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Kein Kontakt

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

So geht das eben manchmal. Vor mehr als drei Monaten haben wir ein Sozialbegräbnis durchgeführt. Ein alter Mann war recht einsam in seiner Wohnung verstorben und eine Bekannte hatte sich darum gekümmert, daß der Mann anständig unter die Erde kommt. Das ist nichts Ungewöhnliches, diese Leute kommen dann, sagen von vornherein, daß sie die Kosten der gesamten Bestattung nicht übernehmen können, aber das bißchen dazuzahlen, damit aus einem Armenbegräbnis etwas Würdevolles wird.

Fairerweise muß ich dazusagen, daß das Sozialamt hier zwar extrem schleppend zahlt, aber immerhin keine besonderen Probleme macht. So war das auch in diesem Fall, die Kostenübernahme hatten wir zügig und auch den Auftrag vom Amt. Die Bekannte des Verstorbenen hatte selbst dort vorgesprochen, sowas verbessert immer die Chancen und alles in allem konnte es dem Amt ja recht sein, daß sich da jemand kümmerte.

Also kam der alte Mann nach einer kleinen Trauerfeier mit etwa zehn Anwesenden ganz anständig unter der Erde und die Bekannte zahlte die Zeitungsanzeige, einen Aufpreis für einen etwas besseren Sarg und den Blumenschmuck. Auch die Taxigebühr für den Pfarrer und die Trinkgelder für die Sargträger übernahm sie.
Einen Grabstein hingegen wollte niemand bezahlen, also gab es nur ein einfaches Holzkreuz.

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Den Löwenanteil der Kosten übernahm die Sozialbehörde und nun kommt es: Gestern stand der Sohn des Verstorbenen bei uns im Büro und beklagte sich bitter, warum man ihn nicht früher verständigt habe.
Ich muß schon sagen, der war ziemlich motzig und unfreundlich.
Daß es da einen Sohn gab, war uns völlig unbekannt und wurde erst im Nachhinein vom Amt ermittelt. So bekam er dann vor einigen Tagen die Rechnung für die Bestattung seines Vaters.

„Eine Frechheit ist das, Sie dürfen doch nicht einfach meinen Vater beerdigen ohne mich vorher zu fragen!“

Ich erklärte ihm geduldig, daß wir von seiner Existenz ja gar nichts gewußt haben und auch die Bekannte seines Vaters habe ihn mit keinem Wort erwähnt.

„Die wußte ja auch nichts von mir, mein Vater und ich hatten über 20 Jahre keinen Kontakt. Der hat überhaupt nicht gewußt wo ich wohne.“

„Ach, und da meinen Sie, wir müßten das auf die Schnelle herausfinden?“

„Das war ja schließlich MEIN Vater, oder?“

„Anzunehmen, wenn Sie das sagen.“

„Ich werde mir überlegen, ob ich Sie nicht wegen Schadensersatz verklage.“

„Welcher Schaden ist Ihnen denn entstanden?“

Er grübelt, reibt sich mit der flachen Hand den Hintern, zieht die Nase hoch und kommt dann zu dem Schluß: „Ja, mehr so seelisch.“

„Und wie hoch würden Sie diesen seelischen Schaden beziffern?“

„Das kann man mit Geld gar nicht bezahlen, das wird teuer für Sie.“

Ich kann mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen und verweise ihn an das Sozialamt, dort solle er erst einmal die Rechnung bezahlen.

„Die Rechnung? Ich zahl doch keine Beerdigung für einen Mann, den ich zwanzig Jahre nicht gesehen habe. Der hat meine inzwischen verstorbene Mutter vor zwanzig Jahren verlassen.“

„Werden Sie aber müssen…“

„Nix da! Kommt gar nicht in die Tüte, das zahlen Sie mal ganz schön.“

„Wir?“

„Ja sicher.“

„Nö.“

„Nicht?“

„Nö.“

„Scheiße!“

„Hm…“

„Aber ich hatte doch gar keinen Kontakt.“

„Haben viele Väter die Alimente zahlen müssen auch nicht.“

„Der hat ja nie was bezahlt.“

„Sie sind jetzt wie alt? Mitte Vierzig? Dann hat er Ihre Mutter verlassen, als sie schon groß waren. Warum hätte er Ihnen was zahlen sollen?“

„Stimmt auch wieder… ist aber voll ungerecht…“

„Der Mann war Ihr Vater! Es kann doch dem Sozialamt egal sein, ob Sie gerade mal Streit haben oder nicht. Als Sohn sind Sie eben bestattungspflichtig und müssen auch die Kosten übernehmen.“

„Ehrlich?“

„Jau.“

„Scheiße!“

„Sagten Sie bereits.“

„Ist ja aber auch wirklich Scheiße.“

„Muss aber sein.“

„Und Schadensersatz krieg ich auch keinen.“

„Nö.“

„Das ist aber doof.“

Er packte seine Unterlagen, die er vor mir ausgebreitet hatte, wieder ein, verabschiedete sich und wollte gehen.
Ich hielt ihn zurück: „Wollen Sie nicht wissen, wo das Grab Ihres Vaters ist?“

„Nee.“

„Naja, wenn Sie schon dafür bezahlen, könnten Sie ja auch mal hingehen.“

„Stimmt auch wieder.“

Ich beschrieb ihm den Weg zum Grab und er lief los.

Später am Tag rief mich der Blumenladen an und bedankte sich für den Auftrag, wir hätten doch einen Mann vorbei geschickt und der habe ganz ordentlich Blumen für das Grab seines Vaters gekauft…

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