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Tick Tack Safari

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Es tuckert und tackert. Nebelfetzig dringen Sinneswahrnehmungen ins Hirn, ist es Gehörtes, ist es Gesehenes? Wabbernd, wohlig warm, weit weg.
„Der hat sich gedreht“, sagt irgendjemand tief in meinem rechten Ohr.
Ich habe mich aber gar nicht gedreht, ich habe gar nichts gemacht, mein Körper ist einzig damit beschäftigt, nicht zu sterben.
„Nee, der hat sich nicht gedreht, die Dinger kleben so schlecht.“
Ich höre immer wieder die Kegelbahn. Diese Geräusch, das man im ganzen Kneipengebäude irgendwie hört, wenn unten im Keller alte Männer eine harte Kugel über eine Asphaltbahn rollen lassen.
Das Geräusch kenne ich, doch was hat es auf der Intensivstation zu suchen?

Wenn ich meine Augen auf mache und die dann auch noch auf bleiben wollen, dann ist es grau um mich herum. Der Raum ist hübsch grau gestrichen, aschgrau mit anthrazitgrauen Applikationen und einen steingrauen Decke. Das auf mich scheinende Licht ist grün. Ich mag Grün.

Jemand belädt Land-Rover mit Aluminiumkisten voller Safaribedarf. Es poltert und scheppert, immer wieder Alublech, Kisten, Sandbleche; wieviele Land-Rover rüsten die aus?

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Mein Kopf liegt jetzt nach rechts gebeugt und ich sehe, wo das Kegeln herkommt.

Es ist das Geräusch, daß die in Rollen laufende Schiebetür macht. Hört sich an wie Alte-Männer-Kegeln.

Der CP-Wert ist falsch, es piepst. Dann ist die Sättigung schlecht und wieder piepst sich die halbe Besatzung der Enterprise ins Zimmer.

Wabbernd umfängt mich das wohlige Hinwegtreiben. „Hallo! Herr Sowieso! Hören Sie mich?“

Blöde Frage! Natürlich höre ich die.

„Hallo? Wissen Sie wie sie heißen?“

Ist die doof? Wieso sollte ich das nicht wissen?

Wieder wird gekegelt.

„Der bleibt uns weg!“ ruft einer, andere rupfen an den Kabeln auf meiner Brust herum.

„Hallloooooo! Herr Sowieso!“

„Ja, verdammt noch mal, was wollen Sie denn eigentlich?“ will ich sagen, mache aber nur: „Grömpel*hust*röchel“.

„Puh, da isser wieder! 2.000 Liter Hexahydrotsunaminuklear iv, den K-Wert hochdrömpeln und die Z-Kurve tieferlegen!“

Was für ein Theater! Ich will doch nur in Graugrün schlafen. Immer noch werden Safari-Jeeps beladen, rund um die Uhr. Ein Krach herrscht auf dieser Intensivstation, wie auf dem Packhof einer Kaserne kurz vor dem Einmarsch in die Schweiz.

„Lecker Essen!“ scherzt der Pfleger aus dem Kölner Nachtleben und hängt eine weitere Infusionsflasche an den Haken da oben.
Irgendeine fremde Frau, die behauptet, mit mir verheiratet zu sein, hat mir ein 14jähriges Mädchen untergeschoben, das auch da sitzt. Was soll ich mit einer Frau und einem Kind?
Die Frau weint?
Warum tut sie das? War dieses Mädchen böse? Jungs sind sowieso praktischer.

Die Frau scheint ganz nett zu sein, sie pinselt meinen pergamenttrockenen Mund mit säuerlichem Stäbchenzeugs. Das lindert und kühlt.
Vielleicht tue ich später so, als ob die beiden kenne und bleibe mit ihr verheiratet.
Das Mädchen kann man bestimmt irgendwo noch gegen einen Jungen eintauschen.

Wieder kegeln die alten Männer und immer noch werden Safari-Autos beladen.

Dieses Gepiepse geht wieder los und jetzt schubsen die Enterprise-Leute die nette Sauerstäbchenfrau weg. Das Kind auch.
Ich will die Frau wieder haben, ich hatte mich doch gerade entschieden sie zu behalten.

Die rütteln schon wieder an mir herum.
Das Grau wird so schwarz.

Ich weiß immer noch, wie ich heiße, Grömpel-Hust-Würg.
Die nette Frau ist wieder da, sie kommt mir bekannt vor. Sie war klug und hat die 14jährige mit dem beleidigten Mopsgesicht gegen einen 18jährigen Kerl eingetauscht. Praktisch, den kann man wenigstens zum Kohlenholen in den Keller schicken.
Dabei haben wir gar keine Kohlen im Keller.
Alte Männer kegeln in grünem Licht.
Tick-Tack.


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Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 4. Juli 2012 | Revision: 7. Juli 2012

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simop
12 Jahre zuvor

o.O

Lorenz-Meyer
12 Jahre zuvor

Mit Verlaub: Ganz große Schreibkunst!
Klasse geschrieben.

Erfurter Puffbohne
12 Jahre zuvor

was für ein grässlicher Albtraum …

turtle of doom
12 Jahre zuvor

Am Pfefferminztee liegts ganz sicher nicht…

Melissa
12 Jahre zuvor

ich bin erstaunt, in ehrfurcht getränkt und mit viel respekt am tippseln.
das liest sich alles sehr hilflos, und um ehrlich zu sein habe ich nicht gedacht, dass eine von dir formulierte sommergrippe letztendlich das ist, was sich da oben sehen lässt.
ums mal nicht geschönt auszudrücken: scheiße, dir muss es richtig dreckig gehen.
hoffe, dass du bald wieder der alte bist !
beseelt, mit freude am leben und für jeden spaß zu haben, so wie ich das jetzt beurteilen kann.

Big Al
12 Jahre zuvor

Ich kriege gerade eine Gänsehaut.
Habe zwar die letzten knapp 2 Monate mehr so auf der Besucherseite verbracht, in diversen Intensivstationen und „normalen“ Krankenhauszimmern, kann das aber haarklein nachvollziehen.
Werde wieder gesund! Und höre auf die dich Pflegenden. Bäumerausreissen überlässt du besser mal deinem „Großen“.
B. A.

12 Jahre zuvor

Das erinnert mich an meine Narkose für die ICSI – da hab ich von Elefanten im Dschungel geträumt, die mit ihren Rüsseln auf Trommeln rumhauen, während die barfüßigen Trommelbesitzer – Pygmäen mit dem Antlitz meines Gatten (der eigentlich knapp 2m misst) – aneinander gekettet im Kreis um ein Baby tanzten, das wiederum quietschend mit einer rosa Decke wedelnd auf einem Mini-Elefanten ritt. Sehr bizarr…

Es wurde übrigens ein Mädchen. Ich hätte es damals schon wissen können *g* – der ROSA Decke wegen.

12 Jahre zuvor

Nein, dieses Trick-Track und rumgeprömpel kenn ich auch von meinen Aufenthalten auf Intensivstationen. Dass man alles mitbekommt, aber nicht mehr antworten kann, weil man eigentlich halb weggetreten auf dem Weg zum ganz-weggetreten-sein ist, das kenne ich auch.

Und DIE Beschreibung…Tom? Das war nicht nur ein Thrombus, oder? Ein blöder Thrombus, der rechtzeitig erkannt ist, verursacht sowas nicht.

Wenn ich das da lese…oO Gott hast du ein Schwein gehabt.

Isotop
Reply to  Tante Jay
12 Jahre zuvor

Tom hatte ja geschrieben das es zu einer Sepsis gekommen ist, daher die Thrombose hatte wohl zu lange die Blutzufuhr eines bestimmten Gewebes unterbrochen, so dass es zu Nekrosen gekommen ist. Und das abgestorbene Gewebe führt wohl zu dem akkuten Gesundheitszustand :-(. Gut das wir jeden Tag mehr von ihm lesen, als Zeichen dass es ihm langsam etwas besser geht.

PS Die Beschreibung einer vermutlichen Mischung aus Delirum und Nahtoderfahrungen ist interessant und zutiefst erschreckend zugleich.
Tom du bist zwar unser Experte für Bestattungen und viele Dinge die mit dem Tod zusammengehören, aber höre bitte damit auf Expertenwissen über die letzte Frage zu sammeln!

skeg
Reply to  Isotop
12 Jahre zuvor

Exakt! Der Bitte schließe ich mich an.

12 Jahre zuvor

Genial geschrieben – aber furchtbar zu wissen, dass es keine Fiktion ist.

Ich wünsche Dir alles Liebe, Tom – komm bitte bald wieder auf die Füße.

12 Jahre zuvor

Dann ist sterben gar nicht so schwer? Ich dachte immer, da wird man aufgeregter. Auch wenn ich am Leben hänge, ich bin doch schon auf meinen letzten Gedanken gespannt. Wahrscheinlich irgendein Blödsinn oder dummer Spruch.

Wie auch immer: Jungejungejunge – da bin ich doch mal froh, dass es die Intensivmedizin gibt. Tapfer bleiben, wir können auf Nathalie warten, schlimmer wäre, wenn wir den Schluss nicht erfahren. Na, das ist doch Ansporn genug, die nächsten Jahre gesund zu bleiben? Ich drück Dir die Daumen!!

Andreas
12 Jahre zuvor

Ich bin offiziell sprachlos. Alles Gute von hier aus . . .

sonne
12 Jahre zuvor

neeee….nich gut ! kopfkino soll weg gehen ! werd bloß schnell gesund…menno !

Designierter Komposti
12 Jahre zuvor

Wieder mal klasse geschrieben, was auch bedeutet, dass Du mit dem Kopf wieder ganz da bist. Geht also aufwärts, Gott sei Dank. Mir ist es beim Lesen allerdings kalt den Rücken runter.

12 Jahre zuvor

Klasse geschrieben… aber mal ehrlich, so was wünscht man doch keinem. Gute Besserung wünsch ich dir.

12 Jahre zuvor

Bewundernswerte Ironie… Aber werd mal lieber gesund, deine „normalen“ Texte gefallen uns (glaube ich) trotzdem allen besser. 🙂

Rena
12 Jahre zuvor

Trotz dem tragischen Hintergrund kann ich mich wegwerfen vor lachen.

Elke ( Fännin )
Reply to  Rena
12 Jahre zuvor

Liebe Rena!

Danke! Ich traute mich nicht das zu schreiben. Unser Tom ist schon ein ganz Großer.

Danke Tom! Gute Besserung.

Astrid
12 Jahre zuvor

Ich glaube man kann mit dem Text die Sache recht gut nachfühlen.

masteraku
12 Jahre zuvor

du wärst der erste literaturnobelpreisträger, mit dem sogar reich-ranicki einverstanden wär.

12 Jahre zuvor

Nett geschrieben, ja. Aber der Inhalt – meine Güte. Ich hoffe, du gesundest auch zur Beruhigung deiner Familie, möglichst schnell.

Ich möchte so etwas nicht erleben. Klingt furchtbar.

Stine
12 Jahre zuvor

Tom, DU sollst nicht dein bester Kunde sein, ja? Also halt dich ran ans gesund werden!

Alles Liebe!
Stine

lya
12 Jahre zuvor

Herrlich dein Schalk!
Erschreckend deine Tortur.

Ich erhebe meinen Pfefferminztee darauf, dass ihr bald gemeinsam zuhause darüber lachen könnt.

Gute Besserung,
lya

Ma Rode
12 Jahre zuvor

Drei Tage war der Frosch so krank, jetzt schreibt* er wieder. Gottseidank!

Wilhelm Busch

*leicht abgewandelt, denn geraucht wird nicht mehr!

Held in Ausbildung
12 Jahre zuvor

Kann mich BigAl und allen anderen nur anschließen… Gute Besserung! Und dann aber kürzer treten!

Knoetchen
12 Jahre zuvor

Da wird der Junge mit der Schippe wirklich verärgert sein, dass du da noch mal runter gesprungen bist.. und die Frau, die behauptet, mit dir verheiratet zu sein, wird sich freuen. 🙂

Tinchen
12 Jahre zuvor

Sag Deiner Frau mal die herzlichensten Grüße, auf der Intensiv liegen ist bestimmt absolute Scheiße, aber den Mann des Herzens da liegen haben ist ein tage- oder wochenlang durchgängiger Horrortrip ohne Pause. Die Angehörigen haben nämlich nicht das Glück in graugrüne Dämmerzustände wegzutreten.
Aus eigener Erfahrung: es schweißt emotional sehr zusammen.

Uli
12 Jahre zuvor

Donnerkeil! Also wenn ich gerade von der Intensiv käme, hätte ich weder den Nerv, noch die Kraft, geschweige denn die Lust, so einen coolen Text zu schreiben. Wie macht Tom das bloß?

Reply to  Uli
12 Jahre zuvor

Ist eine Form des loslassens. DAS muss man erstmal verarbeitet kriegen. Manche weinen, andere fressens in sich rein bis ihnen alles buchstäblich ins Gesicht explodiert. Und wieder andere schreiben drüber.

Mann mann mann…. au weia. Sepsis? oO

Ich kann mich nur wiederholen: Mann hast du ein Schwein gehabt….

Lass MacKaber und Josef noch ein wenig warten, ja?

Hildegard
12 Jahre zuvor

Es ist schön zu lesen, dass es mit der Gesundheit anscheinend weiter bergauf geht. Aber was sollen denn die Äußerungen über die „mopsgesichtige Tochter?“, die auch noch eingetauscht werden soll. – Ich kann es kaum glauben!!!!! Ist das dein Ernst? Als Tochter würde ich das sehr, sehr übel nehmen. Oder ist das so ’ne besondere Art von Familienwitz.

Reply to  Hildegard
12 Jahre zuvor

Hildegard, könntest du bitte ein bisschen weniger offensichtlich trollen? Ja? Danke.

So blöd kann doch wirklich keiner sein, der auch nur 3 Artikel hier gelesen hat….

Hildegard
Reply to  Tante Jay
12 Jahre zuvor

Nö, ich trolle nicht. Ich habe nur anscheinend eine andere Art von Humor. Ich finde das nicht lustig. Und das darf ich wohl auch dann sagen, wenn es anderen LesernInnen nicht gefällt.

biti
12 Jahre zuvor

😀 genial geschrieben, Tom!!

Bin total froh und erleichtert, dass es dir wieder besser geht und du wieder bei Mrs. Undertaker und Co sein kannst- Zuhause ist es doch immernoch am Schönsten 🙂

LG Tabitha




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