feuerbestattungsvereine, die sich für eine moderne, „vernünftige“ und hygienische Form der Bestattung einsetzten. Technisch wurde das durch den Bau moderner Krematorien möglich: In Deutschland gilt das 1878 in Gotha in Betrieb genommene Krematorium als Pionieranlage, zeitgleich entstanden ähnliche Einrichtungen in anderen Ländern. Die neuen Öfen ermöglichten schnelle, saubere und kontrollierte Einäscherungen – etwas völlig anderes als die offenen Scheiterhaufen früherer Zeiten.
Jahrzehntelanger Widerstreit
Trotz dieser Innovation verlief die Etablierung der Feuerbestattung zunächst zäh. Kirchen, konservative Kreise und große Teile der Bevölkerung standen dem Verbrennen der Toten weiterhin ablehnend gegenüber. Die ersten Krematorien waren eher Ausnahmen, die von liberalen, freidenkerischen oder stark urban geprägten Milieus genutzt wurden. In vielen Regionen blieb die Feuerbestattung weit bis ins 20. Jahrhundert hinein eine Besonderheit und wurde oft nur von einer kleinen Minderheit gewählt. In Statistiken erscheint sie bis weit nach dem Ersten Weltkrieg häufig als Randphänomen; der Normalfall war weiterhin die klassische Erdbestattung.
In der DDR lief das ganz anders
In der DDR entwickelte sich eine ganz eigene Bestattungskultur, in der die Feuerbestattung eine deutlich zentralere Rolle spielte als in der Bundesrepublik. Der sozialistische Staat verstand sich als säkular und strebte eine von kirchlichen Traditionen unabhängige „sozialistische Sepulkralkultur“ an. In diesem Rahmen wurden Krematorien stark gefördert, und die Feuerbestattung wurde aus praktischen, wirtschaftlichen und ideologischen Gründen bevorzugt. Die staatliche Planung sah hohe Kremationsquoten vor; in den 1970er und 1980er Jahren wurden Zielgrößen von deutlich über der Hälfte der Verstorbenen formuliert, und tatsächlich erreichte man in vielen Regionen der DDR sehr hohe Einäscherungsraten. Für große Teile der Bevölkerung wurde die Feuerbestattung dort zum faktischen Standard, während aufwendige Erdbegräbnisse eher die Ausnahme waren.
Plötzlicher Anstieg der Kremierungen war eine statistische Täuschung
Nach der deutschen Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre zeigte sich in der gesamtdeutschen Statistik scheinbar ein sprunghafter Anstieg der Feuerbestattungen. Diese Auffälligkeit war jedoch weniger Ausdruck einer plötzlichen Mentalitätsänderung im Westen als vielmehr eine statistische Täuschung: Nun wurden die fast flächendeckend üblichen Feuerbestattungen aus der ehemaligen DDR mit den im Westen noch überwiegend erdorientierten Bestattungstraditionen zusammengerechnet. Die hohen Einäscherungsquoten des Ostens ließen den gesamtdeutschen Anteil der Feuerbestattungen schlagartig deutlich steigen, obwohl sich die Praxis in Westdeutschland zunächst nur langsam veränderte.
Allmähliche Entwicklung der Feuerbestattung zum Normalfall
In den Jahren nach der Wende kam es dann zu einem allmählichen Ausgleich. Zum einen wirkten die hohen Einäscherungsquoten der neuen Bundesländer statistisch weiter nach, zum anderen setzte in den alten Bundesländern ein stetiger Wandel der Bestattungskultur ein. Säkularisierung, veränderte Familienstrukturen, Kostengesichtspunkte, aber auch ökologische Überlegungen führten dazu, dass die Feuerbestattung zunehmend akzeptiert und schließlich zum Regelfall wurde. Innerhalb von etwa eineinhalb Jahrzehnten näherten sich Ost und West in ihren Bestattungsgewohnheiten deutlich an.
Kosten, Bequemlichkeit und gesellschaftlicher Wandel
Die Kosten einer Feuerbestattung sind deutlich niedriger als die einer Erdbestattung. Mit der Totenasche sind heutzutage mehr Bestattungsformen möglich, als bei einer Sargbestattung. Erfordert die Sargbestattung immer die Anmietung eines Grabes, kann Asche auch verstreut, anonym beigesetzt oder dem Meer übergeben werden. Der Zwang, jahrzehntelang ein großes Grab zu unterhalten, entfällt. Auch Grabsteine, Blumenschmuck und Pflegeaufwand halten sich bei einem Urnengrab in Grenzen. Die Mobilität der Menschen tut ein Übriges. Kaum einer bleibt heute, wie es früher der Fall war, ein Leben lang an einem Ort wohnen, wo dann auch die Gräber immer in der Nähe waren.
Überdies hat der Friedhof als zentraler Ort des Gedenkens an Bedeutung verloren; viele Menschen trauern heute anders.
Feuerbestattungen sind heute der Normalfall
Heute hat die Feuerbestattung in Deutschland die Erdbestattung deutlich überholt. Je nach Region werden inzwischen rund zwei Drittel bis drei Viertel aller Verstorbenen eingeäschert, in einigen Gebieten sogar noch mehr. Während früher die Einäscherung als Besonderheit und Ausnahmepraxis galt, ist sie inzwischen zur Normalität geworden – sowohl statistisch als auch im Bewusstsein der Bevölkerung. Gleichzeitig schließt sich damit ein kulturgeschichtlicher Kreis: Was in frühen Kulturen weltweit eine alltägliche und selbstverständliche Form des Umgangs mit den Toten war, ist nach einer langen Phase kirchlich geprägter Erdbegräbnisse in moderner, technisierter Form wieder zu einer der wichtigsten Bestattungsformen geworden.
Bildquellen:
- krematorium_800x500-1: Peter Wilhelm
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