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Knipser

Heute morgen war ich auf einer Beerdigung, die unser Haus ausgerichtet hat und stehe bei der Zeremonie am Grab im Hintergrund und lausche den nuschelnd vorgetragenen Worten des Pfarrers, der der schluchzenden Witwe und den übrigen Anwesenden, das Dahinscheiden des Verstorbenen, als reinen Glücksfall darstellte. Man dürfe keine Schwäche zeigen, sondern müsse Gott lobpreisen, weil er einem doch Halt gibt und wir die Zuversicht haben dürfen, daß das Beste überhaupt erst noch kommen wird.

Hm, ich wünsche mir ja auch, daß das so ist, aber wirklich wissen kann man das nicht und daher fröhne ich im Rahmen meiner Möglichkeiten lieber dem diesseitigen Hedonismus, was man hat, das hat man.

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Und während ich noch diesen Gedanken nachhänge, blitzt mir irgendein Depp in die Augen und nachdem ich keine roten Kringel mehr sehe, erkenne ich, daß es ein kleiner, schmaler, junger Mann ist, der wohl zu Weihnachten eine neue Digitalkamera bekommen hat und dem die Aufgabe zugefallen ist, von der Beerdigung ein paar Bilder zu machen. Seine scheckkartengroße und kaum dickere Kamera hält er meist hoch über dem Kopf und schießt „ins Blaue“. Warum der bei hellstem Wetter immer blitzt, bleibt mir verborgen, vermutlich das Allwetter-Automatik-Programm oder sowas.

Knipsen darf er ja, warum auch nicht? Was mich aber stört: Der Typ stapft ungeniert über die nebenan liegenden Gräber, trampelt den Blumenschmuck nieder und steigt sogar auf einen der Grabsteine, um eine bessere Sicht zu haben.
Ich gehe da mal hin, zupfe ihn an seiner Jeansjacke und sage: „Hey Sie, Sie können aber nicht einfach auf den Gräbern herumtrapeln!“

„Wie, was wo? Gräber?“ sagt er, schaut sich ganz verwundert um und meint: „Hab ich gar nicht gemerkt.“

„Ja nee, ist klar, wir sind ja auch bloß auf einem Friedhof, wer rechnet da schon mit Gräbern, nicht wahr?“

„Ach kommen Sie, das kann doch jedem mal passieren.“

„Mir nicht, ich laufe einfach auf den Wegen.“

„Penner!“

„Der hat Penner zu mir gesagt! Kurzfristig denke ich darüber nach, ihm einen kleinen Stoß zu geben, damit er mal ein bißchen Graberde futtern kann, aber dann besinne ich mich wieder meiner guten Erziehung und wähle als opportunes Mittel einen meiner ganz bösen Blicke. Zudem atme ich tief ein, was mir immer ein besonders gefährliches Aussehen verleiht, weil dann mein Brustkorb größer ist als mein Bauch. „Paar auf’s Maul?“ frage ich und grinse ihn breit an.
Der kleine Blitzer zieht es vor, Leine zu ziehen und ich sehe, daß er sorgsam bedacht ist, immer schön auf dem Weg zu bleiben.

Ich muß lernen, mich noch besser zu beherrschen.

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#knipser

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(©si)