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Sind Selfies wirklich Kacke?

selfie-duckschnap

Menschen fotografieren sich auf Friedhöfen selbst, zum Teil gemeinsam mit aufgebahrten Leichen, und sie finden nichts dabei, diese Bilder in den sozialen Netzwerken zu teilen.
Der Selfie-Wahn hat also auch auf Friedhöfen, in Leichenhallen und bei Beerdigungen Raum gegriffen.
Hierüber diskutieren die Leser des Bestatterweblogs unter diesem Artikel hier.

Dazu schreiben natürlich viele, daß junge Menschen es oft an Respekt vermissen lassen. Das ist sehr pauschal, auch wenn es mir persönlich grundsätzlich so erscheint, als haben die Menschen, gleich welchen Alters, nicht mehr genügend Respekt voreinander.
Berechtigterweise schreibt Leser „DD“ dazu:

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Naja, vielleicht ist das alles auch kein wirkliches Problem oder nur eines von Leuten, die am liebsten alles wie immer und wie gewohnt haben wollen und sich nicht damit abfinden können, das jüngere Generationen andere Wertvorstellungen haben, die nicht zwangsweise schlechter oder falsch sind.
Aber die Beschwerden über respektlose Jugendliche sind ja auch erst ein paar Tausend Jahre alt, wir haben also noch Zeit, bis deswegen wirklich das Abendland untergeht.

Und er hat Recht! Es ist so.

Ich werde meine Kinder nicht verstehen, ich schaffe es ja noch nicht einmal, meine Frau zu verstehen, und die ist etwa im gleichen Alter wie ich.
Ich verstehe auch meine 25 Jahre älteren Schwiegereltern nicht.
Ich werde nie begreifen, warum meine Kinder den ganzen Tag irgendwelche Bilder auf dem Handy anklicken und ständig „mit Leuten schreiben müssen“.
Ich werde auch nie verstehen (vielleicht dann, wenn ich mal so alt bin), wieso man mit 300 Gramm Hackfleisch die ganze Woche reichlich zu essen hat und sich dann abends Rosamunde Pilcher anschaut.
Ich bin doch noch so jung, denke ich, wenn ich meine Schwiegereltern sehe, und gleichzeitig vermitteln mir meine Kinder das Gefühl, ein tatteriger Greis zu sein.

Diese unterschiedlichen Sichtweisen der Generationen sind mir also nicht fremd, sie sind wohl niemandem fremd.

Und dennoch hat das mit Friedhof und Trauer nur in besonderer Weise etwas zu tun.
Denn es geht nicht um Pauschalen und Plattitüden. Daß die nachfolgende Generation immer etwas tun und schätzen wird, das den Älteren fremd (geworden) ist, ist einfach der Lauf der Welt.

Aber Friedhöfe sind ein Ort der Trauer und der Ehrerbietung. Beerdigungen sind sehr sensible Veranstaltungen. Hier geben zum Teil überkommene, jahrtausendealte und sehr traditionelle Abläufe den Menschen Halt.
Das Ritualisierte, oft auch in Zusammenhang mit dem Begriff Pietät gebracht, ist Stütze und Hilfe.

Hier machen eben neue Entwicklungen oft vor dem Ritual und der Tradition Halt.

Das heißt, daß so manches, was vor den Toren der Friedhöfe längst Alltag und Selbstverständlichkeit, oder doch zumindest geduldet worden ist, auf einem Friedhof und bei Beerdigungen nicht unbedingt auch am rechten Platz ist.

Auf einem Friedhof Selfies zu machen, ja, meine Güte, wer hat denn da etwas dagegen?
Leute, die vor dem Grab einer verstorbenen Berühmtheit das ultimative Beweis-Selbstablichtungsfoto schießen wollen, bitteschön, macht das!
Auf einem Friedhof tolle Gruselbilder für die Webseite schießen, ja, warum denn nicht?
Sich als Goth-Zombie verkleiden und auf einem Grab räkeln und damit in der Szene für Gesprächsstoff sorgen? Bitte tut es!

Aber immer muß man respektvoll bleiben, das ist die Message.

Den Toten wird es, laßt es mich so sagen, scheißegal sein, ob sich da jemand respektlos verhält. Aber die Friedhöfe sind nunmal nicht für die Toten gemacht, sondern für die Lebenden.
In den Gräbern liegen die Reste von leblosen Hüllen und werden zersetzt, sie vergehen und sind irgendwann mal ganz weg.
Was aber bleibt, das sind die Gräber. Und das sind Gedenkstätten. Gräber sind die kleinen Denkmäler, die jedem gesetzt werden können, ob berühmt oder unbekannt.
Hierhin gehen Leute, um dem Andenken an geliebte Menschen Ausdruck zu verleihen. Hier ehrt man die Verstorbenen und bewahrt sich etwas vorübergehend Bleibendes.
Gräber sind immer auch mit Gefühlen verbunden.

Daß meist nur die nächsten Angehörigen diese Gefühle für das jeweilige Grab entwickeln, das ist normal.
Anderen sagt dieses Grab nichts, sie haben keine Gefühle dafür.

Und insoweit darf man sich auf Friedhöfen bewegen und man darf dort fotografieren und Selfies machen, weil man mit den dort Liegenden nicht verbunden ist.
Aber man muß die Gefühle der Menschen, die dort ihre Denkmäler für ihre Familienangehörigen haben, respektieren.

Je näher man sich jedoch am Zeitpunkt des Todes befindet, umso sensibler sind die Menschen, die sich auf den Friedhöfen aufhalten.
Das heißt, daß bei Aufbahrungen, Trauerfeiern, Beerdigungen und Besuchen an neuen Gräbern, der Todesfall noch nicht lange zurückliegt.
Das Sterben (oft ein langer, schwierige Prozeß), der Verlust, der Schmerz und die Ängste sind noch sehr intensiv, die Wunden die der Tod reißen kann, sind noch sehr frisch.

Und genau in dieser Situation sollte man sich ganz genau überlegen, ob man mit einer Handlung, die zwar weitestgehend in der Gesellschaft geduldet oder akzeptiert wird, auf dem Friedhof bei diesem Anlaß an der richtigen Stelle ist.

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