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Olugulade -9-

So kleine afrikanische Babys sind ja sowas von süß. Ich finde ja überhaupt alle Babys goldig, aber so kleine dunkelhäutige Krausköpfchen sind was Besonderes. Ganz klitzekleine Krüselchen hat der Kleine auf dem Kopf. Benjamin soll er heißen und noch einen afrikanischen Namen dazubekommen und Benjamin hat man uns zuerst gezeigt.

Pfarrer Schmidt, Daniel und ich haben uns den Luxus gegönnt und uns von einem meiner Männer fahren lassen. Das ist ja schon eine Strecke und ich war der Meinung, daß dem Pfarrer und mir vorher ein Glas Sekt und hinterher ein Schnaps ganz gut tun würde. So haben wir das auch gemacht. Nur zwei kleine Piccolo, doch so ein wenig Sekt beschwingt wenigstens ein bißchen.

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Nach der Babyschau ging es auf Station III und wir kamen zum Zimmer von Frau Olama Olugulade. Die hatte schon am Verhalten der Schwestern gespürt, daß irgendwas im Gange ist und den ganzen Vormittag gefragt, ob was Besonderes sei. Ein Arzt und zwei Schwestern standen bereit, als wir die Zimmertür öffneten. Daniel rannte als Erster hinein und die beiden begrüßten sich laut und umfangreich in einer Sprache, die ich nicht kenne, die aber von englischen Vokabeln durchsetzt zu sein scheint, denn ab und zu verstand ich ein einzelnes Wort.

Als Pfarrer Schmidt und ich das Zimmer betraten, verstummte Frau Olugulade und rief sofort: „Was ist mit meine Mann? Wo ist meine Mann? Was ist passiert? Was ist passiert?“

Wer jetzt meint, man könne bei einer so hochsensibilisierten Frau noch irgendwelche Flokseln oder beruhigenden Einführungssätze anbringen, der täuscht sich. Pfarrer Schmidt und ich schauten uns an. Die ganze Fahrt über hatten wir es tunlichst vermieden, darüber zu sprechen, wer die Botschaft überbringt.
Jetzt ging er aber los, setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett, nahm die Hand der Frau und sprach leise auf sie ein. Zuerst schwieg die Frau, was dann folgte, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Laßt es mich kurz so sagen: lautes Wehklagen.
Sie setzte sich auf, begann den Oberkörper vor und zurück zu wiegen und schlug mit den Händen auf die Bettdecke. Dabei stimmte sie ein sich immer wiederholendes Wehklagen an, daß sich wie „Oh weia, oh weiha“ anhörte, ganz sicher aber anders lautete.

Jetzt erst kamen die beiden Schwestern ins Zimmer und sprachen ebenfalls beruhigend auf die Frau ein. Daniel saß die ganze Zeit am Fußende und weinte, es war das erste Mal, daß er so richtig laut und heftig weinte. Die ganzen Tage bei uns hat er sich eher mal so das eine oder andere kleine Tränchen erlaubt, aber ansonsten keine Regung in dieser Richtung gezeigt. Im Grunde war ich froh, daß dieser Stau endlich aufgelöst war und die Tränen fließen konnten.

Es ist eine halbe Stunde später und wir sitzen im Wartebereich der Station. Man hat uns Kaffee gebracht, so richtig schönen geschmacksbefreiten Krankenhauskaffee. Frau Olugulade hat eine Spritze bekommen und wir sollen ihr wenigstens eine gute halbe Stunde Zeit geben.
Im Grunde ist es gar nicht die richtige Zeit und Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Man müsste bei ihr bleiben können, aber wir müssen wieder zurück. Pfarrer Schmidt und ich besprechen, daß wir der Frau vielleicht dadurch helfen, daß wir ihr sagen, daß sie sich zunächst um nichts Sorgen machen muß und daß wir uns kümmern werden.

So machen wir es auch. Es ist das erste Mal, daß ich mit Frau Olugulade sprechen kann. „Wie kommt das, dass mein Mann tot ist, wie kommt das?“
Wir versuchen es zu erklären, sitzen oft nur minutenlang schweigend da, sprechen ihr Mut zu, mehr können wir nicht tun.
Der Krankenhauspfarrer kommt dazu. Er macht überhaupt keinen senilen Eindruck, sondern ist sehr bestimmt. Er stammt aus Bayern, das hört man, er ist etwas laut aber sehr lieb. Mit seinem weißen Bart sieht er ein bißchen aus wie ein Nikolaus in Schwarz.

Wir schreiben alle unsere Telefonnummern auf, auch für Frau Olugulade fertigen wir einen Zettel an. Daniel ist es, der nach fast anderthalb Stunden zum Aufbruch drängt, ich glaube ihm wurde das alles zuviel.

Sie will den Kleinen nicht gehen lassen, eine Schwester muß sie halten und erst als eine andere Schwester den frisch geschlüpften Benjamin bringt, bessert sich die Situation.
Ich werde nie diese großen schwarzen Augen vergessen, mit denen sie uns hinterher schaute.

Wir schweigen die halbe Rückfahrt. Daniel sitzt hinten neben mir und spielt mit einem Pokemon-Spiel, das wir auf der Hinfahrt in einem amerikanischen Spezialitätenrestaurant, das vorwiegend Speisen in Pappschachteln verkauft, mitgenommen haben.

Als wir wieder daheim sind erwartet uns meine Frau, sie hat Hähnchenflügel gebacken und Bier kaltgestellt. Das tut uns allen gut.
Sie erzählt, die Birnbaumer-Nüsselschweif habe nach dem Unterricht vor der Schule gewartet und wollte Daniel angeblich nur „was Schönes“ schenken. Unsere Kinder haben ihr aber gesagt, daß Daniel erst morgen zur Schule kommt und dann ist sie beleidigt abgezogen.
Morgen werden wir Daniel hinbringen und auch wieder abholen. Nicht, daß der noch vernüsselschweift wird.

Ein schrecklicher Tag. Ich bin froh, wenn ich nachher ins Bett gehen und den Tag beenden kann. Vorher noch „Dr. House“ und dann langsam in Richtung Federbett.

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#olugulade

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