Geschichten

Mit 83 Jahren turnen

ein älterer Herr mit Brille

Die Tür fliegt auf und das, obwohl unsere Eingangstür sehr dick und schwer ist. Der Mann, der eintritt, muss also Kraft haben.

Mit polternden Schritten betritt er unsere Halle, schwingt seinen Stock und obwohl gleich zwei Mitarbeiterinnen aus dem nebenan liegenden Büro auf ihn zugehen, ruft er: „Hallo! Ist da jemand?“
Und wenn ich schreibe, dass er das ruft, dann umschreibt es eigentlich nur ein kasernenhofartiges Brüllen.
Zwei Frauen, unsere erste Bürodame Frau Büser und die Bestattungsfachkraft Sandy stehen unmittelbar neben ihm, doch der Mann fuchtelt mit seinem Gehstock in der Luft herum und schreit: „Warum kommt denn da niemand?“

Ich will schon die Tür zu meinem Büro zumachen, da lasse ich es lieber und ergötze mich an dem folgenden Dialog, der zwischen unserer Frau Büser und dem Mann geführt wird:

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„Prächtig, prächtig! Meine Frau ist tot!“

„Das tut mir leid, kommen Sie doch bitte näher“, sagt Frau Büser und deutet auf einen Beratungsraum. Doch er poltert zurück: „Was für ein Kleid? Warum soll ich nähen? Ist das hier kein Beerdigungsinstitut?“

Ganz offensichtlich ist der Alte taub wie ein Überraschungsei ohne Figur drin.

„Bitte kommen Sie mit, damit wir alles aufschreiben können.“

„Was wollen Sie?“

„Ihre Daten notieren.“

„Beinen Braten sortieren? Sagen Sie mal junge Frau, haben Sie was mit den Ohren? Ich will meine Frau beerdigen lassen!“

Frau Büser brüllt ihn an, dass es durch die Halle hallt (wovon ja die Halle bekanntlich ihren Namen hat): „Mitkommen und hinsetzen!“
Das scheint der Mann verstanden zu haben und während er ihr folgt, schreit er: „Mein Name ist Bolle, Franz Bolle!“

Offenbar sind die beiden schon im Beratungszimmer und Frau Büser fragt ihn: „Wie hieß denn Ihre Frau?“

„Auch Bolle!“

„Und mit Vornamen?“

„Nein danke, brauch‘ ich nicht!“

„Wie Ihre Frau mit Vornamen hieß!“

„Geborene Schmidt.“

„Nein, ich meine mit Vornamen. Margarethe, Maria oder wie?“

„Ja!“

„Wie denn jetzt?“

„Bolle!“

Durch meine Tür sehe ich, dass sich im großen Büro schräg gegenüber die halbe Belegschaft beinahe vor Lachen auf dem Boden wälzt, doch Frau Büser ist eine erfahrene Mitarbeiterin und bleibt beharrlich:

„Margarethe Bolle, ja?“

„Nein, Anneliese!“

„Also Anneliese Bolle, geborene Schmidt?“

„Ja, das sage ich doch die ganze Zeit. Hören Sie nicht, was ich sage? Haben Sie was mit den Ohren?“

„Dann schauen wir jetzt mal nach den Särgen.“

„Ich hab jetzt anderes im Kopf, als nach Bergen zu schauen, können wir nicht lieber einen Sarg aussuchen?“

„Mitkommen und gucken, ja?“, schreit ihn Frau Büser an und dann sehe ich, wie die beiden in Richtung Ausstellungsraum stiefeln. Auf dem Gang stoße ich mit der restlichen Belegschaft zusammen und so halb hinter die Phönixpalme geduckt verfolgen wir, wie es weitergeht.

„Der ist schön, was kostet der?“

„Tausendzweihundert Euro.“

„Genau richtig, den nehmen wir.“

„Soll Ihre Frau eingeäschert werden?“

„Was wollen Sie machen?“

„Ich muss wissen, ob Ihre Frau verbrannt werden soll.“

„Meinen Sie, 1946 die Flucht, das hat uns nicht gereicht?“

„Ich sagte verrrrbrrrrrrannt, nicht verbannt.“

„Sagen Sie das doch gleich, mein Gott, warum sprechen Sie so undeutlich?“

„Soll sie verbrannt werden?“

„Warum nicht, die hat doch sowieso immer gefroren.“

„Also gut, dann bräuchten wir noch eine Urne.“

„Nein, die ging nicht mehr turnen, die war schon 83.“

„Eine U R N E, für die Asche.“

„Die da, die ist schön, was kostet die?“

„60 Euro.“

„Nehmen wir!“

„Schauen Sie mal bitte hier bei den Decken und Kissen.“

„Natürlich werde ich die vermissen, was denken Sie denn?“

„D E C K E!!!“

„Ja, nehmen wir, die da die ist schön!“

„Mitkommen! Büro!“

„Jawoll!“

Ungefähr acht Leute ducken sich hinter Phönixpalme und Ledersofa, als die beiden an uns vorbeistapfen, er vorneweg, den Stock schwingend und Frau Büser, die uns bemerkt, hinterher. Irgendjemand kichert, die Büser zeigt uns hinterm Rücken den ausgestreckten Mittelfinger.

Dann macht sie die Tür vom Beratungszimmer zu und wir sind alle ziemlich enttäuscht. Man hört zwar noch, wie die beiden sich anblöken, aber man kann es nicht mehr richtig verstehen.

Jeder ist auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz, als plötzlich trotz geschlossener Tür der alte Herr laut zu hören ist: „Was soll ich jetzt mit Bratensaft?“

Genau in dem Moment platzt aus uns allen ein lautes Lachen hervor, der Bratensaft hatte gerade noch gefehlt.

Ich hätte noch ein Weilchen zuhören können…

©2007

Bildquellen:
  • schwerhoerig: KI generiert Peter Wilhelm


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 13. Februar 2024

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29 Kommentare
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Didi
17 Jahre zuvor

Liest sich wie das Drehbuch zu einem Sketch mit Didi Hallervorden.

Kianga
17 Jahre zuvor

Schadenfreude ist doch bekanntlich die schönste Freude *g*

sonja
17 Jahre zuvor

Mir laufen grad die Tränen…vor lachen. DANKE!

17 Jahre zuvor

Das klingt lustig! Bei “Prächtig, prächtig! Meine Frau ist tot!” dachte ich sofort an Wilhelm Busch:

"Heißa! rufet Sauerbrot!

Heißa! Meine Frau ist tot!"

Mafdet
Reply to  Bernie
10 Monate zuvor

Das war auch mein erster Gedanke!

undertaker
17 Jahre zuvor

Nee, das ist schon wirklich so passiert. Der Mann hat mir dann noch erzählt, daß er über 30 Jahre in der "Bütt'" gestanden habe und einmal den "Leberkäs'-Orden" bekommen hätte. Als ich mir den Leberkäs'-Orden vorstellte, musste ich ihm ins Gesicht lachen.

Moonwish
17 Jahre zuvor

"Sie hat sowieso immer gefroren!"

Ich glaub, ich hab mir grad vor lachen in die Hose gemacht….

Shali
17 Jahre zuvor

Bin vor Lachen am Wanken aber …solche Leute gibt es 🙂

17 Jahre zuvor

Ich schreie mich weg!

Tränen gelacht. Ich lese es gleich nochmal und wünsche allen Zweiflern einen enspannten Tag =) …

Fremdgelesen —
17 Jahre zuvor

[…] die tägliche Lektüre beim Bestatter würde mir was […]

17 Jahre zuvor

OK, mit der Hintergrundinfo "Büttenredner" glaub ich es. Ein lustiger Rheinländer also. Hab ich nicht geschnallt, anfangs. Sehr schön!

17 Jahre zuvor

Genial! 😀 Auch wenn's wirklich viel von 'nem Sketch hat.

Wieso sich solche Leute keine Hörgeräte kaufen… sind doch nicht mehr teuer und von der AOK subventioniert, so weit ich weiß.

Georg
Reply to  Mathias
10 Monate zuvor

Auch mit so einem Gerät kann es vorkommen das die Person einen nicht Richtig versteht.
Meine inzwischen verstorbene Patentante brachte mal vor Jahren unsere Familie zum lachen als sie auf die Frage meiner Mutter ob sie mit möchte Spazieren gehen erstaunt fragte was sie denn jetzt noch(Nachmittags gegen 3 Uhr) mit Paniermehl wolle.Sie trug auch so ein Hörgerät welches aber zwischendurch nervend piepte.

Nikolas
17 Jahre zuvor

Bei Schwerhörigen bringt es nicht viel, sie anzuschreien.

Wichtig ist, dass man langsam und deutlich spricht und sie dabei anschaut, dass sie die Lippen sehen.

Sommerwolke
17 Jahre zuvor

Ich bin selber schwerhörig, aber zu meinem und anderer Menschen Glück trage ich Hörgeräte. Alte Menschen tuen sich mit dieser modernen Technik schwer und versuchen es lieber so und dabei kann dann tatsächlich so eine wie hier beschriebene Situation entstehen(habe in einem Hörgeräteakustikergeschäft Praktikum gemacht und da erlebt man wirklich die tollsten Sachen. Wenn ich in die Ausbildung gehe mache ich auch ein Blog auf. ;-).

Ich lag vor Lachen übrigens auch fast auf dem Boden. ^^

Thomas
17 Jahre zuvor

Der Mann hat mir dann noch erzählt, daß er über 30 Jahre in der “Bütt’” gestanden habe

Dann war der Verlauf des Dialogs vielleicht nicht unbedingt schwerhörigkeitsbedingt…

17 Jahre zuvor

seit ein paar tagen bin ich hier auch dabei 🙂

super, ich hab mich weggeschmissen vor lachen 😀

17 Jahre zuvor

*prust* Mittagspause gerettet. 🙂

Ines
17 Jahre zuvor

Hach, köstlich! So ganz anders, als der letzte große Beitrag, der so traurig war. Dieses Blog hält für beinah alle Emotionen etwas bereit. Sie haben echt einen aufregenden/abwechslungsreichen Beruf 🙂

Jonas
17 Jahre zuvor

Ja, stimmt schon. Jeder Mensch der noch einen Funken Restverstand hat merkt sehr gut ob er verstanden wird oder nicht spätestens nach dem 3. Mal.

17 Jahre zuvor

Nach dem "Büttenrede"-Hinweis und erneutem Durchlesen dachte ich jetzt eigentlich, der Alte sei gar nicht schwerhörig gewesen, sondern habe sich einen Spaß erlaubt?

Newty
17 Jahre zuvor

Hallo undertaker,

hab mir eben in der Vorlesung nen Wolf gelacht! Bitte führ den NSFW-Tag ein: Not suitable for work!

Ronny
17 Jahre zuvor

Da sieht man mal wieder, wie krank und verdreht die Welt ist. Die Menschen sind vom Fernsehen verblendet. Bei jeder Geschichte, die hier erzählt wird, nimmt sofort irgendeiner Bezug zu einer Fernsehserie oder einem Film, den er gesehen hat. Daraus wird dann aber immer fälschlicherweise geschlossen, es handele sich bei den hier erzählten Geschichten um das Nachäffen von Fernsehanekdoten. Aber tatsächlich wird doch andersherum ein Schuh aus der Sache. Auch die Leute vom Fernsehen kochen nur mit Wasser und selbst die albernsten und merkwürdigsten Geschichten sind doch immer dem realen Leben entnommen. Falsch ist es, zu glauben, wenn einem das reale Leben erzählt wird, dann handele es sich um Fiktion. Ob in einem einzelnen Unternehmen so viel passiert, kann überhaupt nicht die Frage sein. In so ein Bestattungsinstitut, so stelle ich mir das vor, kommen am Tag vielleicht 2-4 Kunden, bei grossen Instituten vielleicht sogar doppelt so viel. Das sind im Schnitt sagen wir mal 35 Leute in der Woche und die kommen nicht alle alleine. Vielleicht schreibt Tom ja mal was dazu. Es können… Weiterlesen »

gruftigirl
17 Jahre zuvor

Kann mich dem Kommentar von Ronny nur anschließen…

Ich selbst arbeite im Verkauf und kenne das sehr wohl, wenn jemand schwer hört. Da schreit man quer über den ganzen Markt und alle hören es, nur nicht der, der gemeint ist. Meist entschuldigen sie sich für ihr Malheur, aber nervig isses trotzdem.

Skurrile Geschichten über seltsame Kunden habe ich auch einige auf Lager, das erlebt wohl jeder in einem Beruf mit Kundenkontakt.

Nulpe
17 Jahre zuvor

“Prächtig, prächtig! Meine Frau ist tot!”

aber Hauptsache unser Bolle hat sich prächtig amüsiert 😉

Hatte heute einen miesen Tag,aber dieser Beitrag hat ihn wieder gerettet.Merci Tom.

17 Jahre zuvor

[…] glaub, ich hätte mir gerade fast vor Lachen in die Hose gepisst. Herrlich, was der Undertaker da notiert […]

17 Jahre zuvor

Hihi, "Auch Bolle." erinnert doch stark an Loriot:

"Wie heißt den ihr Enkel?" – "Hoppenstedt. Wir heißen alle Hoppenstedt."

Das mag ich so an Deinen Geschichten: entweder man weint vor Lachen, oder weil es einem so mitnimmt.

17 Jahre zuvor

[…] Wenn eine Witwe zum Beispiel Margarinen anstatt Margeriten bestellt, oder wie zuletzt gestern, wenn ein schwerhöriger seine Frau unter die Erde bekommen möchte. Ich hab Tränen gelacht! Also unbedingt mal vorbeischauen beim […]

minibar
16 Jahre zuvor

Mir liefen die Tränen vor Lachen.

Ja, mein Mann ist schwerhörig. Wenn der seine Hörgeräte morgens noch nicht drin hat, versteht er auch alles, nur nicht das, was ich sage.

Absolut lebensecht der Bericht und sowas von glaubwürdig.




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