Geschichten

König Friedrich 3

Ein alter Mann sitzt auf einem Thron

12.000 Euro, das war selbst Friedrich zu viel. Als er nach drei Monaten merkte, wie teuer ihn der deutsche Pflegedienst kam, schob er die Schuld auf das System, auf die Krankenkasse, die Bürokratie, auf jeden, nur nicht auf Harry Zimmermann, der ihm diesen Dienst vermittelt hatte.

In seiner Verzweiflung wandte sich Friedrich an die wenigen, die ihm noch irgendwie wohlgesonnen waren. Das waren im Wesentlichen seine alte Putzfrau Frau Dürrkopf, Bertholde, die Einkäuferin, und ich. Friedrich sah seine Finanzen schrumpfen. Aus dem Vertrag mit dem Pflegedienst kam er erst nach einem halben Jahr heraus, bis dahin hatte das Ganze schon 72.000 Euro verschlungen. Parallel dazu hatte er fast 100.000 Euro bei ΑΜΑΖΟΝ ausgegeben. Wofür? Das wusste keiner.
Ich fragte ihn, bekam jedoch nur ausweichende Antworten.

Endlich gelang es mir, in einer ruhigen Minute zum vernünftigen Restbestandteil seines Gehirns durchzudringen. Friedrich zeigte mir auf seinem PC die letzten Bestellungen. Vier Fotoapparate für jeweils über 7.000 Euro, Objektive für über 21.000 Euro und Studio-Equipment für nochmals an die 20.000 Euro…

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Ja, das habe er für Samantha, das schruppige Marzipanschweinchen gekauft, die sei doch so talentiert und wolle eines Tages eine große Fotografin werden. So ein Talent müsse man doch fördern, und da er doch über genug Mittel verfüge, wolle er gern der Mentor und Mäzen für dieses außergewöhnlich talentierte Kind sein.

Ich bin für sowas zu haben. Die Allerliebste und ich haben immer schon neben unseren eigenen Kindern auch Kinder anderer Familien unterstützt, wie wir immer eher auf was verzichtet haben, als jemanden in Not zu wissen. Aber vier wertvolle Profi-Kameras sind eindeutig zu viel als Starthilfe für eine talentierte 12-Jährige. Irgendwas Praktisches für 300 Euro hätte es ganz sicher auch getan. Aber hier standen alles in allem über 60.000 Euro für Kamera-Equipment auf den Lieferscheinen, alles gekauft im letzten Monat.

Und, was interessant war: Friedrich machte nicht den Eindruck, als ob er die Tragweite seines Handelns nicht überblickte. Er wirkte nicht wie ein seniler Greis, der über den Tisch gezogen worden war, sondern wie ein absolut von seiner Großzügigkeit überzeugter Wohltäter, der es fast schon als Beleidigung empfand, dass ich sein Handeln kritisierte.

Er wurde richtig zornig, wenn ich auch nur ein bißchen was in der Richtung äußerte, der Windhund Harry Zimmermann könne seine liebreizende Marzipanschaft eventuell dazu benutzen, um ihm Geld aus der Tasche zu ziehen.

„Der braucht so was nicht zu machen! Dem habe ich sowieso Geld gegeben. Sein Porsche hatte eine Reparatur nötig und weil er doch mit der Kleinen nach Monte Carlo wollte, hab‘ ich ihm die Reparatur bezahlt. Was meinst Du, was das für die Kleine ein Erlebnis ist, wenn sie mit ihrem Papa auf einer schönen großen Jacht aufs Meer hinausfahren kann.“

Ich war fassungslos und versuchte Friedrich klarzumachen, dass ich den Eindruck hatte, dieser Windhund würde ihn gewaltig ausnehmen. Davon wollte der Alte aber nichts wissen.
Stattdessen schlawenzelte Bertholde auf einmal immer mehr um Friedrich herum. Bertholde kaufte für Friedrich ein und holte ihm seine Rezepte beim Arzt ab. Ich sah sie alle paar Wochen mal, jetzt aber war sie fast jeden Tag da.

Meine Ohren begannen zu klingeln, als ich auf einmal Satzfragmente mitbekam: „…zum Notar gehen…“ und „…so dankbar wegen der Wohnung…“.

Ich fragte den alten Herrn, was los sei. Er strahlte über das ganze Gesicht und verkündete, er habe beschlossen, Bertholde seine Wohnung zu überschreiben.

Bertholde war 61 Jahre alt und hatte ihr ganzes Leben nur subalterne Tätigkeiten ausgeübt. Weil sie nichts gelernt hatte, musste sie als Hilfsarbeiterin, Küchenhilfe, Putzfrau und Bedienung arbeiten. Oft war sie saisonbedingt arbeitslos und nun im Alter drohte ihr eine sehr schmale Rente.
Vor zwei Jahren hatte sie ein neues Kniegelenk bekommen und das als ihre Chance begriffen, als Behinderte und Kranke durchs Leben zu gehen. Mit Bürgergeld, Pflegegeld, Übernahme von Miete und Nebenkosten kam die gute Frau auf ein Monatseinkommen von rund 1.600 Euro. Mit Besorgungen für Friedrich verdiente sie sich noch 500 Euro hinzu und hatte noch eine feste Putzstelle, die ihr weitere 400 bis 700 Euro monatlich einbrachten.

Sie nahm frecherweise noch Leistungen der Pflegekasse in Anspruch, um sich von der Kasse eine eigene Putzfrau bezahlen zu lassen. Außerdem bestellte sie eine sogenannte Pflegebox, die Desinfektionsmittel, Urinunterlagen und Gummihandschuhe regelmäßig ins Haus lieferte. Alles auf Kosten der Pflegekasse. Die Urinunterlagen legte sie ihrem Hund ins Körbchen, mit den Desinfektionsmitteln putzte sie ihre Küche.

Kam eine Kontrolle, legte sie sich jammernd ins Bett und eine Freundin mimte die Pflegerin. Natürlich musste Bertholde nicht gepflegt werden und die Freundin tat auch nur so. Dafür hatte Bertholde aber herausgefunden, dass sie noch Geld von der Pflegekasse bekommen konnte, wenn diese Freundin „mal ausspannen muss“ und jemand anders als „Ersatzpflege“ zu ihr kommt. Dafür spannte sie eine andere Freundin ein, die ihr Quittungen unterschrieb, die unsere Bürgergeldempfängerin fröhlich bei der Kasse einreichte.

„Ja, die Carla tut ja so, als ob sie mich pflegen tun würde. Jetzt sagen wir, die Carla müsse sich auch mal ausspannen und dann kommt angeblich die Veronika zu mir. Das ist ein Trick, den ich neulich erst auf so einer Sozialplattform im Netz gelesen habe. Mein Pflegegeld will ich ja überwiesen haben. Also beauftrage ich keinen Pflegedienst, die würden sich dann ja das Geld einstecken. Auch für meine Freundin, die mich pflegt, krieg‘ ich ja nix extra. Aber wenn meine Freundin mal nicht kann, dann darf ich eine Ersatzkraft bestellen und bezahlen. Verhinderungspflege oder so heißt das. Und das Geld kann ich von der Pflegekasse zurückfordern. Ist doch bares Geld! Ich wär‘ ja blöd, wenn ich das nicht auch noch mitnehmen würde. Uns Armen gönnt man ja sowieso nix.“

Lebensmittel hatte sie seit mehreren Jahren schon nicht mehr kaufen müssen, weil sie mit Herbert vom Foodsharing einen Deal hatte. Sie kümmerte sich stunden- und tageweise um Herberts kleinen Hund und dafür legte ihr Herbert die besten Sachen, die Supermärkte gestiftet hatten, in einer großen Kiste beiseite. Bertholde hatte Herbert vorgeschwindelt, gleich für drei Familien Lebensmittel abzuholen, weshalb sie manchmal zwölf Blumenkohl-Köpfe, einen halben Zentner Kartoffeln und jede Menge Backwaren bekam. Ich habe mit eigenen Augen mal gesehen, was Herbert ihr in den Kofferraum gepackt hatte: Unfassbar viele Lebensmittel von bester Qualität, ausreichend für ein mittleres Kinderheim oder Pfadfinderlager…

Stolz erzählte sie mir, dass sie im Monat bestimmt für 500 bis 1.200 Euro Lebensmittel dort abhole. Was macht eine alleinstehende Frau damit? Fressen, einkochen und an Nachbarn verkaufen. Bertholde nahm innerhalb von zwei Jahren fast 30 Kilo zu, legte sich zwei Tiefkühltruhen zu und abends standen ihre ausländischen Nachbarn bei ihr in der Küche Schlange, um ihr Gemüse, Fleisch und Brot abzukaufen.
Wenn dieser Foodsharing-Herbert Brennholz gehabt hätte, Bertholde hätte auch das mitgenommen und eingekocht oder verkauft.

Und nun wollte Friedrich dieser Tante seine Wohnung überschreiben.
Ja, nee, so einfach geht das nicht! Da sollte ein Vertrag gemacht werden, dass die Wohnung zuerst an Bertholdes Freundin überschrieben wird und mittels eines zweiten Privatvertrags später mal an Bertholde fallen sollte.
So konnte Bertholde in ihrer eigenen Wohnung, die aber offiziell der Freundin gehörte, Mieterin sein und weiterhin Leistungen vom Amt beziehen. Ja, das muss man alles bedenken! Da käme ein normaler Mensch gar nicht drauf. Die kannte sich aber aus und war ein Echolot für noch mehr Leistungen, die man beanspruchen konnte.

Das muss man sich alles mal auf der Zunge zergehen lassen. Nach meiner überschlagsmäßigen Berechnung hatte diese Bürgergeldempfängerin mindestens 2.000 Euro freies Geld zur Verfügung, musste für Miete, Nebenkosten und Lebensmittel nichts bezahlen und brachte es trotzdem fertig, immer zu jammern, dass sie bald unter der Brücke schlafen müsse, dass „ihr das Brot nicht über Nacht reicht“, dass der Staat die Leute verhungern lässt und dass alle anderen asozial seien und nur sie eine arme, kranke Behinderte sei.

Man hörte diese Frau nur jammern und klagen. Wer sie erlebte, hatte sofort den Eindruck, eine wirklich bedürftige Person vor sich zu haben. Ich hatte ihr auch schon mal 20 Euro zugesteckt, weil ich der Meinung war, dass Friedrich mal wieder zu knauserig gewesen war. Da wusste ich aber noch nicht, wie diese Person unser Sozialsystem ausbeutete.
Dabei erzählte sie uns unverblümt und voller Stolz, wie sie noch mehr Geld herausschlagen wollte und wie sie schon alle möglichen Zuschüsse in Anspruch genommen hatte. Das war für sie eine Art Sport.

Nur mit einer Leistung der Pflegekasse war sie nicht einverstanden.
Die Pflegekasse wollte ihr keine Putzfrau aus ihrem Bekanntenkreis bezahlen. Man muss einen Pflegedienst beauftragen, der einem eine Kraft schickt und dann mit der Pflegekasse abrechnen kann.
Und nun hatte man ihr eine Frau afrikanischer Abstammung geschickt. „Na ja, des is‘ eine Schwarze. Die sind ja nicht so sauber wie wir. Die kennen das ja nicht so mit dem Putzen und der Reinlichkeit. Aber wenn ich dabei sitzenbleibe und ihr alles genau sage, was sie machen muss und ihr erkläre, wie man richtig putzt, dann klappt’s so halbwegs. Aber eigentlich müssten die mir eine Deutsche schicken.“

Von morgens bis abends war Bertholde in ihrem alten Opel unterwegs, um für ein halbes Dutzend alter Menschen Besorgungen zu machen oder diese zum Arzt zu fahren. Ich fragte Bertholde, ob sie das denn umsonst mache. Sie antwortete mir: „Natürlich mache ich das umsonst. Ich sag immer, dass ich eine gute Freundin bin und den Menschen nur helfen will. Ich kann ja nichts dafür, dass die mir dann immer alle was geben. Ich schreib halt mein Benzin und meine Zeit auf. Für den Kilometer krieg ich zwei Euro, das ist immer noch billiger als Taxi fahren und dass ich für ne Stunde 12 Euro verlange, das ist ja weniger als Mindestlohn. Da kann ja wohl niemand was sagen.“

Ja aber, wandte ich ein, wenn sie so viel unterwegs sei, kistenweise Lebensmittel schleppen kann, schwere Einkaufstüten tragen könne und noch bei anderen putzen und manchmal kochen könne, dann könne sie doch genauso gut auch richtig arbeiten gehen und müsse nicht vom Amt leben.
Die Frau guckte mich an, als sei ich von allen guten Geistern verlassen. „Isch bin doch so kronk! Isch heb doch meinen Behindertenausweis und bin pflegebedörftisch. Des steht mir alles zu. Do heb isch Anspruch drauf. Des Geld gehört mir!“

Wieviel denn mit den Besorgungen so zusammenkomme, fragte ich mit Verschwörermiene und knipste ein Auge zu. Sie schaute sich um, als wollte sie sicherstellen, dass uns niemand belauschte und meinte dann: „Ach, das sind bestimmt so 1.200 Euro noch nebenbei.“
Dann lachte. sie ihr heiseres Lachen, dass wegen ihres übermäßigen Zigarettenkonsums immer in einem Hustenanfall endete und schwenkte sofort um: „Man muss sehen, wo man bleibt. Ich bin arm und behindert und wenn ich mit dem auskommen müsste, was uns der Staat gibt, dann wären das gut 500 Euro. Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Ich müsste unter der Brücke schlafen, wenn ich mich nicht noch ein bißchen rühren würde.“

Und genau mit dieser Phrase des „unter der Brücke schlafens“ hatte sie Friedrich um den Finger gewickelt. Der Alte hatte so ein Mitleid, dass er meinte, er könne einen guten Deal machen. Bertholde solle erst bei ihm einziehen, ihn pflegen und bekochen und wenn er mal stirbt, hätte sie ja die schöne, moderne, große Wohnung schon überschrieben. Äh, natürlich hätte ihre Freundin die Wohnung, sie wäre ja nur Mieterin, die sich die Miete vom Amt bezahlen lässt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#ausnutzen #Bürgergeld

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(©si)