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Haarige Sache

Vor vielen Jahren waren wir auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für eine Filiale.
Es war Frau Rotermund, die sich an uns wandte und uns passende Räume anbot. Im Erdgeschoss eines dreistöckigen Wohnhauses befanden sich ein Ladenlokal mit angrenzendem Büro und im Keller gab es riesige Räumlichkeiten, die man über eine großzügige eigene Tiefgaragenzufahrt erreichen konnte, dort war nämlich früher eine kleine Parfüm- und Haarwasserproduktion untergebracht. Seit Jahren standen die Räume nun leer, Frau Rotermund war zu sehr mit der Pflege ihres kranken Gatten beschäftigt gewesen, als daß sie sich um die Wiedervermietung hätte kümmern können.

Ihren Mann hatten wir anständig unter die Erde gebracht und in diesem Zusammenhang waren wir ins Gespräch gekommen und sie hatte uns dann eine Woche später die besagten Räume angeboten. Die Lage war hervorragend, die Miete angemessen und so kamen wir ins Geschäft.

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Schon 14 Tage später begannen wir mit der Renovierung und zogen ein. Sechs Särge aus allen Preisklassen in geschmackvollen Regalen, 20 Urnen in gipsverputzten, vorgesetzten Mauernischen und einen Kleiderständer mit Decken und Talaren. Mehr braucht es nicht, bloß noch einen Schreibtisch und ein paar Sessel.

Im Keller lagerten wir Särge ein und richteten auch eine Werkstatt für die Ausstattung derselben ein.

Alles lief bestens und schon nach sieben Tagen kamen die ersten Hinterbliebenen direkt zu dieser Anschrift, um sich beraten zu lassen und einen Auftrag zu erteilen. Sehr vielversprechend.

Es waren drei oder vier Monate ins Land gegangen und das Geschäft am neuen Standort hatte sich ganz brauchbar entwickelt, da hatten wir das erste Mal mit gewissen, na nennen wir es Unannehmlichkeiten, zu tun.
Ich kam eines Morgens dorthin und treffe beim Aufschließen der Tür auf Herrn Scheiderle, der gerade das Haus verlassen wollte. Ich grüßte höflich und da ich ihn schon ein paar Mal am Fenster gesehen hatte, nutzte ich die Gelegenheit, um mich vorzustellen und ihn bei passender Gelegenheit zu einem Kaffee einzuladen, den wir dann auf gute Nachbarschaft trinken könnten.

„Ich? Bei Ihnen? Da walte Hugo! Nicht einen Schritt setze ich in ihre vermaledeite Teufelshöhle. Allein schon bei dem Gedanken wird mir schlecht, Leichen, Tote, verstorbene Menschen, ekelhaft!“
Das sagte er, tippte sich an sein Pepitahütchen und ging an mir vorbei, nicht ohne die Tür absichtlich wieder ins Schloss zu ziehen und mich draußen mit dem Schlüssel in der Hand stehen zu lassen.

Eine Gelegenheit, ihm zu antworten, ließ der Mann mir nicht und war ruckzuck um die Ecke verschwunden.

Einen Tag später kam ich wieder dorthin und fand im Treppenhaus vor unserer inneren Tür einige leere Plastiktüten vor, zusammengeknüllt und achtlos hingeworfen.
Von oben, halb über das Treppengeländer gebeugt meldete sich Herr Scheiderle zu Wort: „Ah na, gut daß Sie da sind. Das sind alles Tüten von Ihnen, die haben Ihre Leute auf den Hof geworfen.“

„Warum sollten sie das tun? Solche Tüten haben wir gar nicht.“

„Papperlapapp, das sind Tüten von Ihnen. So geht das nicht weiter, ich habe schon an die Hausverwaltung geschrieben.“

Schon war er wieder verschwunden, der alte Simpel.
Frau Rotermund unsere Vermieterin lebte, das muß ich noch erzählen, im weit entfernten Schwarzwald, da wo man schon die Schweizer rufen hört. Hier vor Ort kümmerte sich eine Hausverwaltung um alles, die vor allem dadurch auffiel, daß sie jeden Monat Geld kostete und ansonsten durch Abwesenheit glänzte. Vielleicht sollte man doch nicht eine Firma beauftragen, deren Visitenkarte kündete: „Simone Kurz, medizinische Fußpflege und Immobilienverwaltung“.

Im Verlaufe der Zeit mehrten sich solche Vorfälle, nicht nur Herr Scheiderle, auch die anderen Mieter des Hauses begannen sich über uns zu beschweren. Einmal sollen wir an Tagen gehämmert und gebohrt haben, an denen keiner von uns dort war, ein anderes Mal habe es im ganzen Haus nach „Leiche“ gerochen, obwohl wir dort überhaupt keine Leichen aufbewahrt haben.

Eines Tages fand ich ein Schreiben im Briefkasten vor, unterzeichnet von allen Hausbewohnern, man forderte uns auf, binnen 14 Tagen dort auszuziehen, sonst würde man anfangen jeden Monat 5% der Miete zu kürzen, jeden Monat 5% mehr!
Es sei nicht zumutbar, unter einem Dach mit einem Beerdigungsinstitut zu wohnen und das bringe die Leute teilweise um den Schlaf und teilweise beinahe um den Verstand.

Ich rief bei der Hausverwaltung an, doch wie so oft zuvor, erreichte ich nur den Ansageautomaten der Fußpflege und Immobilienverwaltung Simone Kurz. Also rief ich Frau Rotermund an; die fiel aus allen Wolken: „Ja spinnen die? Noch bin ich es ja wohl der bestimmt, wer da in meine Räume einzieht und wer nicht. Da werde ich gleich veranlassen, daß ein Aushang ins Treppenhaus kommt.“

Frau Rotermund ließ die ganze Sache aber keine Ruhe und sie telefonierte ein wenig herum, schließlich erfuhr sie, daß hinter der ganzen Sache nicht Herr Scheiderle oder die anderen Mieter im Haus steckten, sondern eine junge Friseurin im Nebenhaus. Auch dieses Haus gehörte Frau Rotermund und eben da betrieb die Friseurin ihren Friseurladen, der sinnigerweise „Haarklein“ hieß. Diese Friseurin hatte ich ein oder zwei Mal gesehen, sie hatte immer freundlich gegrüßt.

Jetzt erfuhr ich von Frau Rotermund, daß diese junge Frau es war, die in ihrem Salon eine üble Hetzkampagne gegen uns gestartet hatte. Ein Bestattungsinstitut im Nachbarhaus, das wollte sie nicht haben, das verscheuche ihr angeblich alle Kunden.

Nun war Frau Rotermund ja eine ältere Dame und wollte vor allem eins, ihre Ruhe. So kam es, daß sie im Verlaufe einiger Wochen ihre Position änderte und mir nun die Verantwortung für die Lösung des Problems aufbürdete. „Gehen Sie doch mal rüber und lassen Sie sich da die Haare schneiden. Bringen Sie das in Ordnung, sorgen Sie für ein angenehmes Klima im Haus.“

Es könne ja nicht sein, daß sie alle ihre Mieter verliere, nur wegen uns.

Nun ist mein Haupthaar für einen Mann meines Alters noch erstaunlich füllig, aber für gewöhnlich lasse ich mir die Haare gerade zum Sommer hin ganz kurz abschneiden und deshalb stand ein Besuch bei einem Friseur nicht an, die Haare waren nämlich gerade erst abgeschnitten worden.
Und so kam es sechs Wochen später zu einem denkwürdigen Schreiben von Frau Rotermund, in dem es hieß:

„…kündige ich Ihnen die Räumlichkeiten fristgemäß zum nächstmöglichen Termin, weil Sie es unterlassen haben, sich die Haare schneiden zu lassen.“

Nachbemerkung: Wir sind noch anderthalb Jahre an dieser Anschrift geblieben und haben dann eine Filiale im dörflichen Bereich eröffnet.

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