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Olugulade -14-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Am rechtsmedizinischen Institut mußte ich eine Weile suchen, in der kleinen Trauerhalle dort war ich nämlich noch nie. Doch dann sah ich Huber von weitem winken und mußte nur noch einen Parkplatz finden. Unterwegs war mir noch die Idee gekommen, daß es vielleicht gut gewesen wäre, auch einen Pfarrer mitzunehmen, aber dafür war es jetzt zu spät.

Langsam näherten wir uns der Tür, Huber trat an die Seite und ich drängelte mich vor, um der Erste zu sein. Insgeheim hatte ich vor, die Situation sofort zu beenden und den Besuch bei Herrn Olugulade doch nicht zuzulassen, wenn es zu schlimm wäre. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was in diesem Moment alles an Eindrücken auf mich einströmte. Meine Augen waren überall, binnen Bruchteilen von Sekunden hatte ich die Situation erfasst und mein Kopf rauschte. In diesem Moment wusste ich, daß man den Besuch zulassen konnte, ich war mir aber auch klar darüber, daß ich tierische Kopfschmerzen bekommen würde. Mir war das alles ein wenig zuviel. Doch nun war Frau Olugulade die wichtigste Person.

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Der Raum ist nur etwa 25 Quadratmeter groß. Eine Wand hat man mit einem weißen Vorhang sehr hübsch geschmückt. In der Mitte hängt ein großes Kruzifix und direkt darunter steht der offene Sarg. Auf großen Kerzenständern brennen hüben und drüben jeweils sechs Kerzen, die Stühle, die für kleine Trauerfeiern da sind, stehen gestapelt hinten in einer Ecke.

Herr Olugulade sieht, wie zu erwarten war, wirklich nicht gut aus. Seine Haut hat die Farbe von Recycling-Papier, aber unsere Männer haben ihn schön eingebettet, der Talar, die Decke und das weiße Tuch, daß er oben um seinen Kopf trägt helfen ungemein. Er sieht fast aus wie ein toter Pharao.

Frau Olugulade hat Benjamin auf dem Arm, Daniel an der Hand. Langsam nähert sie sich dem Sarg, wir halten Abstand, aber nur soviel, daß man mit einem Schritt bei ihr sein kann. Ich habe keinen Schimmer, was man in Nigeria alles am Sarg veranstaltet und weiß nicht, was auf mich zu kommt.

Direkt neben dem Sarg bleibt die Frau stehen, Daniel steht neben ihr und macht große Augen. Mit der Hand fährt sie über die Kante des Sarges, dann über die Decke. Ganz nah geht sie an das Gesicht ihres Mannes und Jussip sagt: „Sie will spüren, ob er wirklich nicht mehr atmet.“

Dann nimmt Frau Olugulade den kleinen Benjamin, dreht ihn in Richtung seines toten Vaters und spricht. Ich verstehe nicht was sie sagt, Jussip erklärt: „Sie stellt dem Vater seinen Sohn vor und dem Sohn seinen Vater.“

Nach drei oder vier Minuten kniet die Frau sich hin, Daniel auch und wir anderen tun es ihr gleich. Dann betet sie das Vater-unser auf Englisch und beten mit ihr, jeder in der Sprache, die ihm am besten liegt und verdammt noch mal, ich gebe es zu, ich hab schon wieder heulen müssen.

Als das Gebet beendet ist, steht sie auf, dreht sich um und verlässt mit ihren beiden Kindern, ohne den toten Mann noch einmal anzuschauen, den Raum. Huber und Klaus machen den Deckel zu und wir gehen zu der Frau.

„Ein schönes Hemd“, sagt sie zu mir, nickt und ich glaube Dankbarkeit in ihren Augen zu sehen, aber sicher bin ich mir nicht. Ihr Gesicht ist sehr ernst, was soll man auch anderes erwarten…

Die Trauerfeier war dann schon am nächsten Tag. Diesmal war natürlich der Pfarrer da und sogar ein Harmonium wurde gespielt, daß eins da war, war mir beim ersten Besuch gar nicht aufgefallen. Die Situation war weitaus weniger bedrückend, jetzt da der Sarg geschlossen und mit einem kleinen Gesteck geschmückt war. Die Mütter waren gekommen und, wer rät es? Jawoll, die Birnbaumer-Nüsselschweif! Zwei Leute kannte ich gar nicht und ansonsten waren bis auf Frau Büser alle Mitarbeiter der Firma da.

Fortsetzung folgt, jetzt guck ich erst „Pastewka“.

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#olugulade

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