Geschichten

Günther XXXVIII

Am späteren Nachmittag schauten gleich mehrere Leute verdutzt aus der Wäsche.

Zunächst war da der fromme Herr Birnbaumer, der mit seiner speckigen Bibel unter dem Arm in das im Obergeschoß seines Wochenendhauses liegende Gästezimmer ging und Ute und Monika zur Lesestunde herunterholen wollte. Doch er fand das Zimmer leer vor, die Mädchen waren weg.
Und dann schaute Günther ziemlich erstaunt, als er im St. Agnes-Krankenhaus auf der Intensivstation wieder zu sich kam und sich an piepsende und blinkende Geräte angeschlossen sah.
Ebenfalls dumm schaute zur gleichen Zeit Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, als die Gemüsefrau auf ihrem Handy anrief und ihr brühwarm erzählte, die „Griminolbolizei wär‘ an ihrem Haus gewese‘ und da wär‘ ä Mann gestorbe‘, direkt vor der Tür, einfach tot umgefalle“.
Auch Frau Ströttinger guckte ziemlich belämmert, als Dr. Koslowski sie in ihrem Büro im Jugendamt anrief und ihr mitteilte, daß man sehr wohl tätig werden könne, er habe sich nach dem Bericht seines Kollegen Gräbert nämlich erkundigt und maßgebend sei nicht der Aufenthaltsort, sondern der Ort an dem die Mädchen gemeldet seien. Man könne sich nun der Hilfe der zuständigen Polizei versichern und die Kinder des Herrn Salzner selbstverständlich in Möhringshausen abholen.

Frau Ströttingers Kollege Sack verzog den Mund und brummte: „Hab‘ ich doch gleich gesagt.“

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„Was du auch immer alles weißt. Mir ist es lieber, wir schauen immer erst nach der Rechtslage, bevor wir was Falsches machen und ein Verwaltungsakt hinterher ungültig ist oder angefochten werden kann“, rechtfertigte sich die Frau vom Jugendamt.

„Auch egal, ich wollte ja nicht meckern, aber was machen wir jetzt? Fahren wir nochmal los und holen die Mädchen?“

„Du bist gut. Wo sollen die denn hin? Der Vater liegt im Krankenhaus. Wenn wir sie jetzt abholen, müßten wir sie ins Heim bringen und gerade das soll ja nicht sein. Genau deswegen sind sie ja beim Ehepaar Birnbaumer-Nüsselschweif.“

„Und jetzt?“

„Ach, weißt du was? Wir telefonieren nochmal mit dem Wohlfahrtsverband. Die beiden Typen scheinen den Salzner ja zu kennen und zu mögen, vielleicht fällt denen was ein.“

Im Krankenhaus schaute ein grün gekleideter Pfleger nach Günther. „Sie haben aber nochmal richtig Glück gehabt. Haarscharf am Infarkt vorbeigeschrammt.“

„Kein Infarkt?“ keuchte Günther, dem das Sprechen schwer fiel.

„Nein, aber eine schwere Herzattacke. Damit ist nicht zu spaßen.“

„Ich muß aber meine Töchter abholen.“

„Sie müssen jetzt gar nichts, Sie müssen nur hier im Bett liegen und brav machen, was wir Ihnen sagen, sonst kippen Sie uns doch noch mit einem Infarkt direkt in den Sarg, und das wollen wir doch alle nicht, oder?“

„Und wie lange muß ich hier bleiben?“

„Das entscheidet der Oberarzt. Dr. Pflaumrieder kommt nachher noch zu Ihnen, vielleicht können Sie heute am späten Abend schon auf Station, aber jetzt bleiben Sie erst einmal hier. Immer mit der Ruhe.“

Günther wollte noch etwas sagen, aber dazu fehlte ihm die Kraft, kurz darauf sank er wieder in einen traumlosen Schlaf.

Monika und Ute hatten alle ihre Sachen in dem düsteren Eulenzimmer gelassen und nur ihre Anoraks mitgenommen. Sie waren einfach auf den Balkon gegangen, dann über die Brüstung geklettert und von dem Sims daneben konnte man bequem auf den Anbau springen und von dort auf einen Stapel mit Brennholz, schon war man am Boden.
Da sich die Mädchen in der Gegend nicht auskannten und es schon anfing zu dämmern, beeilten sie sich, auf den Weg zu gelangen, über den sie mit dem Auto gekommen waren.

Monika hielt Utes Hand, zog sie mit sich und sagte:
„Da habe ich eine Kreuzung gesehen, wo es so grüne Wanderpfeile gibt. Wir müssen rennen, denn die Fette und der olle Bibelheini kommen ganz bestimmt mit dem Auto hinterher. Wenn wir da am grünen Pfeil aber in den Wanderweg abbiegen, dann können die nicht mit dem Auto hinterher und wir müssen nur den Pfeilen folgen. Du weißt doch was Papa uns gesagt hat, solche Pfeile führen immer irgendwie auf einen Rundweg und man kommt ganz bestimmt sicher irgendwo an. Dann steigen wir einfach in einen Bus und fahren nach Hause.“

„Hoffentlich wird es nicht vorher dunkel“, jammerte Ute.


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 18. Oktober 2013

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