Branche/Kommune

Lohnabrechnung

Da stellt sich ein Mann bei mir als Fahrer vor. Er macht einen ganz guten Eindruck, ist schon seit drei Jahren ohne Anstellung und war vorher bei einem anderen großen Bestatter beschäftigt.

Wie viel er denn verdient habe, frage ich und bekomme als Antwort:

„Ja, keine Ahnung, so genau weiß ich das gar nicht.“

Werbung

Moment, wenn man doch irgendetwas von einem Job weiß, dann doch wie viel Geld man dafür bekommt, oder? Wieso weiß der Mann das nicht genau?
Seine Antwort war so:

„Ja, die Frau vom Chef hat am Anfang gesagt, ich kriege 1.500 Euro brutto. Damit fing es nämlich schon an, der Chef hatte nämlich 1.500 netto gesagt. Ich hab dann nochmal nachgefragt und da sagte mir die Frau in der Buchhaltung, ich bekäme mein Geld ja sowieso wöchentlich ausgezahlt und da verschiebe sich das immer, wegen der Steuer.
Ich mein, ich versteh‘ ja von sowas nichts und hab dann auch nach ner Woche mal wegen Geld gefragt.

Sie wissen doch wie das ist, da fängste neu irgendwo an, brauchst ein Paar vernünftige Schuhe und ne dunkle Jacke und das Leben geht ja weiter.
Aber da hieß es dann: ‚Nee, Herr Soundso, im ersten Monat wissen wir ja nicht, ob sie zuverlässig sind und morgen wiederkommen, da gibt es das Geld erst am Ende vom Monat.

Also hab ich mir was von’nem Kumpel geliehen und weitergearbeitet.
Am Ende des Monats haben die mir dann das Geld für eine Woche gegeben. Mit Abzügen waren das 280 Euro.
Ja, den Rest gäbe es dann immer erst nach der Probezeit von ’nem halben Jahr. Ich soll aber mal eben wacker einen ganzen Block Quittungen blanko unterschreiben, dann gehe das demnächst watt fixer mit meinem Geld.

Sie, ich bin nicht blöd, aber watt soll ich denn machen? Wenn’ste so dringend Geld brauchst und endlich ’nen Job gefunden hast, dann biste auch mit komischen Bedingungen einverstanden. Ich hab gedacht, bei denen bewerben sich viele Leute und hauen dann schnell wieder ab und deshalb sind die eben vorsichtig.

Ja und dann hab ich immer mal Kohle gekriegt, mal ’nen Fuffi, mal ’nen Hunni. Einen Vertrag hab ich gar nicht bekommen. Da hab ich mindestens eine Million mal nach gefragt. Da haben die immer gesagt, das müsse alles die Zentrale machen, hier sei nur ’ne Filiale und Personalwesen sei in ’ner anderen Stadt irgendwo.

Wenn ich alles zusammenrechne, hab ich vielleicht 200 Euro die Woche gekriegt und dafür von morgens um 8 Uhr bis abends um 17 Uhr malocht. Und natürlich immer Bereitschaft gehabt und oft dreimal die Nacht rausgefahren, auch am Wochenende oder bei Weltmeisterschaft und Weihnachten.
Die sterben ja immer wenn der Vettel fährt, is‘ so!

Ich denk‘, halt’s Maul, sach nix, immer nur vorsichtig nachfragen, bloß nicht den Job riskieren.
Alles immer noch besser als die Scheiß Agentur. Da sind doch die Vollverarscher am Werk. Überall werden Leute gesucht und statt mir was zu vermitteln, wollten die daß ich noch ’nen Staplerschein mache. Ich hab aber schon einen. Jetzt mal ehrlich, wieviele Stapler kann denn einer gleichzeitig fahren? Oder? hab ich doch Recht, oder?
Ja, nee, wär‘ nich‘ so, ich könnte stattdessen auch lernen wie man Alte pflegt oder wie man Hausmeister ist oder ’nen Computerkurs machen in Äxel. In Äxel! Wofür braucht man denn so’n Scheiß? Hab ich auch auffem Rechner, braucht keine Sau und die die das benutzen, machen mit so’n hochkomliziertes Dingen dann ein Aushang für’n Verein oder ein Gedicht für die Omma ihren Geburtstag. Ich bin in kein Verein und meine Omma is‘ tot, watt soll ich also mit Äxel?

Nee, ich war froh, datt ich den Job hatte. Die Kollegen nett, die Firma gut ausgestattet, gute Autos und auch sonst alles ganz paletti. Aber eben mit der Kohle war immer so’n Theater. Die Kollegen haste nix fragen können, in der Firma durfte man über Lohn und Gehalt nicht sprechen, war tabu.

So ging datt also erstmal ein halbes Jahr, keine Lohnabrechnung, kein Gehaltszettel, nix…
Und dann ging datt langsam auf Weihnachten zu, da war ich schon fast ein Jahr da und hab mal nach Geld gefragt. Jetzt müßte doch endlich mal ein regelmäßiges Gehalt kommen, hab ich denen gesagt, und wie das denn mit Urlaubs- oder Weihnachtsgeld wär‘ und immer nur so einen Schein bar auffe Kralle wär nix.
Ich mein, ich muß meine Miete immer bis zum Dritten bezahlt haben und alles andere wird ja auch abgebucht. Meine Kinder wollen essen und Klamotten und meine Frau malocht sich die Finger bei Penny anne Kasse wund.
Ja, haben die im Personalbüro gesagt, da sei irgendwie watt schief gelaufen, jetzt käm aber bald der Vertrag. Und Weihnachtsgeld gäbe es zwar schon, aber nur nach dem watt der Chef von einem hält und sowieso erst nachem zweiten Jahr.

Dann war Silvester und ich hab frei. Geh ich zum Briefkasten runter und hab die Kündigung im Kasten.
Stellen’se sich ma‘ vor! hab ich ein Jahr gearbeitet, insgesamt so 5.800 Flocken gekriegt und warte auf mein ganzes restliches Geld und dann schmeißen die Arschlöcher mich raus.

Aber passen’se auf, datt dicke Ende kommt noch! Ich zum Anwalt, der hat denen dann geschrieben und die leiten alles an die Zentrale weiter, wo’se auch wieder jede Menge Anwälte haben.
Ich sei ja nur Suppenunternehmer als Aushilfe gewesen. Also ich hätte quasi bei denen ’nen Leichenwagen gemietet und wär‘ für die auf Kommissar (Kommission, Anm. Tom) gefahren.
Also als Suppenunternehmer, verstehen’se?
Und bekommen hätte ich nen Tausender inne Woche und dafür haben die in der Zentrale auch von mir unterschriebene Quittungen, die die meinem Anwalt auch als Kopie geschickt haben.
Im Gegenteil, ich wäre überzahlt worden und hätte gar nicht genug Umsatz für die gefahren und deshalb wär‘ mein Geld um 3.000 Euro zu hoch, aber weil ich ja entlassen wär und weil mein Lebensweg noch alles Gute wär und so, würden’se da nicht drauf bestehen.
Und jetzt kommen Sie! Watt meinen’se?

Der Geschäftsführer hier und seine Frau sind schon lange weg. Die haben die Filiale in Koblenz oder so übernommen und hier im Büro die sagen sogar, die seien ganz weg aussem Unternehmen und mit denen hätte es Machenschaften gegeben, da wüßten’se aber nichts Genaues drüber, das wär‘ jetzt auch alles beim Anwalt.

Aber es kommt noch doller! Jetzt will das Finanzamt von mir 12.000 Euro.
Watt meinen’se denn da dazu? Haben’se sowas schon mal gehört?“

Wie gesagt, der Mann ist drei Jahre schon ohne feste Anstellung und bekommt inzwischen Hartz-IV.
Arbeitslosengeld hat er keines bekommen, sagt er und sei fast ein Jahr ganz ohne Geld gewesen. Als Selbständiger habe er genügend Rücklagen, hatte es auf dem „Amt“ geheißen.

So lange zieht sich das Ganze schon hin, ein Ergebnis ist noch nicht in Sicht.
Die Bestattungskette verweist auf das schwebende Verfahren mit diesem Mann und dem ehemaligen Geschäftsführer. Man wisse auch nichts anderes, als daß der Fahrer ein Subunternehmer gewesen sei und aus ihrer Sicht seien die Zahlungen ordnungsgemäß erfolgt und auch so aus der Kasse entnommen worden.
Das sei durchaus üblich, daß man bei Bedarfsspitzen auch schon mal auf selbstfahrende Bestattungsfahrer oder Subunternehmer zurückgreife. Irgendwelche Unkorrektheiten möge man beweisen und belegen, die Quittungen seien alle ordnungsgemäß.

Ich habe den Mann bei einem Unternehmen in der Nachbarstadt untergebracht, kleiner Familienbetrieb, da kann er fahren bis die Inhaber selbst mal in die Kiste „hupsen“.
Aber was es nicht alles gibt, oder?

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)