Geschichten

Der Mann, dem keiner nachtrauert

Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Klar, ich muß hier bei Ihnen im Bestattungshaus sitzen und das jetzt für meinen Vater machen. Der ist ja tot, der muß ja jetzt unter die Erde. Anständig soll das ja auch sein, wir wollen uns nichts nachsagen lassen.
Außerdem habe ich da einen Wunsch. Als meine Mutter vor drei Jahren gestorben ist, da hat mein Vater ein Doppelgrab für die beiden genommen und der will ja auch in das Grab rein.
Aber meinen Sie, man kann das so machen, daß der doch in ein anderes Grab kommt?

gefallenSie gucken so komisch. Ja, ich kann das verstehen, ich kann das gut verstehen. Sie werden denken, warum kaufen die erst ein Doppelgrab wo ja noch Platz für den Mann wäre und dann lassen die den Platz da ungenutzt und geben Geld für ein neues Grab aus. Das denken Sie bestimmt. Und sie haben ja auch Recht, denn eigentlich haben wir nur wenig Geld, aber das muß einfach sein. Ich bin volljährig geworden und kann das entscheiden. Holen ’se den ab, dann verbrennen und die Urne irgendwo in ein eigenes Grab, am anderen Ende vom Friedhof. Da braucht auch kein Stein drauf, da geht sowieso keine Sau mehr hin.

Nee, das muß wirklich sein. Meine Mutter soll wenigstens im Tod ihren Frieden haben und nicht auch noch neben dem liegen müssen.

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Warum ich ‚dem‘ sage? Mein Gott, Vater habe ich nur gesagt, weil ich mit Ihnen als fremder Person über den gesprochen habe. Wenn ich ehrlich sein soll, haben meine Geschwister und ich immer nur ‚der Alte‘ gesagt… na ja, eigentlich haben wir ‚das Arschloch‘ gesagt.

Nein, Sie dürfen das jetzt nicht falsch verstehen. Wahrscheinlich verstehen Sie das nicht nur falsch, sondern gar nicht. Aber der war wirklich ein Arsch.

Also wenn jemand auf dieser Welt ein Arschloch war, dann der Scheißkerl.

Wir sind vier Geschwister, ich habe noch einen Bruder und dann gab es da noch uns drei Mädchen.
Wir sind alle so mit knapp zwei Jahren Abstand auf die Welt gekommen, meine Mutter war also sozusagen sechs oder sieben Jahre immer schwanger. Is‘ ja auch nicht leicht, ne?
Und dann hatte sie daheim einen Stall voller Kinder und dann ist der Alte arbeitslos geworden. Da ging es dann bergab. Haus weg, ab in die Blockwohnung, Sozialhilfe… der ganze Scheiß eben.
Aber wir haben als Kinder davon nichts gemerkt, also wir hatten keine Nachteile irgendwie. Meine Mutter hat immer alles schön gemacht für uns und das war auch eine Zeit, wo wir den noch lieb hatten.
Meine Güte… wenn ich jetzt so drüber nachdenke… Mensch, wir hatten den mal lieb! Stellen Sie sich das mal vor!

Das erste Mal wo wir gemerkt haben, daß da was nicht stimmt, das war, als der meinen Bruder, der war damals sechs Jahre alt, so verhauen hat, daß der Thomas hinterher 14 Tage nicht auf die Straße konnte, so wund und blau hat der den gekloppt.
Und alles nur, weil Thomas vom Kiosk wieder gekommen ist und kein Bier mitgebracht hat. Der Kioskbesitzer hat dem Kind kein Bier gegeben und gesagt, da müsse der Vater schon selbst kommen.
Der Alte hat sich dann seine Hose angezogen, nachdem er Thomas verkloppt hatte und ist zum Kioskbesitzer und hat dem ein paar in die Fresse gehauen.
Der war dann weg, der Alte, wahrscheinlich im Knast, ich weiß es nicht genau.

Auf jeden Fall war die Zeit mit Mama schön.

Die Mama? Ach, die Mama… Was soll ich über die sagen?
Ich geb’s zu, die hat gesoffen.
Ja, hat’se. Die hat gesoffen, immer Bier, jede Menge Bier. Aber irgendwie hat die es auf die Reihe gekriegt, wenigstens die Wohnung sauber zu halten, die Wäsche zu waschen und uns was zu kochen.
Da kann man nix sagen, gar nix.

Auf die Mama lassen wir nix kommen!

Die hat auch oft genug von dem auf die Fresse gekriegt. Wenn der mal wieder eins von uns Kindern verkloppt hat, dann hat sie sich oft dazwischen gestellt und dann hat er eben sie verhauen. Gerne mit dem Knie in den Bauch…

Ich sag ja, der war ein Arsch.

Schlimm wurde das, als er die Jutta hergenommen hat. Trixi und ich waren eher so kleine Pummelchen. Ja, da gucken Sie, nicht wahr? Heute sehen wir ganz manierlich aus, das hat sich dann mit der Pubertät gegeben, aber als Kinder waren wir mollig und sahen aus wie kleine Schweinchen. Is‘ ja manchmal so bei Kindern, daß die erst mit den Jahren sich so entwickeln.
Die Jutta aber, die war schon von Anfang an schlank und die hatte ja auch Locken, als einzige von uns. Wir anderen hatten keine Locken. Aber das kennen Sie ja, die die Locken haben, wollen lieber glattes Haar und die die glattes Haar haben, die wollen lieber was Krauses…
Ja, nee, die Jutta war süß, so richtig süß, schon mit zwölf hatte die Titten und machte richtig was her.

Zu der ist der Alte immer ins Zimmer. Hat dann abgeschlossen. Hinterher hat er erzählt, er habe der Jutta eine Lektion fürs Leben gegeben.

Schlimm! Die hat so geweint hinterher. Und dann ist die Mama auf den Arsch los und wollte ihn verkloppen, da hat er sie so zusammengeschlagen, daß die Nachbarin die Polizei gerufen hat und die Mama ins Krankenhaus mußte.
Aber die hat dann gesagt, sie wäre beim Putzen auf ’nem Aufnehmer ausgerutscht und gegen die Badewanne geknallt…

Was hätte die denn machen sollen? Zu der Zeit hatte der Alte gerade wieder Arbeit und war wenigstens tagsüber weg.

Wenn der von der Arbeit nach Hause kam, hat der sich auf die Couch gelegt und den Fernseher angemacht. Da mußte sofort eins von uns Kindern rennen und dem Schnittchen und ein Bier bringen. Wenn der dann satt war, hat er gefurzt und ist wieder zu Jutta ins Zimmer.
Der Thomas war doch nur so ein Hänfling, so’n dünner Spargel, der konnte nix machen, die Mama hat immer auf die Schnauze gekriegt und Trixi und ich hatten Angst.
Die Trixi war dann die, die bei dem auf dem Schoß sitzen mußte.

Wohnzimmertür zu, Trixi auffem Schoß und dann hat der so rumgewackelt, das Schwein.

‚Ich bin hier der Mann im Haus, mir steht das zu, daß die Weiber ihre Arbeit machen, Gott der Herr hat den Mann als Chef für die Frauen gemacht, also gehorcht mir!‘ hat der oft gesagt.

Warum wir nichts gesagt haben? Konnten wir doch nicht! Die Nachbarin hat das Jugendamt angerufen und da waren dann mal zwei Leute da, haben sich alles bei uns angeguckt und das war’s dann. Da hat der Alte vielleicht gefeiert!
‚Ihr kommt alle ins Heim und die Mama kommt in die Trinkerheilanastalt, wenn ich euch nicht vorher alle tot schlage‘, hatte der vorher gesagt.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen, vor dem Heim hatten wir keine Angst. Ehrlich nicht. Überall wäre es besser gewesen als da bei dem Arschloch. Aber ohne die Mama? Und dann hat der immer gesagt, daß jedes Kind in ein anderes Heim kommt und an fremde Leute abgegeben wird. Aber wir wollten doch nicht getrennt sein.

Die Nachbarin hat er dann angezeigt, weil er mitgekriegt hatte, daß die ein geklautes Fahrrad verkauft hat. Ja, gucken’se nicht so, das war eben in dem Viertel so. Die Nachbarjungs haben sogar ihren Lehrern geklaute Handys vertickt.
Da hat dann auch die Nachbarin die Klappe gehalten, obwohl die dem sein Gebrüll jeden Abend mitgekriegt hat.

Wir wir das ausgehalten haben? Weiß ich auch nicht!
Aber wir haben dann mitgekriegt, daß der keinen Schnaps verträgt.
Also Bier konnte der saufen, jede Menge, ohne Ende, aber Schnaps, da reichte eine halbe Flasche… Ich meine, das ist ja auch schon eine ganze Menge…

Dann haben wir also gebettelt, ja, wir haben auch geklaut, is‘ ja jetzt schon verjährt, glaub ich… Also auf jeden Fall haben wir vier Kinder alles gemacht, damit immer eine Flasche Schnaps da war. Dann haben wir so’n Spielchen mit dem gemacht, Schnittchen gebracht, Fernsehen angemacht, Schlappen hingestellt und der kam sich vor wie ein König. Hat dem voll gefallen. Und immer schön eingeschenkt haben wir dem. Immer Schnaps.
Ja und dann hat der nach dem Essen wieder gefurzt, ist aber nicht zu Jutta und damals auch schon zu Trixi gegangen, sondern hat sich rumgerollt auf der Couch und hat gepennt.

Ganz vorbei war das natürlich nicht. Mama hat sich damals schon seit Jahren jeden Abend im Schlafzimmer eingeschlossen. Hat da auch Fernsehen geguckt und ihr Bier getrunken.
Einmal wollte der da rein, da hat’se ihm nicht auf gemacht und da hat der die Tür reingetreten. Die hat dann eine Bierflasche nach dem geworfen und dann ist er doch zur Trixi ins Zimmer, da hat der Thomas mit drin gepennt, wir hatten ja nicht so viel Platz.
Ja, der war da dabei, der Thomas. Voll widerlich, sowas.

Aber dann ist der Thomas ja in die Ausbildung gekommen und war dann auch viel weg. Später bei der Bundeswehr. Ist so’n richtiger Koffer geworden, hätte man ja nie gedacht, wo der immer so’n Spargel war.
Der hat’s richtig gemacht, einfach weg von zu Hause.

Ich hab ihm Vorwürfe gemacht. ‚Kannst uns doch nicht mit dem alleine lassen‘, hab ich zu ihm gesagt. ‚Kannst doch nicht zulassen, was der mit uns Mädchen macht.‘ Thomas hat nur geguckt, genickt, aber das war’s dann auch schon.
Mama ist dann gestorben.
Jutta hatte nen Freund und wollte ausziehen. Da hat der Alte den Freund mal nach der Arbeit besucht und dann hatte Jutta keinen Freund mehr.
So war das bei uns, können’se glauben!

Ausziehen? Von zu Hause? Wie stellen Sie sich das denn vor? Der hatte immer eine von uns besonders auffem Kieker und wenn die anderen nicht so gespurt haben, wie er das wollte, dann hat er gedroht, die eine umzubringen.
Daß der Thomas weg war? Pfft, kein Ding, der war ihm egal, aber sowas von egal.
Hat ja auch keine Muschi.

Wissen Sie jetzt, warum der nicht in das Grab von der Mama soll?

Gestorben ist der durch einen Unfall. Ja, einfach im Treppenhaus über die Brüstung, Hals gebrochen, sofort kaputt. Aufgeschnitten haben sie den, von oben bis unten, wie ein Schwein. Nachgeguckt haben die, woran und warum der genau gestorben ist.
Dann haben die gesagt, das war eindeutig ein Unfall im Suff. Mit besoffenem Kopp über irgendwas gestolpert.

Durch Zufall war ja der Thomas gerade da, als das passiert ist, der hat noch gehört, wie der Alte im Treppenhaus geschrien hat, als er gefallen ist.
Die Nachbarin hat auch gesagt, das muß ein Unfall gewesen sein. Sind ja auch zwölf Meter, hinten runter, an der Brüstung vom Treppenhaus bis runter auf die Kellertreppe. Kann schnell was passieren, wenn man besoffen ist, hat die gesagt.

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