Geschichten

Kulinarische Gewalt

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Es gibt ja Leute, die können ohne Rosmarin nicht auskommen. Rosmarin, das sind Überbleibsel von künstlichen Tannenbäumen, die man für das kommende Jahr nicht mehr verwenden möchte.

Um die Umwelt zu schonen, werden solche Bäume nicht einfach weggeworfen, sondern in kleine Aststücke zerschnitten, die dann als Rosmarin-Zweige in den Handel kommen. Mit echten Tannenbäumen kann man das nicht machen, weil die so gezüchtet werden, dass sie am Zweiten Weihnachtstag ihre Nadeln verlieren, egal, ob sie abgehackt wurden oder in einem Plastiktopf mit einem kümmerlichen Rest Waldboden stehen.

Einschub: Manch ein Sprachpurist wird sich wundern, weshalb ich bei Zweiter Weihnachtstag das Z in Zweiter großschreibe. Nun, das tut man beim Zweiten Weltkrieg als stehendem Begriff ja auch. Und wer schon einmal Weihnachten bei meinen Schwiegereltern erlebt hat, der weiß, dass in diesem familiären Mikrokosmos Zweiter Weltkrieg und Zweiter Weihnachtsfeiertag, was das Aggressionspotential anbetrifft, als gleichwertig anzusehen sind.

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Künstliche Tannenbäume werden aus künstlichem Zeug gemacht, meist aus Plastik oder behandeltem Chemiepapier. Deshalb schmeckt Rosmarin auch so scheiße.

Ich sitze in einem griechischen Restaurant und mein Blick fällt in der Speisenkarte auf das Rumpsteak. Danach gelüstet es mich, mich stört aber, dass der griechische Wirt dazu geschrieben hat: „argentinisches Rindersteak gespickt mit Rosmarinzweigen an einer Basilikumschaumsauce“.

Ich bestelle beim griechischen Kellner: „Ich hätte gerne das Rumpsteak, medium, aber ohne Rosmarinzweige und das Basilikumgedöns.“ Er notiert sich das und schreibt dabei so viel auf seinen schmalen Wirtezettel, dass man meinen könnte, er ergänzt gerade Homers Odyssee um einige weitere Kapitel.

Wenige Minuten später gibt es den obligatorischen Salat. Weißkraut, irgendeinen grauenvollen bitteren, rotstichigen Blattsalat und das übliche Bohnengerümpel. Nur keine Zwiebeln, denn Griechen können ja bekanntlich keine Zwiebeln schneiden, weshalb es zum Gyros ja auch immer riesige Ringe von der geschmacklosesten Gemüsezwiebel aller Zeiten gibt.

Während wir den Salat essen, kommt Thanassis, der Wirt, höchstpersönlich an unseren Tisch, lächelt, fragt, ob soweit alles in Ordnung ist, und geht nicht weg. Normalerweise gehen die dann weg, wenn man gesagt hat, dass es gut ist. Aber der bleibt, reibt sich lächelnd die Hände und nötigt mich zu der Frage: „Ist noch was?“

„Ja, Cheffe, mein Herrr, bitte, bitte verstehen Sie, ich mechte nur frage, ob Sie wirrrkliche keine Rossemarrinne an den Steak habbe wolle.“

„Nein, wirklich nicht, ich hasse Rosmarinzweige und möchte das Steak nur so, ohne Rosmarin und auch ohne das Basilikumzeug.“

„Aberr Rossemarrinne was sich heißt auf Grießiß Δενδρολίβανο, alsso Dendro-LÍ-va-no isse sehrrrr gutt. Alle anderen Gäste sehr ßufrieden.“

„Oh, es tut mir leid, dass ich anders bin als Ihre anderen Gäste, mein lieber Thanassis, aber ich mag diesen weihrauchartigen Geschmack von diesen Zweigen überhaupt nicht.“

„Rossemarrinne zmecke doch nich wie Weihrauch!“

„Was heißt denn Δενδρολίβανο Dendro-LÍ-va-no auf Deutsch?“

„Äh, dasse heisse auf Deutsch Baum mit die Weihrauch alssso Weihrauchbaum oder Baumweihrauch.“

„Aha!“

„Alsso gutt, für ßie dem Steak ohne Δενδρολίβανο!“

Als das Steak dann kommt, stecken 145 Rosmarinzweige im Fleisch, am Tisch riecht es, wie bei einer Heiligenverbrennung im Petersdom und mir würgt sich der Salat im Halse hoch. „Was soll das denn?“, frage ich den Kellner: „Ich wollte das Steak doch ohne Rosmarin.“

„Der Cheffe in Küche hat gesagt, macht er immer so, und andere Gäste sehr zufrieden, und man kann das ja wegmachen, wenn man das nicht mitessen will. Guten Appetit!“

An einem anderen Tag bei Salvatore, meinem Lieblingsitaliener. Ich bestelle eine Tasse Kaffee und sage bei der Bestellung: „Und bringen Sie mir bitte ein kleines Kännchen oder Gläschen mit kaltem Wasser, mir ist der Kaffee immer zu heiß.“
Dazu muss man wissen, dass Salvatore seine Kaffeespezialitäten mit einer großen, roten Espressomaschinerie zubereitet, die ebensoviele Bedienelemente und Druckanzeigen hat, wie ein mittleres Kernkraftwerk. Der Kaffee, den er produziert, hat eine Kerntemperatur von 874 Grad Celsius. Außerdem heizt Salvatore die Tassen vor. Sie stehen direkt oben auf der Maschine, direkt über dem Kernreaktor und befinden sich kurz davor, eine Kernschmelze mit sich selbst einzugehen.

Wenn eine solche Tasse mit Kaffee vor Dir steht, kannst Du bei einem Blick auf den Himmel feststellen, wie die Sonne bläulich-rote Sonnenwinde absondert und in Richtung unseres Ortes ausstößt, die Tasse regt unser Zentralgestirn zu vermehrter Kernfusion an.

Der Henkel dieser italienischen Tassen ist so klein und eng, da bekommst Du keinen Finger durch. Du musst ihn zwischen zwei Fingern fest einklemmen und verbrennst Dir dabei unweigerlich die Pfoten. Pusten hilft nichts, der Atem zerlegt sich schon 20 Zentimeter von der Tasse entfernt in Gasatome. Ich winke Salvatore zu. „Bitte bring mir doch das Kännchen mit dem Wasser!“.

Salvatore lächelt entschuldigend und bringt auf einem seiner kleinen, ovalen Eistabletts ein Kännchen.

Ich fasse es an, lasse es aber sofort wieder los. Es glüht ebenfalls bei knapp 900 Grad. Das Wasser darin brodelt noch.

Ich bitte Salvatore nochmals um ein kleines bißchen kaltes Wasser. „Aber wirklich kaltes Wasser.“

Der kleine Mann hat mich genau verstanden, er sagt zwar „Si, si“, macht aber nicht, was ich will. In meinem Beisein dreht er den Druckhahn an seiner Höllenmaschine auf und dampft mir abermals lavaheißes Wasser in ein vorgeheiztes Kännchen.

„Nein, Salvatore, ich hätte so gerne nur etwas kaltes Wasser, mir ist der Kaffee viel zu heiß.“

„Kaffee musse man heisse trinke, kalte schmecke der nich!“

Ich bestelle mir seitdem immer ein kleines Fläschchen eisgekühltes Pellegrino-Mineralwasser dazu…

Einmal war ich in Afghanistan. Im First-Class-Kabul-Hotel war ich untergebracht. Ein freundlicher Russe an der Hotelbar hatte mir den Tipp gegeben, an der Rezeption eine Flasche mit abgekochtem Wasser vorzubestellen. Das Trinkwasser aus dem Wasserhahn verdiene seinen Namen nicht. Selbst wenn man sich nur damit die Zähne putze, bestehe die Gefahr, dass einem sofort die Hoden abfaulen und die Ohren anfangen zu brennen. Ob er genau das gesagt hat, weiß ich nicht, mein Russisch ist nur sehr rudimentär und bezieht sich mehr oder weniger auf das, was mein Vater aus seiner russischen Kriegsgefangenschaft so mitgebracht hatte.

Ich mache das aber vorsichtshalber und ordere beim Rezeptionisten das abgekochte Wasser. Außer mir tun das einige englische Damen auch, was mich sehr beruhigt. Es ist also etwas dran an dem, was der Russe gesagt hatte. Im Aufzug lächele ich den Engländerinnen noch freundlich zu, während ich überlege, was denen wohl abfaulen würde…

Am anderen Morgen schaue ich nach, und tatsächlich: Vor meiner Zimmertür steht eine Thermoskanne mit dem abgekochten Wasser. An ihr klebt ein Zettel „boiled water“.

Mit dem Zähneputzen habe ich aber noch fast eine halbe Stunde warten müssen. Denn die Hotelbediensteten hatten mir kein abgekochtes, sondern kochendes Wasser in die Thermoskanne gefüllt.
In der Hotelküche muss ein Italiener arbeiten!

Was will ich Euch damit eigentlich sagen?

Nix. Nur: Ich mag kein Δενδρολίβανο.

Bildquellen:

  • rossemarrinne_800x500: Peter Wilhelm ki

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(©si)