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Jetzt sind sie alle weg!

Die Leberechts sind alle tot.

Da hat mal jemand in einem Kommentar gefragt, ob ich Leute einen besondere Rabatt einräume, wenn sie oft mit ihren Sterbefällen zu uns kommen. Das ist in der Tat so, hängt aber im wesentlichen vom Einzelfall ab.

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Herr und Frau Leberecht sind beide Realschullehrer und kamen 1997 das erste Mal zu mir. Ihr Sohn Markus war an AIDS erkrankt und gestorben. Bei der Trauerfeier lernte ich den Rest der Familie kennen, die Oma Gertrud, Sohn Lukas und Herrn Leberechts Bruder Egon. Insgesamt also fünf Leberechts.

Herr Leberecht war jetzt nicht der schnellste Rechnungszahler und als er sich endlich entschloß, nach der dritten Mahnung, zu bezahlen, fragte er auch noch, ob er in drei Raten bezahlen kann. Ja, haben wir gemacht und so kam er einen Monat später, um die zweite Rate zu bezahlen. Einen Monat später kam er und ich zückte schon das Quittungsbuch, doch er winkte ab: „Meine Frau ist gestorben!“

Mir war aufgefallen, daß sie bei den Beratungen anlässlich des Todes ihres Sohnes eine sehr schlecht sitzende Perücke trugt und sehr mager war. Jetzt wußte ich warum: Krebs, Chemo, das volle Programm…

Herr Leberecht agierte wie eine Marionette. So kurz hintereinander zwei Sterbefälle in einer Familie, das ist schon nicht so häufig.

2000 stand er wieder bei mir im Büro. Ich ahnte es schon, die Oma war gestorben. Nun denn, die war 88 geworden, das reißt einen (Bestatter) nicht vom Hocker. Wenigstens brauchte ich Herrn Leberecht nichts zu erklären, der nahm alles „so wie immer“.

Zwei Jahre vergingen und 2002 kam Herr Leberecht wieder zu mir. Dieses Mal wegen seines Bruders Egon. Der habe sein Leben lang getrunken, es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Leber nicht mehr mitmacht.

Nach der Beerdigung von Egon machte Herr Leberecht dann eine Vorsorge für sich. „Ich glaube der Sensenmann hat ein Abo auf uns…“

2006 kam Sohn Lukas bei einem Tauchunfall im ägyptischen Hurghada ums Leben, eine sehr teure Geschichte, weil Herr Leberecht den Leichnam mit dem Flugzeug überführen ließ, was alleine schon unglaublich teuer ist. Hinzu kommen die Kosten für den Bestatter vor Ort, horrende Behördenkosten und dann noch die Rechnung von uns und vom Flughafen.

Wie immer zahlte Herr Leberecht nur schleppend, was auch keinen von uns wunderte, denn vermutlich hat er alles, was er fürs Alter zurückgelegt hatte, in Beerdigungen investiert.

Ich habe mich lange mit Herrn Leberecht unterhalten. Damit man eine Vorstellung von ihm bekommt, mag man sich Heinz Erhardt vorstellen, in etwa so sah Herr Leberecht aus.
Wenn man nun glaubt, daß dieser Mann gebrochen oder verzweifelt war, dann täuscht man sich. Wenn ich es beschreiben müsste, würde ich sagen, der Mann war vom Leben enttäuscht, maßlos enttäuscht. Alles worauf er seine Hoffnungen gesetzt hatte, ist dahingestorben. Das gemeinsame Altwerden mit seiner Frau, Schwiegertöchter, Enkelkinder… alles dahin.

Vielleicht sagen manche, Herr Leberecht sei am gebrochenen Herzen gestorben. Als wir ihn letzte Woche beerdigten, war es Magenkrebs und allgemeines Herz-Kreislaufversagen.

„Gibt es Angehörige?“ wollte der Mann vom Friedhofsamt wissen, ich mußte verneinen: „Nee, das war der Letzte.“

Statistisch gesehen ist jede Familie alle 10 Jahre von einem Sterbefall betroffen. Das was den Leberechts da widerfahren ist, das ist schon eine ganz besonders seltene Serie.
Und schreibe jetzt bitte keiner: Der wollte nur ins Blog!

Frau Büser sagt: „Merkwürdig finde ich, daß der schon 1997 eine Grabstätte für acht Personen genommen hat, so als ob er es geahnt hätte.“

Ich weiß es besser. Herr und Frau Leberecht wollten für ihren Sohn damals einen Stein aus weißem Marmor und das ging nur auf einem bestimmten Feld auf dem Friedhof, wo es nur so große Gräber gibt. Außerdem denke ich, daß sie damals schon wußten, daß es mit Frau Leberecht nicht mehr lange dauern würde und die Oma war ja auch schon alt.

Der Steinmetz sagte: „Also langsam ist der Stein voll, noch einen krieg ich da nicht unter.“

„Nein, da kommt auch keiner mehr dazu.“

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.


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Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 7. April 2008 | Revision: 18. April 2016

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15 Kommentare
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Thomas
16 Jahre zuvor

Das ist wirklich sehr bitter…

Wittmann
16 Jahre zuvor

Ein kleines Blättchen vom Zweig der Spezies „Homo sapiens“ gefallen …

Immer noch besser, als wenn der ganze Zweig abfällt … wie es noch immer täglich passiert, wenn ganze Tier- und Pflanzenarten aussterben …

Ar-ras
16 Jahre zuvor

@Michael
Wieso vergleichst du das mit irgendwelchen Lebensbäumen und Darwinismus? Bei Naturkatastrophen werden ganze Äste abgesägt.
Ist tragische Geschichte, sowas ist Schicksal. Leider.

Klaus
16 Jahre zuvor

@ Wittmann: -1
Tja, bei mir sind im letzten Monat auch 3 Leute in der Familie gestorben. Zu erst meine Urgroßmutter, dann mein Opa und dann eine meiner Tanten, also wenns kommt dann kommts wie man sagt.

Olli
16 Jahre zuvor

Und wer zahlt jetzt die letzte Bestattung?
Oder ist die komplett mit seiner Vorsorge gedeckt?

wolkenreiter
16 Jahre zuvor

*snief*

selbst
16 Jahre zuvor

Er ist da ja immer Erbe gewesen in all den Sterbefällen, oder? Und da dürfte ja schon immer (oder zumindest im Durchschnitt) genügend für die jeweilige Beerdigung da gewesen sein.

Zumal er ja Lehrer war. Und die verdienen nun nicht wirklich schlecht, auch Realschullehrer nicht.

Kirsche
16 Jahre zuvor

Bei uns waren es auch in der Familie gleich drei hinter einander weg 🙁 und im Freundeskreis waren es dann nochmal 4. Man denkt dann echt an ein Abo

Ein Kollege
16 Jahre zuvor

Bei der Geschichte muß ich daran denken wie spät Abends Frau M. abgehohlt habe… Als ich nun nächsten Tag zum Trauergespräch zu Herrn M. wollte mußte ich ihn ca. 10 Stunden später selber abholen…
Verückt, diese Welt…
Übrigens noch ein Konpliment für das gelungene Buch… Habs regelrecht aufgesogen…

Ein Kollege
16 Jahre zuvor

Entschuldigung wegen der Tippfehler… Mußte schnell gehen…

16 Jahre zuvor

Und wer bezahlt jetzt die Rechnung?

Viktoria
16 Jahre zuvor

Oh Mann, das ist aber echt sehr, sehr bitter! 🙁 Ich weiß nicht, was ich machen würden, wenn so mit und mit alle um mich herum sterben!

Urswulf
16 Jahre zuvor

Und niemand bemerkt den Ulk mit dem Namen. Was seid ihr’n für’n Publikum, eh.

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Normalerweise rechnet man unbewußt immer in der Reihenfolge des biologischen Alters. Man ist dann natürlich völlig überrascht, wenn jemand mit 88 plötzlich stirbt: „Wer het au des denkt, das der mòl sterbe dät!“

Ja und dann kommt stattdessen sein 32jähriger Enkel mit dem Motorrad um. Das fällt dann schwer zu akzeptieren, so dass sein Opa am Grabe meint: „Es ist nicht gut, wenn die Alten ins Grab der Jungen schauen.“
Und wenn ich jetzt noch an die anderen Beerdigungen in den Querfeldern der mütterlichen/väterlichen, der ehefraumütterlichen/väterlichen Haupt- und Seitenlinien denke, da kommt schon heftig was zusammen. – Und plötzlich bist Du an der Spitze der Pyramide –

anita
16 Jahre zuvor

also bei mir trifft es so alle 5-6 Jahre einen meiner besten Freunde. Wir sehn uns in 3 Jahren.




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