Geschichten

Günther -XV-

Von da an kam die Birnbaumer-Nüsselschweif, außer am Wochenende, jeden Morgen. Mit wehendem Gewande verschreckte sie die Kinder, saß sich auf der jedesmal mit Zeitung bedeckten Eckbank den ohnehin schon breiten Hintern breiter und machte sich Notizen.

„Was für eine Unterstützung soll das denn schon sein?“ dachte sich Günther und allmählich gewöhnte er sich an die Dicke mit der blonden Strubbelfrisur. Auch die Kinder, außer Thomas, nahmen irgendwann keine Notiz mehr von der Birnbaumer-Nüsselschweif.
Obwohl, ganz richtig ist das nicht, denn die Mädchen begannen so nach vierzehn Tagen die ersten Worte mit ihr zu wechseln und ab da verzichtete die Dicke darauf, sich ständig Notizen in ihr kleines Büchlein zu machen.
Interessiert ging sie auf die Mädchen ein, ignorierte aber Günther und Thomas so gut es ging.
Sobald die Kinder weg waren, verzog sich auch die Familienbetreuerin.

Günther schüttelte nur den Kopf und sagte zu Leo, seinem Untermieter: „Was das soll, das muß mir auch erst mal einer erklären. Unter Familienhilfe verstehe ich, daß da jemand kommt und mir ein bißchen unter die Arme greift. Mensch, ich bemüh‘ mich doch. Ich mach doch sauber und koche und wasche. Aber ich bin eben keine Frau und eine Mama kann ich nicht ersetzen. Ich dachte, die macht mehr und hilft mir ein bißchen.“

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Der Norddeutsche kratzte sich an seinen dürftigen, semmelblonden Haarbüscheln über den Ohren, zog hörbar die Nase hoch und sagte: „Nu‘ ma‘ ehrlich, Günna! Wolltest Du die alte Schabracke als Mama hier haben?“

„Ach was! Bloß nicht! Also jetzt so für mich, igitt, die schwammige Punschpflaume kannste mir nackig auf den Bauch binden… bäh, nee… Aber so irgendwie helfen… Die könnte doch das Frühstück machen oder den Kindern die Betten machen oder mal den Tisch abräumen oder irgendwas, ich weiß doch auch nicht. Aber bloß so da sitzen und nur in ihr Vokabelheft schreiben, was soll denn das bitteschön sein?“

Leo nickte: „Du hast ja Recht. Das sieht mehr nach einer Kontrolle aus als nach Hilfe.“

So ging das tagein tagaus und immer mehr wurde das Erscheinen der immer nach süßem Maiglöckchenparfüm riechenden Frau zur Selbstverständlichkeit. Tatsächlich schien sie sogar inzwischen so etwas wie eine Zuneigung zu den Kindern zu empfinden, denn sie begann, kleine Schokoladentäfelchen, Kekse und Abziehbilder mitzubringen.

Günther mochte die dicke Frau nicht. Sein Frauentyp waren eher kleine, zierliche Frauen, so der südländische Typ, möglichst mit Locken aber vor allem mit blauen Augen. Ob die Birnbaumer-Nüsselschweif überhaupt Augen hatte, konnte Günther gar nicht sagen, meist guckte sie ihn nämlich mit zusammengekniffenen Augen an und außerdem war sie blutarm, hell und teigig. Ihren recht massigen Körper trugen zwei doch vergleichsweise dünne Beine, die aber in das mündeten, was Günther immer Schweinsfüße nannte. Dicke, speckige Füße in etwas zu engen, halbhohen Pumps mit dicken Absätzen. Ihr ständiges Maiglöckchenparfüm konnte Günther schon nicht mehr riechen, ihm verursachte das ein Stechen in der Stirn.

Nach etwa drei Wochen hatten die beiden Mädchen sogar so etwas wie eine Beziehung zu ihr aufgenommen und Günther war einen Morgen ganz erstaunt, als er, nachdem er Thomas vorne an der Straße zum Kleinbus des Behindertendienstes gebracht hatte, wieder in seine Villa Kunterbunt zurück kam.
Die beiden Mädchen saßen einträchtig neben dem dicken Maiglöckchen und Günther hatte sogar das Gefühl, daß sie bei seinem Erscheinen etwas überhastet von ihr abrückten.

Stirnrunzelnd nahm Günther das zur Kenntnis, dann mußten die Mädchen in die Schule und ziemlich wortlos verschwand auch die Frau im wallenden Mantel.
Den ganzen Vormittag dachte er über die Situation vom Morgen nach, dann schüttelte er alle bösen Gedanken ab und beschloß, seine Abneigung gegen die Füllige hintenan zu stellen. Es war doch klar, die Mädchen vermißten ihre Mutter und wahrscheinlich begannen sie in der erstbesten verfügbaren weiblichen Person eine Art Mutterersatz zu suchen. Das konnte er ihnen nicht verdenken. Er würde mit den Mädchen darüber sprechen müssen, das war ihm klar, aber er würde ihnen keinen Vorwurf machen. Sie mußten ihren Anflug von Zuneigung zu dieser Frau nicht vor ihm verstecken. Natürlich hatte er auch schon mal im Beisein der Kinder heftig über die Birnbaumerin geschimpft, so wußten die Mädchen nur zu gut, was er von dieser Frau hielt und um ihn nicht zu verletzen, rückten sie eben, wenn er dazu kam, von der Frau wieder ab. Alles völlig normal, fand Günther.
Doch er würde ihnen klar machen müssen, daß die Familienhelferin nur vorübergehend kommen würde und somit als wirklicher Mutterersatz nichts taugen würde. Irgendwann würde er mit den Kindern wieder alleine sein, ein Tag auf den er sich schon freute, aber dann wäre unter Umständen das Jammern groß, wenn die Mädchen sich zu sehr an die Frau gewöhnt hätten.

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, denn Leo kam nach kurzem Klopfen einfach herein.

„Mann!“ herrschte Günther ihn an: „Was klopfst Du überhaupt an, wenn Du dann doch sofort eintrittst? Man wartet, bis jemand Herein sagt.“

„Mach ma‘ keine Sprüch‘, wir müssen los!“

Das stimmte, denn Günther hatte gar keine Zeit, sich ausführlich mit Frau Birnbaumer-Nüsselspeck zu beschäftigen, denn er hatte im Moment ganz andere Sorgen.

Leo hatte ihm vor ein paar Tagen erzählt, daß ein Kumpel vom Campingplatz ihm an der Trinkhalle erzählt habe, daß die Albaner wieder da seien und das hatte Leo Günther ganz aufgeregt berichtet.

„Was für Albaner? Und wo sind die wieder da?“ hatte Günther gefragt.

„DIE Albaner!“

„Ja, das habe ich ja verstanden, Du Dödel.“

„DIE Albaner eben. Du weißt schon.“

„Mann, setzt Dich hin, hol mal tief Luft und dann redest Du mal in ganzen deutschen Sätzen mit mir.“

Der dürre Norddeutsche klapperte mit seinen Holzschuhen durch die Küche, schob die Zeitung beiseite, auf der die Birnbaumer-Nüsselschweif immer Platz nahm, lehnte sich, die Arme aufstützend, über den Tisch und sagte: „Dir kann man alles erzählen, Du hörst einem nie zu!“

„Mit dieser Aussage hast Du Dich als Frau qualifiziert!“

„Was?“

„So was sagen Frauen auch immer.“

„Meinetwegen, Günna, aber bei Dir stimmt das. Du hörst mir nie zu. Ich hab Dir doch schon von den Albanern erzählt.“

„Ich weiß nix von Albanern, also schieß los!“

„DIE Albaner!“

„Du kannst das Wort DIE noch so sehr betonen, ich weiß nix von Albanern!“

„Ja, also, ich hab Dir doch erzählt, daß auf dem Campingplatz Albaner waren. Als da drüben die Halle Dachpappe aufs Dach gekriegt hat, da waren die da und haben das gemacht und die haben auf dem Campingplatz gestanden mit ihrem Wohnwagen.“

„Ja und?“

„Jetzt sind die wieder da.“

„Schon und gut, aber was hat das mit mir zu tun?“

„Die waren auch da, als Deine Frau umgebracht worden ist und der Fritz vom Campingplatz hat gesehen, daß der eine bei Deiner Frau immer Würstchen und Frikadellen gekauft hat. Der soll oft ’ne halbe Stunde oder länger bei der gestanden haben; und gelacht hätten die beiden immer.“

Günther mußte das alles erst einmal sortieren.
Als seine Frau umgebracht worden war, waren ringsherum etliche Baustellen in Betrieb gewesen. Männer aus aller Herren Länder waren dort als Arbeiter beschäftigt und so wie es aussah, war die Polizei, wenn auch eher widerwillig, alle Baustellen durchgegangen und hatte viele der Arbeiter verhört, nachdem klar geworden war, daß Günther nicht der Täter hatte sein können.

Aber diese Baustelle, die Baustelle drüben am Gartencenter, die war zu diesem Zeitpunkt schon längst abgeschlossen und fertig gewesen, die Arbeiter waren längst zu einer anderen Baustelle weiter gezogen und so hatte auch niemand mit denen gesprochen.
Günther war wie elektrisiert, als er verstanden hatte, was Leo ihm da erzählt hatte.
Jetzt waren diese Männer wieder da, weil es am Ende des Gewerbegebietes wieder ein neues Haus gab, an dem sie arbeiten mußten.
Und einer von diesen Männern soll sich mit seiner Frau gut verstanden haben. Könnte der es gewesen sein?
Wie paßte das alles zusammen?

Seit Tagen schon spielten Günther und Leo Sherlock Holmes und Dr. Watson. Dabei war Günther kein Sherlock Holmes und Leo taugte als Dr. Watson schon dreimal nichts.
Mit Günthers altem Fernglas beobachteten sie den Wohnwagen, standen schräg gegenüber der Baustelle in einem Gebüsch und observierten die Arbeiter, doch es war den beiden noch nicht einmal gelungen, herauszufinden welche von den ganzen Arbeitern die beiden Albaner sein sollten.

Nachdem sie so wertvolle Zeit verplempert hatten, schien es fast so, als sei auch diese Baustelle insoweit fertig und es bestand die Gefahr, daß die Albaner schnell wieder verschwinden würden.
Da kam Günther die erleuchtende Idee, die anderen schon viel früher gekommen wäre, und er fragte einfach bei der Wirtin eines kleinen Imbisswagens, bei der die Bauarbeiter sich ab und zu was kauften, nach den zwei Albanern.
Die lachte: „Ach Sie meinen bestimmt die beiden Brüder Rufan und Sokol! Das sind mir zwei Helden, die beiden, das sind vielleicht zwei!“

„Was für zwei sind das denn?“

„Na, der eine ist so ein ganz verschlossener, kriegt kaum die Zähne auseinander, guckt immer verschüchtert auf den Boden, so ein ganz Schmächtiger und der andere, ein behaarter Kerl, groß wie ein Baum, strahlend weiße Zähne und immer locker drauf. Meine Güte, was hat der mir schon Honig um den Bart geschmiert. Er würde mir Schlösser bauen und die Sterne vom Himmel holen und so’n Zeug.“

Günther lief es kalt den Rücken herunter.
War er auf der richtigen Spur?


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 12 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 20. Dezember 2012

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simop
11 Jahre zuvor

*nagelbeiss* Und, und, und????

Beremor
Reply to  simop
11 Jahre zuvor

Oder, oder, oder!!!!
😉

Garfield
11 Jahre zuvor

Es hat mich ja doch mal gepackt, und ich habe zumindest mal den Wikipedia-Artikel zum Maya-Kalender gelesen. Das Kapitel „Weltuntergangstag“ kann ich nur empfehlen. Es beschreibt sehr deutlich, welch Unfug das ganze eigentlich ist. Um es vorweg zu nehmen: „Besondere Aufmerksamkeit wird heutzutage in esoterischen Kreisen dem 21. bzw. 23. Dezember 2012 gewidmet. Man will hier einen angeblichen „Weltuntergangstag“ der Maya-Schöpfung erkennen. Nach Ansicht von Mayaforschern ist dies inhaltlich völlig unzutreffend.“ Ich wiederhole VÖLLIG UNZUTREFFEND! Selbst wenn man an wahrsagerische Fähigkeiten der Maya glaubt. Wenn ich das richtig verstehe, beginnt auch lediglich ein Zählzyklus von Vorne, was auch nicht das erste Mal im Maya-Kalender wäre.

Garfield
11 Jahre zuvor

Huch! Wie ist mein Kommentar jetzt unter diesem Artikel gelandet??!!??

Big Al
Reply to  Garfield
11 Jahre zuvor

Klappt halt.

idriel
11 Jahre zuvor

Oh nein, inzwischen hatte ich den Günther schon verdrängt und jetzt hänge ich hier kurz vor Weihnachten wieder an der Klippe!!

^_^

turtle of doom
11 Jahre zuvor

Jetzt machen wir aber einen Stuhlkreis und erörtern, wie wir mit dem Cliffhanger umgehen…

11 Jahre zuvor

omg… ich häng an der klippe! *hecktisch nach rettungsseil umseh*

Hilfe?!?!?!
will wissen wies weiter geht *moser zeter*

turtle of doom
Reply to  Asteria
11 Jahre zuvor

…keine Angst, halte durch. Ende Februar besuche ich einen Kurs über die Rettung mittels Seilwinde…

simop
Reply to  turtle of doom
11 Jahre zuvor

Suuuper. Bis dahin sind uns allen die Finger abgefault…

Melina
11 Jahre zuvor

Immer diese Vorurteile von Albanern 😉 Wenn das mein Mann liest, würde er ja wieder behaupten das dass alles gar nicht stimmt was hier über seine Landsleute gesagt wird *lach* Bin mal gespannt wie es weitergeht…

Melina
11 Jahre zuvor

* über Albaner! Sorry für das schlechte Deutsch *schäm*

Melina
11 Jahre zuvor

* über Albaner !! Sorry für das schlechte Deutsch *schäm* 😀

Melina
11 Jahre zuvor

* über Albaner !! Sorry für das schlechte Deutsch *schäm*




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