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Herr Mecklenburger hatte sich sehr auf seinen Ruhestand gefreut, seine Frau eher weniger. „Der war mir zu Hause schon im Weg, wenn der mal Urlaub hatte“, sagt sie zu mir und wischt sich einige Tränen aus den Augen: „Ist das schlimm, wenn ich das jetzt so sage? Ich meine, der wußte so gar nichts mit sich anzufangen, hatte keine Hobbies, las nie auch nur eine Zeile, saß dann immer nur herum und wollte unterhalten werden. Aber meine Arbeit erledigt sich doch nicht von alleine und ich kann doch nicht alles liegen und stehen lassen und mich den ganzen Tag um ihn kümmern, oder?“

Was soll ich dazu sagen? Ich wackele deshalb mal vorsichtshalber nur undefinierbar mit dem Kopf, mache ‚Hm‘ und schreibe weiter die persönlichen Daten des verblichenen Herrn Mecklenburger in mein Formular.

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„Sogar wenn wir im Urlaub weggefahren sind, wußte der nicht, was er machen sollte. Den ganzen Tag hat er sich gelangweilt, am Liebsten hatte er es, wenn ich ihm aus der Zeitung etwas vorgelesen habe. Ist das nicht fürchterlich? Wozu hat er sich überhaupt auf seine Zeit als Rentner gefreut? Können Sie mir das sagen? Wo er noch gearbeitet hat, war er wenigstens den ganzen Tag beschäftigt und sagen Sie doch mal ehrlich, als Buchhalter macht man sich wirklich nicht kaputt. Das hätte der gut und gerne noch zehn Jahre machen können.“

Ich mache wieder ‚Hm‘ und sie weint: „Ist ja nicht so, daß er mir nicht jetzt schon fehlt. Aber der wollte ja noch nicht mal, daß zu uns jemand zu Besuch kommt. Meine Schwester Irma zum Beispiel, die kam nur ein Mal pro Woche mit ihrer Schwägerin Lina zu Besuch. Das war immer sehr schon und Heinz war dann ja auch auf Arbeit. Aber seitdem er im Januar in Rente gegangen ist, saß er nur gelangweilt dabei, hat auf die Uhr gesehen oder einfach den Fernseher angemacht. Und meine Mutter kommt ja immer Freitags und kocht bei uns Fisch, das macht sie, damit ihre Wohnung nicht so stinkt, ja und was macht Heinz? Der macht das Fenster auf und regt sich auf! Können Sie sich das vorstellen?“

„Wie ist ihr Mann denn gestorben?“ erkundige ich mich und sie macht nur eine wegwerfende Handbewegung.

„Ach hören sie mir bloß auf! Ich hab‘ ja mal Friseuse gelernt und blondiere mir jetzt seit 30 Jahren meine Haare. Am Freitag ist Heinz auf die Idee gekommen, er könne seinen Bart ausgerechnet mit meiner Blondierung schwarz färben. Er hat sich eine Paste angerührt, sein halbes Gesicht eingeschmiert und das wo er doch so schwer Asthma hat.“

Sie berichtet weiter, daß ihr Mann so heftig auf die einwirkenden Chemikalien reagiert habe, daß er wohl schon beim Eintreffen des Notarztes nach Atemnot, heftigem Würgen und Husten so weit weggetreten war, daß man im Krankenhaus nicht mehr viel für ihn habe tun können.

Sowas habe selbst ich noch nicht gehört und gebe meiner Verwunderung auch Ausdruck, doch Frau Mecklenburger winkt nur ab: „Ach, was wissen Sie denn schon? Wenn dem langweilig war, ist der auf die blödesten Ideen gekommen. Ich geh‘ Einkaufen und was macht der? Er kommt auf die Idee, ausgerechnet er, der noch nie in seinem Leben was gekocht hat, müsse jetzt Schnitzel braten. Das Paniermehl wollte ich vom Einkauf mitbringen und weil er keins gefunden hat, hat er die frischen Brötchen vom Frühstück in der Mikrowelle trocknen wollen. Wissen Sie was mit Brötchen passiert, die man zulange in der Mikrowelle läßt? Nein? Die fangen an zu brennen! Ja gut, gelöscht hat er selbst, aber was glauben Sie, wer die Sauerei wegputzen mußte? Ich! Und einen neuen Küchenschrank haben wir auch gebraucht! Nee, eine Hilfe war der nun mal wirklich nicht.“

„Was es nicht alles gibt“, sage ich und sie schnieft in ihr Taschentuch: „Samstags nach dem Frühstück hat er den Küchentisch belagert. Da war er gut drin! Dann hat er das Glücksheft genommen und die Zahlen ausgewertet und drei Stunden lang Lottoscheine ausgefüllt, das war immer schön, da hatte er dann was zu tun.“

„Meine Güte, wieviele Scheine hat ihr Mann denn ausgefüllt?“

„Drei Stück, immer drei Stück. Einen immer mit den gleichen Zahlen, seit 24 Jahren. Die anderen beiden streng wissenschaftlich nach einer eigenen Methode. Ich sag noch zu ihm: Such dir ein Hobby, sammel doch mal was! Doch er sagte nur: Wozu, Irma, wozu?“

„Manche haben ja im Alter einen Garten“, fällt mir noch so ein, doch Frau Mecklenburger sagt: „Pah! Der und Garten! Ich sitz‘ in der Wanne und mein Heinz kommt auf die Idee, er könne ja mal die Topfpflanzen auf der Fensterbank zurückschneiden. Alle ratzekahl abgeschnitten, alle, wirklich alle, nee, Gärtnern wäre für den auch nichts gewesen.“

„Ja aber irgendwas kann doch jeder.“

„Der aber nicht, der konnte bloß Lottoscheine ausfüllen.“

Sie sucht einen schönen Sarg raus, hat seinen Anzug schon gleich mitgebracht, will ein Reihengrab, Erdbestattung und eine schöne Trauerfeier mit passender Musik.

Tja, was für Musik könnte da passen?

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(©si)