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Matthias

orgel

Jemand hat sich in den Kopf geschossen. Das sagt sich so lapidar und so nüchtern werden uns Polizeieinsätze gemeldet. Da ist nicht viel Platz für Emotionen, vor allem die Polizisten befleissigen sich in solchen Fällen immer zackiger Sachlichkeit und sind Weltmeister im Erfinden neuer sachlicher Umschreibungen.

Wenn wir arbeiten, können wir uns oft auch keine Emotionen leisten, als Beteiligte an der Abwicklung von Todesfällen, müssen wir zwangsläufig eben oft einen kühlen Kopf behalten, obwohl uns tief im Inneren ganz anders zumute ist.

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Matthias ist nur 24 Jahre alt geworden, hinterläßt eine 22jährige ratlose Freundin und ein gut halbjähriges gemeinsames Kind. Derzeit ist das Kind bei den Matthias Eltern, Edith die Freundin, war zunächst mit einem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus, kam dann aber heute gegen Abend in Begleitung ihrer Eltern zu uns. Matthias liegt in einer unserer Kühlkammern, mit einem Plastiksack über dem Oberkörper. Er ist derjenige, der sich den Kopf weggeschossen hat.

Es war in der Nacht von Freitag auf Samstag, als er zu Edith sagte, er wolle schon mal ins Schlafzimmer gehen, um auf dem dortigen Fernseher noch ein Konsolenspiel zu spielen. Edith war das ganz recht so, sie wollte lieber noch ein Video fertigschauen.
Nur drei Minuten später hat es einen ohrenbetäubenden Knall gegeben, Edith ist sofort ins Schlafzimmer gelaufen und das was sie dort vorgefunden hat, ist unaussprechlich.

Man sieht das ja oft im Fernsehen, da schießen sich die Leute reihenweise über den Haufen und je nach persönlichem Geschmack des Regisseurs fließt dabei mehr oder weniger Blut. Diejenigen, die Ahnung von Waffen haben, die wissen, daß man mit einer Walther PPK, die von Polizisten auch gerne Spatzenpistole genannt wurde, nicht auf 100 Meter Entfernung einem Mann den halben Oberkörper wegschiessen kann. Genausowenig kann man sich mit einer Pistole vom Typ Colt 1911 A1 im Kaliber .45 selbst in die Schläfe schießen und dann mit einem kleinen blutigen Punkt an der Schläfe langsam zusammensinken.

Was ich damit sagen will ist, daß im Fernsehen nur eine Scheinrealität abgebildet wird, die so ähnlich ist wie die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus, riecht anders und die Leute stehen hinterher nicht mehr auf…

Matthias hat für seine Selbsttötung eine Schrotflinte verwendet. Auf dem Bettrand sitzend hat er die Waffe auf den Boden gestellt, die Lauföffnung wahrscheinlich unter das Kinn geklemmt, sich weit nach vorne gebeugt und abgedrückt.
Über die weiteren Umstände möchte ich nur soviel sagen, daß eine offene Aufbahrung in diesem Fall so gut wie unmöglich ist und eine gründliche Renovierung des ganzen Schlafzimmers, vor allem der Zimmerdecke, erforderlich wird.

Wer sich jemals bei blutigen Szenen im Fernsehen gegruselt hat, der hat so etwas glücklicherweise noch nicht sehen müssen.

Die oft gestellte Frage, wer so etwas saubermacht, kann ich beantworten. Es sind in der Regel Angehörige und Freunde, wenn es zu Hause passiert ist. Die im Fernsehen schon mehrfach in Reportagen vorgestellten „Crime-Scene-Cleaner“ oder wie die sich auch immer nennen, gibt es nicht überall, sie sind auch nicht gerade preiswert und wenn überhaupt beauftragt eher eine Hausverwaltung oder Kommune solche Leute. Ansonsten bleibt das an den Betroffenen hängen, so ist das nunmal.
Wir als Bestatter nehmen mit, was zum Verstorbenen gehört, aber nur in greifbaren Portionen. Partikelsuche in der Struktur einer Rauhfasertapete gehört nicht dazu.

Polizei, Familie und allen voran seine Freundin Edith sind ratlos. Nein, ratlos ist im Falle der Angehörigen nicht das richtige Wort, sie sind fassungslos. Matthias hat, so wird hundertfach wiederholt beteuert, überhaupt gar keine Waffe besessen, es gab keinen erkennbaren Grund für die Tat und alles im Umfeld sprach im Gegenteil eine sehr positive Sprache, alles lief bestens.

Woher er die fachmännisch gekürzte Waffe und die Munition hatte, wird die Polizei noch ermitteln müssen. Es soll ein preiswertes einläufiges belgisches Jagdgewehr gewesen sein, die Munition bestand aus fetten Sauposten.
Einer der Kriminalbeamten am Tatort erzählte mir, diese Munition sei in Deutschland gar nicht erlaubt oder doch zumindest sehr unüblich und bestehe nicht aus Dutzenden kleiner Schrotkügelchen, sondern aus einer eher überschaubaren Zahl relativ dicker Kugeln.

Matthias und Edith hatten eine recht schwere Zeit hinter sich. Beide arbeitslos, sie wegen des Kindes, er weil er nichts fand. Dann wendete sich das Blatt, Matthias bekam endlich eine Stelle bei einem Fernmeldeunternehmen, genau passend zur Geburt des Kindes. Endlich kam regelmäßig gutes Geld in die Kasse, eine passende Wohnung wurde angemietet und erst vor acht Wochen war man dort eingezogen.

Außer zur Arbeit war Matthias nie weg, er liebte Chats im Internet und Konsolenspiele, wobei Edith nicht müde wird, zu beteuern, daß er hauptsächlich Simulationen mit Flugzeugen und Autorennen spielte. Die Polizisten hatten angesichts der Spielkonsole gleich die passenden Fragen gestellt, die wohl in die Richtung zielten, das könne auch alles mit zuviel Gewaltspielen zusammenhängen, konnten dann aber die dafür infrage kommenden Spiele nicht vorfinden.

Soweit mal die Entwicklung bis zum Besuch von Edith und ihren Eltern bei uns. Ich erzähle später weiter.

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#matthias

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(©si)