Geschichten

Günther -XX-

Günther, Leo und Horst saßen bei einem Kaffee in Günthers Küche.
„Moment mal, die können doch nicht einfach Dein Haus abreißen“, schimpfte Horst und Leo jammerte: „Wo schieb ich denn dann bloß meinen Wohnwagen hin?“

Günther blickte mit leeren, wässrigen Augen auf die gegenüberliegende Wand und schüttelte nur langsam den Kopf.

„Günther! Nu‘ reiß Dich mal am Riemen!“ Horst schüttelte Günther an der Schulter. „Das ist doch Dein Haus, Dein Eigentum, Dein Grund und Boden, da kannst Du doch nicht kampflos aufgeben!“

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Der Angesprochene schloß kurz die Augen und sagte dann: „Die blöde, fette Sau. Diese scheiß Frau Birnbaumer… Das hat die geschickt eingefädelt. Holt die Mädchen hier ab und macht Gehirnwäsche mit denen. Dann reißt sie mir unterm Arsch das Haus hier weg und stempelt mich als Obdachlosen ab. So krieg ich die Mädchen nie wieder. Und wo soll ich dann mit Thomas hin? Der Junge kann Veränderungen nicht verarbeiten.“

Horst versuchte seinen Freund zu trösten: „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Weißt Du was? Irgendwo bei der Stadtverwaltung muß es doch eine Stelle geben, wo man Hilfe bekommt. Es kann doch nicht sein, daß alles sich gegen Dich verschworen hat und alle nur gegen Dich arbeiten. Irgendjemand muß doch auch für jemanden wie Dich da sein.“

Leo, dem der ganze Sachverhalt zu kompliziert war, schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein und wollte gerade auf seinen dünngelaufenen Holzpantinen den Raum verlassen, da drehte er sich noch einmal um und analysierte in seiner einfachen Art: „Das is‘ großer Schiet, das kann ich Dir sagen. Die dicke Alte kennt sich ganz genau aus bei die Behördens und die weiß genau, welche Knöppe die drücken muß, damit so armen Schluckern wie uns die Lampe ausgeknipst wird.“

Günther nickte und wußte, daß der einfache Mann von der Küste Recht hatte. Frau Birnbaumer-Nüsselschweif hatte sich offensichtlich in den Kopf gesetzt, seine Töchter sozusagen als eigene Kinder zu behalten. Wer weiß, was die den Mädchen über ihn alles erzählt hatte. Kinder kann man leicht beeinflussen. Und um es ihm schwer zu machen, die Mädchen wieder zu sich zu holen, versuchte sie ihm seine Lebensgrundlage abzugraben. Alles was er hatte, war die Villa Kunterbunt, sie war das Zentrum des gemeinsamen Lebens und nur weil er da keine Miete zahlen mußte, konnte er überhaupt mit den Kindern überleben.
Durch ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten kannte Frau Birnbaumer-Nüsselschweif aber eine Menge Leute und wußte auch in Behördenfragen sehr gut Bescheid. Ihn jetzt als obdachlosen Penner hinzustellen war ein geschickter Schachzug. Hatte er bis vor kurzem noch das Recht auf seiner Seite gehabt und seine Töchter irgendwie irgendwann wieder zu sich holen können, so würde die Fette jetzt wieder das Zauberwort ‚Kindswohl‘ in den Ring werfen und auf seiner Obdachlosigkeit herumreiten.

„Jetzt sag doch mal“, unterbracht Horst seine Gedanken: „Die Hütte hier gehört Dir doch, oder?“

„Nee, die habe ich von Frau Semmelbrot gepachtet. Die ist schon vor Jahrzehnten hier weggezogen und war froh, daß ich mich um Grundstück und Laube kümmerte. Ich muß nicht mal einen Hunderter im Jahr an Pacht bezahlen.“

„Ach, und ich dachte immer, das wäre hier Dein Eigentum. Aber vielleicht ist es so noch viel besser!“ Horst lachte und klopfte Günther aufmunternd auf die Schulter. „Denn überleg doch mal! Die können doch der Frau Semmelbrot nicht einfach das Haus abreißen. Sie ist schließlich die Eigentümerin und Du hast doch einen Mietvertrag. – Du hast doch einen Mietvertrag, oder?“

Günther nickte und deutete auf den Wohnzimmerschrank nebenan: „Da in der Mitte, wo die Tür klemmt, da ist ’ne Schachtel mit dem ganzen Kram.“

Wenig später hielt Horst den handgeschriebenen Pachtvertrag in Händen und versuchte die Adresse und Telefonnummer von Frau Semmelbrot zu entziffern: „Die rufen wir jetzt mal an, die wird sich wundern, was hier vorgeht und dann können die das Haus hier gar nicht abreißen.“

„Okay, mach Du das!“ sagte Günther und war froh, daß Horst ihm das abnahm, denn er hatte fast keine Kraft mehr, um zu verhandeln, zu taktieren und zu pokern. Ihm war die Situation längst über den Kopf gewachsen. Leider ist es so, daß wenn Menschen eine Situation über den Kopf wächst, der Behördenapparat oft ein leichtes Spiel mit ihnen hat. Für fast alles gibt es Regelungen, Vorschriften und Gesetze und was im Einzelnen für ein Schicksal hinter einem Aktenzeichen steckt, das interessiert manchmal keinen und manchmal wissen die Beamten das auch gar nicht.

„Ich geh‘ mal nach vorne und stell mich an die Straße, Thomas wird jetzt gleich gebracht“, sagte Günther, nahm noch einen Schluck Kaffee, zog hörbar die Nase hoch und seufzte. Langsam und nachdenklich schlurfte er nach vorne an die Straße und wartete auf den Kleinbus des Behindertenwerks.

Doch der kam an diesem Tag nicht und auch Thomas kam nicht.


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 24. Januar 2013

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turtle of doom
11 Jahre zuvor

Da hoppeln die Klippschliefer wieder munter umher…

11 Jahre zuvor

… ui, klingt ja sehr vertraut!
Da bin ich aber auf die Fortsetung der Geschichte in 48 Stunden gespannt.

11 Jahre zuvor

Ahhhhhhhhhh, ich hab die Fingernägel schon bis zu den Knochen abgenagt!

Rena
11 Jahre zuvor

Wo die Bi-Nü auftaucht, ist der Schaden nicht weit. Oh weh, jetzt kommt auch der Thomas nicht mehr. Armer Günther. Bin auf die Fortsetzung gespannt

turtle of doom
Reply to  Rena
11 Jahre zuvor

Da habe ich im August eine Frau getroffen, die mich schlaganfallartig an B.-N. erinnerte. Wallende, bunte Kleidung, fett, immerzu lächelnd, und sie engagierte sich für… Afrika.

whiskey
Reply to  turtle of doom
11 Jahre zuvor

das muss ja noch nix bedeuten, aber wenn dann noch raffiniert intrigant mit dazu kommt, dann bin ich auch bei dir

turtle of doom
Reply to  whiskey
11 Jahre zuvor

Soll ich mal ein paar Kinder besorgen und sie in Versuchung führen?

JJPreston
Reply to  turtle of doom
11 Jahre zuvor

Zum Adoptieren oder zum Fressen?

turtle of doom
Reply to  JJPreston
11 Jahre zuvor

Was denkst du denn? Zum Fressen!

Dann müssen die Kinder nur so lange leiden, bis sie à la minute sind.

isidor
Reply to  turtle of doom
11 Jahre zuvor

Claudia Roth?

Nefatina
11 Jahre zuvor

*dieklippehochklettert*

turtle of doom
Reply to  Nefatina
11 Jahre zuvor

Da, mach dich in dieser Schneehöhle bequem. Kochbenzin und Nahrung erhalten wir in fünf Tagen wieder.

Arno Nühm
11 Jahre zuvor

Ist die Birnbaumerin eigentlich immer dieselbe Person oder ist das auch so eine „Sammelfigur“ wie „Manni“?

Lochkartenstanzer
Reply to  Arno Nühm
11 Jahre zuvor

TOM erwähnte das ein oder andere mal, daß die Nüsselschweif die Sammlung der typischen Charaktere ist.

Erfurter Puffbohne
11 Jahre zuvor

Man sollte meinen, so was gibt es in der Realität nicht. Aber Geschichten solcher Art gibt es immer wieder, und gar nicht mal sooo selten. Ich bin gespannt, wann ich, bzw. wir alle, die wir hier mitlesen, über die nächste „Klippe“ springen dürfen… 😉




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