Fundstücke

Tod per Video – Wenn der letzte Weg zur Ferndiagnose wird

Ein Vorfall in einem Pflegeheim in Wiener Neustadt (Niederösterreich) sorgt aktuell für Aufsehen: Dort wurde ein Todesfall per Videoanruf und ohne Arzt vor Ort festgestellt. Keine Untersuchung, kein EKG, keine physische Leichenschau. Nur ein kurzer Blick durch die Webcam eines sogenannten Telenotarztes – und das Todesurteil stand. Der Bestatter verweigerte die Abholung, die Entrüstung war groß.

Was sich liest wie ein dystopisches Zukunftsszenario, ist leider Realität in einem der wohlhabendsten Länder Europas – und kein Einzelfall, wie mehrere Quellen berichten.

Der konkrete Fall: “Kein Arzt. Kein EKG. Kein Abschied.”

Der Fall spielt sich an einem Wochenende ab. Der Bestatter wird zur Abholung gerufen, es hieß, alles sei geregelt. Doch beim Eintreffen in der Einrichtung: kein Arzt, keine gültige Todesbescheinigung, kein EKG, keine Spur einer ordnungsgemäßen Leichenschau.

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Stattdessen: Ein kurzer Videoanruf mit einem “Telenotarzt”. Dieser habe anhand der Beschreibung der Pflegekräfte die Todeszeichen “überprüft” – und die Freigabe erteilt. Eine Diplomkrankenschwester, die die Situation miterlebte, äußerte sich erschüttert: „Wir haben nicht einmal ein EKG-Gerät im Haus – und der Arzt zuckt mit den Schultern.“

Bestatter Jörg Bauer, Gründer der Lichtblick Bestattung, spricht von einem „gesundheitspolitischen Totalausfall“ und fordert eine sofortige Reform des Leichenschauwesens:

„Wir brauchen wieder echte Ärzte vor Ort – nicht Telemedizin ohne Herzschlag!“

Gesetzliche Mindeststandards ignoriert?

In Österreich – wie auch in Deutschland – ist die Leichenschau gesetzlich geregelt. Der Tod muss eindeutig festgestellt, die Todesursache beurteilt, und eine Reihe medizinischer Maßnahmen durchgeführt werden (z. B. EKG bei unklarem Kreislaufstillstand). All das dient nicht nur der Feststellung des Todes, sondern auch dem Ausschluss nicht natürlicher Todesursachen, z. B. Suizid, Unfall oder gar Fremdeinwirkung.

Die Totenbeschau ist kein banaler Akt, sie ist medizinische Amtshandlung mit rechtlicher Tragweite – auch für Versicherungen, Erbangelegenheiten oder polizeiliche Ermittlungen. Wird sie unzureichend oder nur virtuell durchgeführt, öffnet das Tür und Tor für Irrtümer, Vertuschungen oder schlicht Respektlosigkeit gegenüber dem Verstorbenen.

Stellungnahme der Behörden: “Alles nach Plan”?

Der Notruf Niederösterreich bestreitet ein Fehlverhalten. Man verweist darauf, dass die Pflegekräfte eine Checkliste mit sicheren Todeszeichen abarbeiten und die Ärzte per Video zugeschaltet würden.

„Die Videozuschaltung ersetzt lediglich die physische Anwesenheit eines Arztes. Die ärztliche Todesfeststellung bleibt erhalten.“

Zudem habe es positive Rückmeldungen aus der Praxis gegeben – von Palliativteams, Pflegeheimen und sogar der Bestattungsinnung.

Doch es bleiben Fragen:

  • Kann ein Blick durch eine Kamera einen Arzt vor Ort wirklich ersetzen?
  • Kann man „kein Puls, keine Atmung“ durch das Mikrofon beurteilen?
  • Was passiert, wenn der Verstorbene möglicherweise doch noch Lebenszeichen zeigt – und keiner merkt es?
  • Ein System in Schieflage?

    Immer häufiger berichten Pflegeheime und Bestatter von Versorgungsengpässen: Kein Notarzt am Wochenende, keine Leichenschauärzte erreichbar. Verstorbene bleiben stunden- oder tagelang ununtersucht, werden ohne Kühlmöglichkeit zwischengelagert, würdelose Zustände inklusive.

    Dabei geht es nicht nur um medizinische Standards, sondern um das, was man in der Palliativversorgung immer als oberstes Ziel nennt: Würde bis zum letzten Atemzug – und darüber hinaus.

    Was heißt das für Deutschland?

    Auch hierzulande kennt man das Problem. Besonders in ländlichen Regionen oder an Wochenenden gibt es Versorgungslücken, bei denen Hausärzte oder Notdienste mit der Leichenschau überfordert oder schlicht nicht greifbar sind. Telemedizin hält auch in Deutschland Einzug – mit Chancen, aber auch mit Risiken.

    Eine klare gesetzliche Regelung, wer den Tod feststellen darf, wie die Untersuchung abzulaufen hat, und wann eine Fernbeurteilung zulässig ist, ist dringend nötig. Sonst droht auch hier ein Abbau wichtiger Schutzmechanismen – und letztlich eine Entwertung des menschlichen Lebens im Tod.

    Fazit: Menschlichkeit statt Ferndiagnose

    Wenn der letzte Moment eines Menschenlebens in einem Videoanruf endet, ohne dass ein Arzt die Hand auf den Puls legt, dann ist nicht nur eine medizinische Grenze überschritten – sondern auch eine ethische.

    Telemedizin kann ergänzen, aber nicht ersetzen.

    Ein würdevoller Abschied braucht Nähe, braucht Sorgfalt, braucht Verantwortung.

    Der Tod verdient mehr als ein Schulterzucken aus dem Callcenter.

    Brauchen wir in Deutschland professionelle Leichenschauer? – Ein Plädoyer für mehr Realitätssinn

    In den USA gibt es sie längst – und das in vielen Bundesstaaten schon seit Jahrzehnten: Die sogenannten Coroner. Es handelt sich dabei nicht zwingend um approbierte Ärzte, sondern um speziell ausgebildete Fachleute, die sich hauptberuflich mit der Feststellung des Todes und den damit verbundenen Aufgaben beschäftigen.

    Warum gibt es so etwas bei uns nicht? Warum klammern wir uns im deutschen Bestattungswesen immer noch an überholte Vorstellungen, wenn es um die Feststellung des Todes geht?

    Die Realität sieht anders aus

    Die Leichenschau in Deutschland ist aktuell ausschließlich approbierten Ärztinnen und Ärzten vorbehalten. Dabei ist es völlig unerheblich, ob diese Ärzte überhaupt regelmäßig mit Todesfällen zu tun haben. Auch ein Augenarzt, ein Hautarzt oder eine Gynäkologin darf eine Leichenschau durchführen. Und das, obwohl viele dieser Kolleginnen und Kollegen naturgemäß wenig bis keine Erfahrung mit gerichtsmedizinisch relevanten Fragen oder Todeszeichen haben dürften.

    Das Ergebnis:
    Viel zu oft läuft die Leichenschau als ungeliebte Pflichtübung nebenher – unter Zeitdruck, am Wochenende oder als medizinische Fremdleistung fern der eigenen Fachkompetenz. Wer in einem Pflegeheim, einem Hospiz oder zu Hause verstirbt, hat manchmal das Pech, dass gerade kein Arzt zur Verfügung steht. Besonders im ländlichen Raum verschärft sich dieses Problem seit Jahren dramatisch.

    Die Lösung: Qualifizierte Leichenschauer auch außerhalb der Ärzteschaft

    Hier ist mein Vorschlag: Warum dürfen nicht auch Bestatter oder andere berufserfahrene Personen die Leichenschau übernehmen, wenn sie dafür speziell ausgebildet und zertifiziert wurden?

    Denn die Leichenschau besteht – bei aller gebotenen Seriosität – in den allermeisten Fällen nicht aus einer medizinischen Detektivarbeit, sondern aus dem systematischen Abarbeiten einer Checkliste:

    • Kein Herzschlag
    • Keine Atmung
    • Totenflecken
    • Leichenstarre

    Das ist keine Zauberei, sondern ein erlernbares, dokumentierbares und kontrollierbares Verfahren. Und genau das machen die Coroner in den USA seit vielen Jahren – mit großem Erfolg.

    Ein Modul in der Bestatterausbildung?

    Warum sollte es also nicht möglich sein, die Ausbildung zur Bestatterin oder zum Bestatter um ein Modul „Leichenschau“ zu erweitern? Oder einen eigenen, neuen Beruf zu schaffen: Den „Leichenschauer“, mit staatlicher Prüfung, vereidigt, kontrolliert und im Vieraugenprinzip tätig.

    Das würde:

    • die Ärztinnen und Ärzte entlasten
    • den ländlichen Raum versorgen
    • die Versorgung rund um die Uhr sichern
    • und den Angehörigen viel unnötige Wartezeit ersparen

    Vier Augen, klare Regeln

    Selbstverständlich muss auch in einem solchen Modell gelten: Bei jedem Zweifel muss der professionelle Leichenschauer den Fall an einen Arzt weitergeben. Immer. Und immer dann, wenn auch nur der leiseste Verdacht besteht, dass die Todesursache unklar ist, muss auf dem Totenschein entsprechend markiert werden.

    Gleichzeitig könnte ein Vieraugenprinzip gelten: Pflegepersonal oder Angehörige bestätigen zusätzlich, dass keine Auffälligkeiten bestanden – dokumentiert, mit Unterschrift.

    Ein Gewinn für alle

    Was wir brauchen, ist ein pragmatischer und verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema. Die allermeisten Menschen sterben nicht unter rätselhaften Umständen, sondern hochbetagt, nach langer Krankheit, in Pflegeheimen oder zu Hause.
    Dafür brauchen wir verlässliche, erreichbare, würdevoll agierende Leichenschauer – keine überlasteten Hausärzte, die auf dem Weg zum Wochenenddienst noch zwischen Supermarkt und Autobahnparkplatz einen Todesfall bestätigen sollen.

    Mein Appell an die Politik, die Ärztekammern und das Gesundheitswesen:
    Lasst uns über moderne, realitätsnahe und menschenwürdige Lösungen nachdenken. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern im Sinne der Verstorbenen, der Angehörigen – und der Fachleute, die Tag für Tag mit dem Tod arbeiten.

    Die Toten haben Respekt verdient. Und die Lebenden eine verlässliche Versorgung.

    Hast Du schon mal Erfahrungen mit der Leichenschau gemacht – positiv oder negativ? Schreibe mir oder teile mir Deine Gedanken in den Kommentaren mit.

    Quellen:

    https://www.carevor9.de/care-regional/oesterreicher-stellen-tod-im-pflegeheim-per-video-fest
    https://www.msn.com/de-at/nachrichten/other/wirbel-in-pflegeheim-tod-per-video-festgestellt/ar-AA1EgJFo

    Bildquellen:
    • leichenschau-oesterreich: Peter Wilhelm


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    Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 25. Mai 2025

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    3 Minuten zuvor

    Hallo, auch wir nutzen als Rettungsdienst im Münsterland den Telenotarzt. Dieser ist jedoch auch mit unserem Monitor ( Blutdruckmessung, EKG, Sauerstoffsätttigung etc.) verbunden und zusätzlich per Kamera und Telefon. Nutzen dürfen diesen Telenotarzt ausschliesslich Notfallsanitäter. Ihn zur Todesfeststellung einzusetzen würde mir nie einfallen, dafür kommt dann der Hausarzt oder der Kassenärztliche notdienst raus.




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