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Ronny Rocko ist wieder da

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Wir erinnern uns, Bobby Hollywood ist gestorben und sein Schlagerproduzent Ronny Rocko war bei mir aufgetaucht, um die Bestattung zu regeln. Ronny Rocko entsprach so in allem einem mehr als fürchterlichen Klischee von Alleinunterhalter und Möchtegern-Schlagerstar.

Ich gestehe, besonders sympathisch habe ich Ronny Rocko nicht gefunden.
Zunächst wollte Ronny Rocko alles vom Feinsten, machte dann aber einen Rückzieher, als ihm bewußt wurde, daß die Sachen beim Bestatter nicht zum Discountpreis zu haben sind.

Ja, wir konnten noch nicht mal die erforderlichen Unterlagen ausfüllen, weil Ronny Rocko keinerlei Unterlagen dabei gehabt hatte.

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Und so ging es mit ihm weiter:

Ronny Rocko hat keine Unterlagen dabei gehabt, wäre ja auch ein Wunder gewesen. Ich gebe mal zu, ganz unumwunden, so ganz ernst habe ich den Mann nicht genommen. Er verkörpert für mich den typischen Möchtergern Schlagerfuzzi, der schon mal im Radio war und ansonsten eher bei der Eröffnung von Möbelhäusern die Schlager bekannterer Kollegen nachsingt.

Irgendwann für eigene Auftritte zu alt geworden, oder die Sinn- und Erfolglosigkeit des eigenen Tuns einsehend, scheint Ronny Rocko sich in den letzten Jahren auf das „manatschen“ von noch erfolgloseren Schlagersängern verlegt zu haben.

Wie gesagt, besonders seriös kam er mir nicht vor.

Für den frühen Nachmittag hatte ich mit ihm vereinbart, daß ich auf dem Rückweg von einem Außentermin bei ihm vorbeifahren würde, um die erforderlichen Unterlagen abzuholen und den Rest zu besprechen.

Die Hallenstraße liegt in einem Gewerbegebiet am anderen Ende der Stadt. Die Hausnummer 22 finde ich zunächst nicht, dann sehe ich, daß es ein Hinterhaus ist, es liegt zwischen einem Digitaldruckservice und einem türkischen Autoaufbereiter.
An der Tür hängt ein Firmenschild „Rocko Planet Music“, eine Klingel gibt es nicht, also klopfe ich.

Es dauert eine kleine Weile und man hört Schritte, ein Mann öffnet und ich muß zweimal hinschauen, um festzustellen, daß es derselbe Mann ist, der vormittags bei mir war. „Sie entschuldigen, ich habe mich nicht fertiggemacht“, sagt der kleine Glatzkopf und schlurft in Pantoffeln, Jogginghose und weißem T-Shirt vor mir hinein.

„Ach watt is datt allet für ’ne Scheiße“, sagt er, weist mit der Hand nach rechts: „Setzen Sie sich doch schon mal, ich komm gleich.“

Ich trete in einen Raum und bekommt beinahe einen Krampf in den Pupillen. Graceland ist ein Dreck dagegen! Der Raum ist geschätzte wahnsinnige 80 Quadratmeter groß und vollgestellt mit Elvis-Souveniers. Hunderte von Postern, Fotos und Zeitungsausschnitten ziehen die Wände, von der Decke hängen Gitarren und drüben an der Wand steht eine riesengroße Musicbox.
Rechts an der Fensterseite steht er persönlich: Der King! Zwar nur aus Plastik, aber immerhin lebensgroß und in Original „Aloha from Hawaii“-Kluft.

An der linken Wand ist allerhand Technik aufgebaut und ich identifiziere ein riesiges Mischpult, ein paar Computer und zwei,drei Keyboards. Es sieht ziemlich professionell aus.

Das übrige Mobiliar besteht aus drei roten Plüschsofas, die um einen Nierentisch aus den Fünfzigern gruppiert sind…

„Mein Hobby, gucken Sie sich ruhig um, ich vergöttere dem King Elvis“, läßt sich Ronny Rocko hinter mir vernehmen und ich drehe mich um, er hat seine Perücke wieder aufgesetzt und zieht sich gerade ein Hemd in psychedelischem Technicolor an.
Ich grinse in mich hinein, nicht weil ich mich über den Mann lustig machen will, sondern weil mir einfach in diesem Moment bewußt wird, wie abwechslungsreich mein Beruf doch ist. Wo sonst hätte ich so einen Menschen kennengelernt? Außerdem hebt er sich ja deutlich von dem üblichen Einerlei aus Rentnern ab.

Ronny Rocko hat alles zusammengesucht was er von Bobby Hollywood, alias Robert Koslowski, an Unterlagen hat. Die Sachen liegen auf dem Nierentisch und wir setzen uns.

„Sie werden sich ganz sicherlich verwundern, aber ich kümmere mich um meine Schäfchen, ja, so isser der Ronny Rocko“, sagt er, klopft sich auf die Brust und fügt hinzu: „Ein Herz aus Gold, viel zu weich und das wissen sie alle.“

„Ich wunderte mich wirklich schon. Hatte der Herr Koslowksi denn keine Verwandten?“

„Irgendwo hat der sogar noch eine Frau, aber mit der ist der schon lange geschieden.“

„Und Kinder?“

Ronny Rocko lacht meckernd und sagt: „Vermutlich viele, Sie wissen ja wie das ist im Schaugeschäft, überall Miezen, überall Fans…“

„Also war er alleinstehend?“

„Wenn Sie so wollen, ja.“

„Und Sie kümmern sich um alles und stehen auch für die Kosten ein?“

„Genau.“

Ronny Rocko steht auf, geht nach nebenan und kommt mit einer Rolle Banknoten zurück, er zupft den Gummiring, mit denen die Scheine zusammengehalten werden herunter und fängt an zu zählen. Besonders viel ist es nicht, der größte Schein ist ein Fünfziger.
Alles in allem kommt er auf 900 Euro. Er schaut mich an, macht ganz große Augen und fragt: „Wird das reichen?“

Ich bin ehrlich zu ihm und sage: „Ist schon ein bißchen wenig.“

„Hab ich mir ja fast gedacht, aber ich könnte da mal noch auf sein Konto gucken, hab ich eine Vollmacht für, vielleicht kann ich noch was mit der Karte ziehen.“

„Im Wesentlichen kommt es ja darauf an, was Sie wollen.“

„Keine Ahnung, da müssen Sie mich mal beraten.“

Ich erkläre ihm die Möglichkeiten und Varianten und schließlich entscheidet sich Ronny Rocko für eine Feuerbestattung. Der Sarg mit dem Verstorbenen soll direkt vom Krankenhaus ins Krematorium gebracht werden, die Trauerfeier mit der Urne findet eine Woche später bei uns im Haus statt. Dann geht die Urne zum anonymen Gräberfeld auf dem Südfriedhof. „Wir sind ja immer unterwegs, Schlagersänger sind fahrendes Volk, jeden Tag ein Auftritt in einer anderen Stadt.“

Ich notiere alles und rechne mit dem ganz spitzen Stift, es kommen 1.080 Euro heraus, günstiger geht’s nicht und Ronny Rocko atmet hörbar aus, so erleichtert ist er.

Dann erzählt er mir von Bobby Hollywood, Ronny Rocko und Melody Frisco.

Ich erfahre, daß Ronny Rocko tatsächlich viele Jahre lang als Alleinunterhalter sein Brot verdient hat. Er hat gar nicht mal schlecht verdient, doch ging das Geld genauso schnell raus, wie es reingekommen ist. Mit Mühe und Not hatte er sich das kleine Studio aufgebaut und den Traum von einer großen Schlagerkarriere geträumt. Hunderte von Demobändern muß Ronny Rocko an die Plattenbosse verschickt haben, bis er endlich einen Plattenvertrag bekommen hatte. Nach so vielen Absagen unterschrieb er schnell, zu schnell wie sich bald herausstellen sollte.
Letztlich endete die Plattenkarriere mit erheblichen Schulden, denn die angeblich international bekannte Plattenfirma hatte nichts anderes vor, als Ronny Rocko ein paar hundert CDs zu verkaufen, reine Eitelkeitsausgaben, die niemals vermarktet wurden und für deren Produktionskosten er auch noch einstehen mußte.

Doch Ronny Rocko steckte den Kopf nicht in den Sand und nahm jeden Auftrag an, den er kriegen konnte. Dabei lernte er weitere „aus TV und Radio bekannte“ Künstler kennen und erfuhr, daß man in der Musikbranche auf noch viele andere Weisen abgezockt werden kann. So kam es dazu, daß sich Maria Bürzel, Robert Koslowski, Hans Frickelbauer und viele andere unter Ronny Rockos Fittichen als Cat Harmony, Bobby Hollywood und Johny Guitar einfanden.

Ganz begeistert erzählt Ronny Rocko, man sei eine eingeschworene Truppe, sozusagen eine kleine Familie und man ziehe von Baumarkteröffnung zu Kleingartensommerfest und präsentiere dort stets „einen bunten Strauß bekannter Melodien“, er natürlich immer auch mit seinem Elvis-Repertoire: „Dem liebe ich, dem King!“

„Lieber treten wir zu Fünft für Fünfhundert auf, haben die Kohle dann auch sicher gekriegt, als daß uns noch einer verarschen tut. Die Milliönchen liegen nämlich nicht auffe Straße, sondern da kannste froh sein, wenn Du mal nen Tausender auffe Kralle hast.“

Wie er da so erzählt und von seiner Truppe schwärmt, beginnt sich mein Eindruck von Ronny Rocko zu wandeln. Ich erkenne, daß dieser Mann durch und durch tatsächlich ein großes und weiches Herz hat. Welcher Schlagerfuzzi würde sich denn sonst um die Bestattung eines seiner Schäfchen kümmern?

Man kann geteilter Meinung über seine Vorliebe für alberne amerikanische Künstlernamen sein, aber ganz offensichtlich bietet er einer ganzen Reihe von eher erfolglosen Sängern und Sängerinnen ein Auskommen.

„Wegen die Trauerfeier habe ich noch einige drollige Ideen. Können wer mal drüber reden?“ will Ronny Rocko wissen und ich nicke.

Eine halbe Stunde später ist alles gesprochen und ich bin ganz wild darauf, wieder ins Büro zu kommen. Ich muß meinen Leuten unbedingt erzählen, was da auf uns zukommt. Das wird eine Trauerfeier!

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#rocko #ronny #wieder

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(©si)