Geschichten

Katja, der Goldfisch -III-

Das Schlimme an solchen Geschichte ist immer, daß man dann erst mal gar nichts über den Fortgang erfährt.
Das ist bei ganz vielen Schicksalen und Ereignissen so, denn als Bestatter bist Du irgendwas raus aus der Nummer und hast nichts mehr damit zu tun.
Klasse, ich weiß nun, daß ungefähr zu dem Zeitpunkt als der „Goldfisch“ die Treppe heruntergefallen ist, außer ihr selbst noch vier weitere Personen im Haus waren: ihr Vater, ihre Freundin und der Auto-Bauer.
Jetzt fragen Sie als Leser sich natürlich: Wieso? Das sind doch nur drei Leute? Wer ist der Vierte?
Nun, Radek hat so viel Detailwissen und konnte beispielsweise auch beschreiben, daß Vater Bültgens zunächst unten im Wohnzimmer am Kamin gestanden hat und daß Herr Bauer nach oben gegangen sein soll…
..der muß einfach auch im Haus gewesen sein!
Anders ist es nicht zu erklären, daß er so gut Bescheid weiß.

Bescheid? Weiß der überhaupt was? Oder schwatzt er am Ende bloß auf Halbtschechisch irgendeine spannende Geschichte, die er sich zusammengereimt hat, um sich interessant zu machen?
Man weiß es nicht, zuzutrauen wäre es ihm, denn er übertreibt schon ganz automatisch in jedem seiner Sätze. „Hab ich heute hunderttausend Reifen gewechselt.“

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Logisch, daß ich ihm die Frage gestellt habe, wer denn nun seiner Meinung nach für den Tod der jungen Frau verantwortlich sein könnte oder ob es am Ende gar doch nur ein Unfall gewesen ist; aber Radek verdreht bloß vielsagend die Augen, macht eine bedeutungsschwangere Handbewegung die viel Spielraum für Interpretationen läßt und seufzt. Mehr ist aus dem sonst so schwatzhaften Mann nicht herauszubekommen.

Und natürlich bin ich nicht der Einzige, der sich diese Frage stellt. Es gibt da noch zwei Männer, die eher aussehen, als wollten sie einem einen Staubsauger verkaufen, die aber bei der Kriminalpolizei arbeiten und die ähnliche Fragen stellen wie ich. Nur können sie diese Fragen ganz offiziell stellen und Steinchen für Steinchen dieses seltsamen Puzzles zusammentragen.

Ich bekomme es mit den beiden zu tun, als einer von ihnen, der sich als Herr Schröder vorstellt, bei mir anruft und sich nach dem Termin für die Trauerfeier erkundigt. Die soll am nächsten Tag sein, bei uns in der Trauerhalle, dann soll, so hat es Herr Bültgens nun bestimmt, eine Einäscherung stattfinden.
Das regt den Polizisten nicht auf, er hat seinen Obduktionsbericht auf dem Tisch, irgendwelche weiteren Untersuchungen an der Leiche würden nichts Neues zu Tage fördern, er und sein Kollege müssen nun versuchen, aus den Lebenden etwas herauszubekommen.
Interessanterweise sagt mir der Kollege von Herrn Schröder, ein gewisser Herr Klapproth, daß sie genau wissen, daß Dagmar und Herr Bültgens im Haus waren, als der Unfall passierte.
Schröder und Klapproth sind nämlich am Vorabend der Trauerfeier noch bei uns erschienen und haben mir Fragen zu Herrn Bültgens Verhalten gestellt. Ob mir da etwas aufgefallen sei, wie der auf mich gewirkt habe und so weiter.
Ich kann ihnen da nichts Außergewöhnliches berichten, Herr Bültgens war nicht anders, als andere Trauernde auch.

So Kriminalbeamte sind unaufgeregt, knochentrocken und so richtig beamtenmäßig unterwegs. Was uns vielleicht aufregt, was uns sensationell erscheint, das ist für diese Männer Alltag, Arbeit und Routine. Die rennen nicht mit gezückter Waffe nachts durch die Gegend und brechen in fremde Wohnungen ein, knacken Autos von Verdächtigen und treffen sich an dunklen Ecken mit V-Leuten aus der Unterwelt.
Die Kriminalpolizei hat umfangreiche Ressourcen, um Verbrechen aufzuklären und Täter dingfest zu machen. Und diese Ressourcen setzen sie Stück für Stück ein. Sie haben einen riesigen Apparat hinter sich und unglaublich viel Geduld. Da ist kein Platz für Action und Abenteuer.
Sie kommen nicht mit blauen Wunderlampen, da kommt kein hundertköpfiges Team der Spurensicherung und da gibt es keine Rechtsmediziner, die auf einmal die Ermittlungen in die Hand nehmen. Da macht jeder einfach nur seine Arbeit.
Und für Klapproth und Schröder bedeutet das Leute ausfragen, Notizen machen, nachdenken und Schlüsse daraus ziehen.
Die Leiche vom Schlachthof von vor ein paar Jahren, die liege ihm noch im Magen, weil da nichts herausgekommen sei und die drei verbrannten Osteuropäer in einem Maisfeld vor der Stadt. Das seien so die spektakulärsten Fälle, die unaufgeklärt geblieben seien, sagt Schröder und Klapproth fügt hinzu: „Wir können ja sowieso nur tätig werden, wenn wir konkrete Anhaltspunkte haben. Was mit denen ist, die einfach verschwinden, das erfahren wir ja oft gar nicht erst und ganz zu schweigen von denen, bei denen ein Tötungsdelikt wegen unzureichender Leichenschau von Anfang an unentdeckt bleibt.“ Und dann sagt er den Satz, den schon viele aus seiner Branche gesagt haben: „Wenn auf jedem Grab, in dem einer liegt, bei dessen Tod es nicht so ganz mit rechten Dingen zugegangen sein, eine Kerze brennen würde, die Friedhöfe wären nachts taghell erleuchtet.“

„Ach komm“, sagt sein Kollege und winkt müde mit der Hand ab: „So schlimm ist das nicht. Aber wir würden uns wünschen, daß einfach jeder in die Rechtsmedizin kommt. Das wäre das Beste.“

Über Katja und den Stand ihrer Ermittlungen sprechen sie nicht weiter und ich traue mich nicht richtig zu fragen.
Die Männer sind freundlich und nett, aber sie machen nicht den Eindruck, als könne ich sie irgendwie mit meinem Charme um den Finger wickeln. Dabei brenne ich vor Neugier.

Nur, daß sie wissen, daß Dagmar und Bültgens im Haus waren, das haben sie rausgelassen und daß sie deshalb die näheren Umstände genauer untersuchen müssen. Sie sprechen aber immer noch von dem „Unfall“ und -ganz amtlich- vom „todesursächlichen Treppensturz“.

Sie wissen also nichts davon, daß auch Bauer und wahrscheinlich sogar Radek im Haus waren und ich weiß nicht, ob ich dieses Hörensagen weitergeben soll. Am Ende hat Radek nur aufgeschnitten und gesponnen und ich bin dann der Doofe, der Bauer und ihm die Polizei auf den Pelz gehetzt hat.

Ich muß mit meiner Frau darüber sprechen. Die ist so anders als ich, schon weil sie eine Frau ist, schon weil sie blitzgescheit ist, schon weil sie irgendwie ganz anders tickt, sie wird mir sagen können, was ich tun soll.

Bis dahin schauen sich die Polizeibeamten noch kurz unsere Trauerhalle an und verkünden, daß sie morgen zur Trauerfeier kommen werden.

„Da kommen aber nicht viele Leute, vielleicht fällt das auf“, gebe ich zu bedenken und meine Äußerung bewirkt nur ein leichtes Schmunzeln bei ihnen. Schröder sagt: „Wir hatten auch nicht vor, uns hinter einer Zeitung mit einem Loch drin zu verstecken. Man soll uns ruhig sehen, manchmal wirkt es schon Wunder, wenn wir einfach keine Ruhe geben.“


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 23. Dezember 2010 | Revision: 9. Juni 2012

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Marc
14 Jahre zuvor

Die Spannungskurve immer mehr in die Höhe zu ziehen, um dann wieder die Geschichte zu unterbrechen ist auch eine Art von weißer Folter.
Aber mach‘ mal weiter so, Amnesty International ist schon informiert… 😉

Arno Nühm
14 Jahre zuvor

Das ist ja mal ein ganz lahmer Cliffhanger.

Colognehai
14 Jahre zuvor

Das was Tom hier mit uns veranstaltet verstößt auf jeden Fall schon gegen die Genfer Konvention. Und so ein Streß kurz vorm Heiligen Abend

Asz
14 Jahre zuvor

asiatische Tropfenfolter…

Arno Nühm
14 Jahre zuvor

Genfer Konvention? Ich wußte gar nicht, daß hier Krieg herrscht!

Christina
14 Jahre zuvor

@ Colognehai (3):

Weshalb? Es zwingt Dich ja keiner, den Artikel zu lesen? 😛

14 Jahre zuvor

@Arno Nühm
Und was für einer. Und der Verstoß ist eindeutig. es nimmt man uns mit perfiden Mitteln auf dieser Seite gefangen, und dann wird gefoltert.

14 Jahre zuvor

Schöne Geschichte, die sich da zusammenbraut.

Irgendwie find ich ja richtig, dass die Grimminalbollizei so ermittelt. Aber ich kann mir auch schöneres vorstellen, als ne Trauerfeier mit Polizisten zu verbringen. Zumal die ja auch noch eine klare Vorstelung davon haben, was sie wollen. Nämlich einen Mörder finden.

Wir dürfen jedenfalls gespannt bleiben…

Liebe Grüße
Joe

Big Al
14 Jahre zuvor

Der Gärtner ist der Mörder.
Schluß.
Aus.
Ende.
B. A.

Smilla
14 Jahre zuvor

Das war jetzt der Seitenfüller, oder? Das war langweilig und öde.

Ma Rode
14 Jahre zuvor

Der Butler war immer der Gärtner …

Sensenmann
14 Jahre zuvor

[quote=Tom]Die Männer sind freundlich und nett, aber sie machen nicht den Eindruck, als könne ich sie irgendwie mit meinem Charme um den Finger wickeln.[/quote]

Du vielleicht nicht. Aber hast du für solche Sachen nicht eine Spezialistin im Hause?

(nein, nicht Antonia!)

Big Al
14 Jahre zuvor

@ Sensenmann.
Mit der charmanten Spezialistin meinst du doch bestimmt Frau Büser, oder?
B. A.

Sensenmann
14 Jahre zuvor

@Big Al: Naja, jeder hat halt eine andere Vorstellung von „charmant“. Unsere Geschmäcker scheinen diesbezüglich ein wenig auseinanderzuliegen… 😉

Big Al
14 Jahre zuvor

@ Sensenmann.
Frau Birnbaumer-Nüsselschweif meinst du wahrscheinlich auch nicht?
B. A.

Sensenmann
14 Jahre zuvor

@Big Al: Sorry, auch daneben – sogar noch sehr viel weiter als beim vorigen Versuch.

Big Al
14 Jahre zuvor

@ Sensenmann.
Noch ein Versuch.
Die gemüsesammelnde Tochter? 😎
B. A.

Sensenmann
14 Jahre zuvor

@Big Al: auch nicht 😛

Big Al
14 Jahre zuvor

@ Sensenmann.
Lange genug rumgeeiert:
Das langbeinige weibliche aus USA importierte Wesen mit unbekannter Haarfarbe?
Wenn ja, dann zweifle ich allerdings am Charme (habe da so ein Bild vor Augen von einem Goth-Geschöpf mit rabiaten Methoden).
B. A.

Sensenmann
14 Jahre zuvor

@Big Al: Na endlich 🙂 Soweit ich weiß, kann dieses Geschöpf aber auch ganz anders als rabiat sein. Es kommt immer drauf an, was gerade nötig ist 😉




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