Geschichten

Günther -XI-

orgel

Zu jener Zeit, und man darf ja nicht vergessen, daß das alles schon viele Jahre her ist, war es in der Stadt üblich, daß sozial Schwache, Unbekannte und die so genannten „unklaren Toten“ eingeäschert und „teilanonym“ beigesetzt wurden.
Eigentlich hätten diese Verstorbenen laut Satzung und Gesetz eine Erdbestattung, wenn auch eine schlichte, bekommen müssen. Aber aufgrund eines dummen Zufalls war in einem Jahr die Zahl der Einäscherungen so hoch geschnellt, daß sie die Zahl der Erdbestattungen leicht überstieg.

Der dumme Zufall lag in der verzögerten Fertigstellung des Waldfriedhofes begründet.
Der Waldfriedhof ganz im Norden der Stadt ist seinerzeit komplett neu gestaltet und erweitert worden.
Die Trauerhalle, ganz aus hellem Nadelholz gezimmert, war hochmodern und erinnerte doch eher an eine große Waldhütte. Die neuen Gräberfelder sollten wie kleine Inseln quasi mitten im Wald liegen, verbunden durch schön gepflasterte Wege und ausgestattet mit vielen Parkbänken.

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Schon vorher, als der Waldfriedhof noch ein kleiner, unbedeutender Friedhof gewesen war, erfreute er sich einer besonderen Beliebtheit und es galt als eine Besonderheit, dort ein Grab zu ergattern. Es wurde gemunkelt, man müsse da schon ordentlich was zusätzlich hinlegen, damit das Friedhofsamt einem dort ein Grab verkaufe. Natürlich wurde das von offizieller Stelle immer bestritten…

Jetzt aber bahnte es sich an, daß genügend Gräber zur Verfügung stehen würden und sehr viele Leute in der Stadt hatten ein Grab auf diesem besonders schönen Friedhof fest eingeplant.
Ja und dann kamen die Umweltschützer und behaupteten, dort im Wald am Stadtrand gäbe es den ach so seltenen Blubberhamster oder so.
Zwar hat niemals jemand einen solchen Hamster dort gesehen, aber das änderte nichts daran, daß diese Viecher unter besonderem Schutz standen und damit die Erweiterungsarbeiten des Friedhofs so lange ruhten, bis wissenschaftlich festgestellt war, daß die Hamster wohl inzwischen weggezogen wären.
Das hat mehr als zwei Jahre gedauert.
Tja und was taten die Leute? Die Leute hatten herausgefunden, daß man laut Friedhofssatzung in jedes normale Reihengrab kostenlos noch eine Urne mitbestatten kann.
Diese Regelung gab es für den Fall, daß ein Ehepaar kurz hintereinander verstirbt, es muß ja auch von den Ruhezeiten passen, und beide in ein Grab sollen. In ein normales Erdreihengrab kann aber nur ein Sarg. Der andere Ehegatte hätte unter Umständen an einer vollkommen anderen Stelle des Friedhofs ein Grab bekommen. Damit das nicht passiert und damit die Familien nicht so stark finanziell belastet werden, konnte man in einem solchen Fall den zweiten Verstorbenen einäschern und seine Urne mit in das Grab des Ehepartners geben lassen.
Aber die Stadtoberen hatten vergessen, explizit das Wort Ehepartner oder Verwandter in die Satzung aufzunehmen.

Desweiteren waren die Leute dahinter gekommen, daß in der Satzung stand, daß man die Ausgrabung einer Urne nur aus einem außerordentlich wichtigen Grund vornehmen lassen könne.
Das weiß man ja, daß die Behörden die Hürde für das Ausgraben von Särgen und Urnen sehr hoch ansetzen, weil die Leute sonst manchmal auf dumme Gedanken kommen. Die Totenruhe geht vor.
Nur hatte die Friedhofsverwaltung natürlich auch ein durchaus veritables Interesse daran, große und teure Gräber zu verkaufen und deshalb sagte Paragraph 28 der Satzung, daß Ausgrabungen von Urnen dann zu einem Preis von nur 80 Mark außerordentlicherweise möglich seien, wenn ein naher Angehöriger verstirbt und die Urne mit diesem gemeinsam in ein teures Wahlgrab umgebettet werden soll.

Diese beiden Regelungen führten seinerzeit zum Urnenparken.
Ja, die Leute wollten also alle gerne auf dem Waldfriedhof beerdigt sein. Der war aber noch nicht fertig und es stand in den Sternen, wann er fertig sein würde.
Also suchte man sich im Todesfalle im Bekanntenkreis jemanden, der neulich erst einen Angehörigen in einem Reihengrab hatte beerdigen lassen und ließ die Urne seines eigenen Verstorbenen einfach mit im Reihengrab dieses fremden Menschen beisetzen.
Das geschah mit mehreren hundert Leuten so!
Die Friedhofsverwaltung wunderte sich zwar über den enormen Anstieg von Urnenbestattungen, führte aber dieses „Beibestatten“ in fremden Gräbern auf die allgemein schlechte wirtschaftliche in der Stadt zurück.
Eigentlich war diese Regelung ja nicht geschaffen worden, damit sich Fremde beieinander bestatten lassen und so Grabgebühren sparten, sondern damit Ehepartner zusammen in ein Grab können.
Aber das stand eben so nicht in der Friedhofssatzung.

Sofort ging man daran, die Friedhofssatzung in diesem Punkt zu überarbeiten. Doch da die Satzung sowieso noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammte, wäre noch viel mehr anzupassen und zu ändern gewesen und das wollte man dann alles in einem Aufwasch erledigen.
So zog sich das dann eben auch ein paar Jahre hin.

Eines Tages wurde der Waldfriedhof dann doch feierlich eingeweiht. Fürs Erste habe man nun 400 neue Gräber geschaffen, bei Bedarf könnten noch unzählige weitere Felder im Wald in Betrieb genommen werden, aber 400, das sei ja eine stolze Zahl, die für einen solchen Vorortfriedhof eine ganze Weile reichen sollte.

Denkste! Kaum war der schöne Waldfriedhof fertig, häuften sich bei der Friedhofsverwaltung die Kaufanträge für Wahlgräber und die Anträge auf Umbettung einer Urne dorthin.
Erst da kam man bei der Behörde darauf, daß sehr viele Witwen ihren Franz, Egon oder Bruno nur im Grab eines anderen „geparkt“ hatten und eigentlich auf ein Grab auf dem Waldfriedhof gewartet hatten.

Dagegen wollte die Verwaltung sich zunächst wehren, hatte aber letztlich keinen Erfolg damit. Das Theater wäre zu groß geworden und deshalb genehmigte man dann in einem Eilverfahren alle diesbezüglichen Anträge; nicht zuletzt auch, weil sich auf diese Weise auf dem neuen Waldfriedhof überproportional viele teure Wahlgräber verkaufen ließen.
Die 400 Gräber reichten schon nach kurzer Zeit nicht mehr und am Ende hatte es nur Gewinner gegeben. Die Witwen hatten durch das „Urnenparken“ sicher gestellt, am Ende mit ihrem Ehemann gemeinsam in ein Grab zu kommen, man hatte die schönen Gräber auf dem Waldfriedhof und die Stadtverwaltung hatte in diesen zwei oder drei Jahren doppelt so viele Wahlgräber verkauft wie zuvor.

Ja und deshalb hatte es da ein Jahr gegeben, in dem die Einäscherungszahlen besonders hoch gewesen waren. Und genau darauf verwies die Stadt, als sie die Feuerbestattung zur „ortsüblichen“ Bestattung machte und deshalb konnte man Arme und „unklare Tote“, also solche ohne Verwandte usw., einäschern und anonym bestatten lassen.
Hierbei bediente man sich auch eines Tricks. Den Leuten hätten nach den Buchstaben des Gesetzes einfache Gräber zugestanden. Eine Sammelwiese irgendwo auf dem Friedhof ist aber nunmal kein Grab.
Aber man sagte, der Verwaltung sei die Stelle, an der die betreffenden Urnen beigesetzt seien, sehr genau bekannt, damit sei das eine ordentliche Grabstätte, nur eben ohne äußerliche Kennzeichnung. Und wenn dann doch ein Angehöriger komme und zu den Kosten herangezogen werden könnte, dann stünde ja der Anlage eines ordentlichen Grabes in einem anderen Gräberfeld nichts im Wege.

Und genau vor so einer anonymen Wiese stand Günther dann eines Tages und suchte ratlos nach irgendeinem Hinweis, wo denn seine Frau liegen könnte.
Doch es gab keine Tafel, kein Kreuz, keine Markierung.
Nur diese große gemähte Wiese gab es dort, mehr nicht.


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 24. Juli 2011 | Revision: 1. Juni 2012

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simop
13 Jahre zuvor

Und? Weiter! 😉

hajo
13 Jahre zuvor

lieber Tom, das kannst Du wirklich nicht machen: am heiligen Sonntag Deine Leser (m/w) derart auf die Folter zu spannen ist – vorsichtig ausgedrückt – wirklich nicht nett
also: bitte mach zu! 🙁

nur mal so
13 Jahre zuvor

Hmmmm….das erinnert mich stark an den Wald-/Dornhaldenfriedhof. Da ging es einstens auch mal so zu. 😀

turtle of doom
13 Jahre zuvor

Ich geh grad einen Blubberhamster suchen…

13 Jahre zuvor

Normalerweise sind es ja eher Kröten, die irgendwo vor Friedhofserweiterungen geschützt werden müssen 😉

turtle of doom
13 Jahre zuvor

Friedhofsverwalter: „Husch, mal weiter, die Mindestruhezeit von 20 Jahren habt ihr hoffentlich geniessen können.“

Und weiter ziehen die Kröten, um sich anderswo auszuruhen…

Pythia
13 Jahre zuvor

Am Wiener Zentralfriedhof gibt es Feldhamster, die sich weder durch die Toten noch durch Friedhofsbesucher stören lassen, allerdings hab ich sie noch nie blubbern gehört …

ein anderer Stefan
13 Jahre zuvor

Was die Feldhamster angeht: Es heißt ja immer, die seien vom Aussterben bedroht. So häufig, wie die bei irgendwelchen (Bau-)Maßnahmen gefunden werden, beschleichen mich da leise Zweifel, ob sie wirklich so bedroht sind…

Alex E.
13 Jahre zuvor

Na toll, die Schwester staubt das Haus ab, aber eine ordentliche Beisetzung der eigenen Schwester kommt dann nicht in Frage? Unglaublich

Anni
13 Jahre zuvor

@ turtle of doom:
Und, hast schon einen gefunden? 😉

turtle of doom
13 Jahre zuvor

@ Anni:
Nein, sie sind sehr, sehr scheu… 🙁

Aber seltsamerweise hab ich schon mal einen Luchs gesehen, und das nicht im Zoo…

@ ein anderer Stefan:
Kommt ganz darauf an…… Feldhamster sind auf „naturnahe“ Landschaften angewiesen – ungenutztes Brachland, keinen intensive Nutzung, und für die Hamsterhöhlen wäre es auch noch praktisch, wenn nicht alle 4-5 Monate umgepflügt wird.

Irgendwie logisch, dass für Bauvorhaben kein Gebiet vorgesehen ist, welches grad intensiv genutzt wird, sondern etwas, das wegen mangelnder Nutzung sowieso schon ein halbes Naturschutzgebiet ist.

Für Stuttgart 21 *michduck* will man ja auch nicht die Königstrasse mitsamt den Geschäftshäusern abreissen…

ein anderer Stefan
13 Jahre zuvor

Beim letzten Projekt hier, bei dem Hamster gefunden wurden, handelte es sich um eine intensiv genutzte Ackerfläche. Tante Wiki meint, dass wäre wohl nicht untypisch, es sind mehr oder weniger Kulturfolger (was der Name ja auch vermuten läßt).

Nein, mir ist klar, dass der Hamster zu Recht geschützt ist, ähnlich wie andere Tierarten, die der Mensch bis an der Rand der Ausrottung dezimiert hat. Wahrscheinlich machen Hamster nur mehr Schlagzeilen als andere Tiere, vor allem, wenn mal wieder versucht wird, sie umzusiedeln – was meistens in die Hose geht.

Ralf
13 Jahre zuvor

Die Hamster (Cricetinae) sind eine Gruppe der Mäuseartigen und werden meist den Wühlern zugeordnet.
Ihr Verbreitungsgebiet sind trockene und halbtrockene Gebiete Eurasiens. In Mitteleuropa kommt nur der Feldhamster vor. Fossil sind Hamster seit dem mittleren Miozän aus dem nördlichen Afrika und aus Eurasien bekannt. Die meisten Hamster sind nicht gefährdet. Eine Ausnahme bildet der Syrische Goldhamster, der wie einige andere Hamster als Versuchs- und Heimtier von Bedeutung ist.
Die maus- bis rattengroßen Hamster sind von wühlmausartiger Gestalt, jedoch meist mit kurzem Schwanz. Sie besitzen in jeder Kieferhälfte drei bewurzelte Backenzähne, deren Höcker in zwei Längsreihen angeordnet und durch Schmelzleisten meist kreuzweise miteinander verbunden sind. Die innen liegenden Backentaschen dienen dem Transport der Nahrung. Quelle: Wikipaedia

13 Jahre zuvor

Wir haben in den 80ern 10DM pro erlegtem Hamster bekommen (50Pfennig/Maus) und die haben ALLE in intensiv bewirtschafteten Äckern gesessen.

Lukas
13 Jahre zuvor

weeeiter bitte 🙂 jetzt warte ich schon zwei Wochen gespannt auf die Fortsetzung.

rotezora
13 Jahre zuvor

Haben wir uns nicht langsam genug in Demut und Geduld geübt? Ich warte auf die Fortsetzung der Günther-Story!

der kleine Tierfreund
13 Jahre zuvor

GÜNTHER ! GÜNTHER !

Christoph
13 Jahre zuvor

Geht es mit dieser Story eigentlich mal weiter?




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