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Morgen bist Du tot! – Beitrag 14-

Hallo,

etwas verspätet möchte ich auch noch an „Morgen bist du tot“ teilnehmen.

Liebe Grüße,
Daniela

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***

Ein Abschied

Einfach eine kurze Abmeldung hatte sie an ihre Freunde rumgeschickt „Ich bin für eine Weile nicht da, wundert euch nicht.“ Mehr kam da nicht und kurz wunderten die Freunde sich ehe der Alltag sie wieder einholte. Immer mal wieder in ihren Tagen, voll mit Arbeit und Leben, tauchten Gedankenfetzen aus dem Nebel auf. ‘Wo ist sie?’ wunderten sie sich wieder, doch der Alltag verschlang auch diese Gedanken. Sie hatte doch gesagt, wundert euch nicht. Doch irgendwann kam ein Brief und darin eine Geschichte. Es war die Geschichte eines Abschiedes.

***

Sie wollte sich nicht verabschieden, sie wollte auch nicht dass sich jemand Sorgen machte oder wusste wo sie hinging. Es reichte ihr, dass einige wenige Bescheid wussten. Der Rest… würde nichts ändern können. Und so schrieb sie diese kurze Zeilen. Dann nickte sie ihrem Mann zu. Dieser half ihr in die Jacke, schnappte sich die Taschen und ein kurzes Gerangel setzte ein. Sie wollte auch etwas zu tragen haben. Mit einem kurzem traurigen Lächeln überließ er ihr schließlich eine Tasche.

So begleitete er sie in ein Zimmer, hell leuchtend, weiß, fast steril. Ihre Heimat für die nächste Zeit. Zitternd griff er nach ihrer Hand. Legte sie in die seine und drückte sie kurz. „Nicht lang.“ lächelte er ihr zu. „Nicht lang“ lächelte auch sie und meinte doch etwas völlig anderes.

***

Sie hatte abgenommen in der letzten Zeit und er betrachtete das mit Stirnrunzeln. Sie war schwächer geworden, auch das sah er mit Sorge, doch er sagte nichts, denn sie selber strahlte Ruhe und Kraft aus. Ihre
Gesichtszüge wirkten sanft, doch das Zittern ihrer Arme strafte ihren Augen Lüge. Ihr Körper war nicht mehr stark und er versuchte sich gegen den Geist durchzusetzen. Es war eine Frage der Zeit, der Sieger stand bereits fest. Er las in ihren Augen, dass sie das wusste und verschloss die Seinen vor dieser Erkenntnis. Er würde weiter an etwas Anderes glauben. Darum nahm er ihr auch den Block und den Stift aus ihren stärker zitternden Händen als sie ihn ansah. Doch ihre Bitte „Schreib eine Geschichte“ blieb in seinem Kopf. Eindringlich bat sie erneut.

„Schreib für unsere Freunde. Ich möchte ihnen ein Abschiedsgeschenk geben. Etwas woran sie sich erinnern können.“ Doch er schüttelte den Kopf und legte ihr den Finger auf die Lippen zum Zeichen, dass sie still
sein sollte. „Shht, das hat Zeit.“ Sie lächelte traurig und doch gab sie nach und nickte. Sie würde ihre Liste schreiben, wenn sie allein war. Sie wusste er würde ihre Geschichte schreiben. Und sie würde gut werden.

***

Tränen liefen über seine Wangen. In der einen Hand hielt er hilflos das Papier mit ihren krakeligen Worten. Mit der anderen strich er ihr über das erschlaffte Gesicht. Sie sah friedlich aus, als würde sie schlafen. Er wünschte, gleich würde sie die Augen aufmachen um ihn anzublicken. „Alles wird gut.“ würde sie zu ihm sagen und er würde nicken und ihr glauben. Seine Linke zerknüllte das Papier.

„Schreib für mich“ hörte er wieder ihre Stimme sagen und musste schluchzen. Schreib für mich hatte sie gesagt. Es war kein Befehl. Nur eine unschuldig vorgetragene Bitte die so schwer auf seinen Schultern
lastete. Er wollte es in die Welt hinausschreien. Die Ungerechtigkeit, die ihn erfasst hatte beklagen. Sein Leid herausbrüllen, Gott dafür die Schuld geben. Das alles war einfach… ungerecht. Er haderte mit seinem Schicksal.

Vorsichtig beugte er sich zu ihr herab um sie ein letztes mal zu küssen, sie im Arm zu halten und zu spüren. Aber es war vorbei…

Der Zettel, das wertlose Stück Papier mit ihren letzten Worten, die daraus das kostbarste Schriftstück auf Erden machten, fiel unbeachtet zu Boden während er den Trost in ihren Armen suchte. So oft hatte sie ihn
gehalten wenn er sich einsam fühlte. Doch diesmal stellte sich keine Geborgenheit ein. Das Gefühl der Zufriedenheit auf dass er hoffte, ja welches er herbeisehnte blieb aus. Er hielt eine leere Hülle im Arm.
Doch Trost kam aus dem Leben nicht von den Toten. Stumm und weinend richtete er sich wieder auf. Er blickte auf ihr Gesicht und prägte sich jedes Detail ein. Ihre Wimpern, die zu glitzern schienen, der kleine Leberfleck direkt über ihrem rechten Augenlid. Das schimmernde Haar, welches ihr friedliches Gesicht einrahmte. Die vollen Lippen, über die so viele liebevolle Worte gekommen waren und die ihn auch so oft gescholten hatten. Wer sollte ihn nun ermahnen, wenn er – schon wieder – den Toilettendeckel oben gelassen hatte? Und wer würde ihn daran erinnern, dass ein Topf angebrannter Pudding eingeweicht werden möchte und zwar bevor der Inhalt zu Zement wurde?

Die Banalität seiner Gedanken ließ ihn auflachen und gleichzeitig flossen nur noch mehr Tränen. Hatte er nicht andere Probleme als sich ausgerechnet darüber zu Sorgen? Ein Knistern riss ihn aus seinen Gedanken und sein Kopf ruckte herum, den Blick auf den Boden. Er erwartete fast ihren Kater mit einer Tüten spielen zu sehen auf der Jagd nach seinem Spiegelbild. Und er sehnte sich danach ihn einfach auf den Arm zu nehmen, das tränennasse Gesicht in sein Fell zu drücken und zu vergessen. Doch da lag nur ein zerknüllter Zettel.

***

Sein Blick hing an einer Wolke. Sie schien genau seine Stimmung zu treffen. Sie war dunkel und sah nach Gewitter aus, als würde dies gleich losbrechen. Aber dieser Eindruck wurde zerstört durch mehrere Flächen
azur-blauer Himmel, ein Kontrast wie er schärfer nicht hätte sein können. Und doch war er es. Er spürte ihre Hand an seinem Arm, wie sie zerrte und nach oben deutete. „Schau mal, wie die Sonne den oberen Teil
der Wolke so erhellt. Das leuchtet ja richtig.“ Und er schaute. Aber nicht zur Wolke, sondern auf seinen Arm, an dem sie nicht hing.

Er wandte den Blick ab vom Fenster und ging schleppend zu seinem Computer. Dort auf seiner Tastatur hatte er den Zettel abgelegt. Darauf stand, an wen sie ihren Abschied richten wollte. Und so fing er an, die Namen zu sammeln und die Adressen zu suchen, einfach nur mechanisch. Dazu konnte man die Gefühle abstellen.

‘Sie ist tot!!!’ stand schließlich vor ihm auf dem Bildschirm. Nur das und eine Menge Namen. Der Mauszeiger hing über dem Senden-Knopf, seine Hand zitterte. Erneut liefen Tränen über seine Wangen und er konnte
nichts mehr erkennen, die Wahrheit nicht lesen, die unbarmherzig vor seinen Augen Purzelbäume zu schlagen schien. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, doch seine Hoffnung würde er mit ihr begraben. Und
er? Er lebte.

Mühsam nahm er die Hand von der Maus und lies sie mit Wucht herab auf die Tastatur donnern. Ein Lämpchen fing an zu blinken. Das grüne Licht wirkte hell und schien zu blenden obwohl es doch einfach nur den Fokus
vom Bildschirm auf sich selbst zog. Er schniefte und wischte sich die Tränen fort. Mit zitternden Fingern deaktivierte er das CAPS-Lock und die grüne Lampe erlosch ohne zu protestieren. Doch ihre Wirkung blieb.
Die Anziehungskraft der drei Worte auf dem Bildschirm verflog und fast hastig löschte er sie bis nur noch das Blinken des Mauszeigers daran erinnerte, dass hier ein Text geschrieben werden wollte.


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Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 28. August 2011 | Revision: 31. Mai 2012

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4 Kommentare
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simop
13 Jahre zuvor

*schnief*

Sehr berührend!

P.
13 Jahre zuvor

*mit Tränen in den Augen*
Wunderschön! Danke!

Klaus
13 Jahre zuvor

Ist es nicht oft so, dass die PArtnerInnen das unabänderliche nicht sehen wollen?
Meine Mutter starb als ich 6 war, von Verwandten weiß ich, dass mein Vater wohl bis zum Schluß nicht akzeptieren wollte, dass es zuende ging. Um danach völlig überrascht komplett zusammenzuklappen.

Vor wenigen Jahren verstarb auch meine Stiefmutter. Und wieder hat er im religiösen Wahnsinn, alles verdrämgt und war dann völlig überrascht, dass sie plötzlich tot war.

Der TExt ist wunderbar!!!!!!
Hat mich tief berührt.

Daniela
13 Jahre zuvor

Danke.
Die Geschichte hat keinen realen Hintergrund. Mir war nur eines Morgens danach, sie zu schreiben.




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