Samstagabend, die heilige Zeit zwischen Tagesschau und „Wort zum Sonntag“. Die ganze Familie hat am späten Nachmittag gebadet, die Mutter hat zum Abendessen ein Hähnchen gebraten. Nein, nicht für jeden eins, sondern für drei Personen eins. Man musste eben ein Stückchen Brot mehr dazu essen, wenn man sehr hungrig war.
Herr Köpcke las die Tagesschau in Schwarzweiß, ganz feierlich, selbst die Bundesligaergebnisse wurden vorgetragen, als hätte sie der Papst auf dem Berg Sinai mitgeteilt bekommen. Dann die Wetterkarte, der Mann der da sprach, tat so, als berichte er vom Kampfschauplatz eines nicht enden wollenden Krieges: Fronten, Sturm, dräuendes Ungemach und alles immer über der Kölner Bucht; ich wußte gar nicht, daß Köln am Meer liegt.
Noch ein paar abschließende Worte von Herrn Köpcke, dann war es endlich Viertel nach Acht.
Dann kam sie, die Ansagerin, heute längst vergessen, von manchen wieder herbeigesehnt und damals ganz wichtig: Eine junge Frau mit hochtoupierten Haaren, oft mit etwas vorstehenden Zähnen und leichtem Silberblick, las in aller Seelenruhe vor, was alles an diesem Abend gesendet würde. Sie nannte jede Sendung, sagte wann sie beginnen würde und um was für einen Beitrag es sich handeln würde.
Es wurde umgeschaltet, das kennt heute auch keiner mehr. Das Senderbild des Norddeutschen Rundfunks stand sekundenlang auf dem Bildschirm, es kam die Sendermelodie.
Wieder eine Ansagerin, dieses mal erzählte sie, was nun kommen wird, wer da alles mitmacht und was genau im nächsten Beitrag alles passieren wird. Mein Vater steckte sich da immer die Zeigefinger in die Ohren und machte „Dummdidelumm“.
Endlich: Der Bildschirm wird kurz schwarz, ein Vorhang ist zu sehen, man hört Stimmengewirr.
Die Kamera zeigt kurz das Publikum, es ist ein Theaterpublikum in einem erstaunlich kleinen Raum, die Männer sehen alle ganz arg alt aus, haben pomadige Haare und Brillen mit breiten dunklen Gestellen, sie tragen Anzüge und Krawatten. Die Frauen haben auch fast alle hochtoupierte Haare, ganz viele von ihnen sind blond.
Es wird dunkel, man sieht wieder den Vorhang, ein Gong ertönt und eine eingeblendete, etwas wackelige Schrift verkündet, daß jetzt ein Schwank aus dem Ohnsorg-Theater gezeigt wird. Das Stimmengewirr des Publikums verstummt.
Der Vorhang geht auf und man sieht in eine blümchentapezierte Wohnküche. Eine Frau betritt die Bühne und ohne daß sie etwas sagen muß -es dauert nur zwei, drei kurze Sekunden, bis das Publikum sie erkannt hat- beginnt das Publikum zu klatschen. Da steht sie leibhaftig auf der Bühne: Heidi Kabel!
Auch Vater und Mutter freuen sich und strahlen. Ohne daß die Frau im Fernsehen irgendetwas gesagt hätte, hat sie ein Lächeln auf die Gesichter der Eltern gezaubert und ich als Kind wage einen Griff in das kleine Schälchen mit den Erdnussflips.
Samstagabend und es läuft das Ohnsorgtheater, mit echter Pause mit Musik zwischen den Akten, zwei Stunden schönes Fernsehen, zwei Stunden abschalten von Arbeit, Schule und Alltag. Zwei Stunden Heiterkeit und ein leichtes Gefühl im Herzen.
Danke liebe Heidi Kabel, danke!
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Meine Güte. Ich selbst bin leider zu Jung um sie so erlebt zu haben, aber auch als Jüngerer Mensch vermisst man wirklich „dieses“, nur aus Erzählungen bekannte Gefühl von Fernsehen.
Danke, Heidi!
Auch wenn ich eigentlich schon zur Generation Internet und Kabel-TV gehöre kann ich mich doch noch gut an die Zeiten erinnern als es nur drei Programme gab. Ohntsorg-Theater oder Willi Millowitsch waren echte Highlights der Fernsehunterhaltung. Ohne Tricks und teure Effekte. Einfach nur Schauspiel.
Schade…
Ich habe sie geliebt als Kind. Das Ohnsorgtheater gehörte zu meiner Kindheit, dafür durfte ich sogar länger aufbleiben. Tratsch im Treppenhaus und so. Tschüß, alte Dame.
… und dreimal besser als Inge Meysel …
Hab sie neulich nochmal in einem älteren Sendung bei Frank Elstners Menschen der Woche gesehen ….
Wir schalten um … hier kann man ein bißchen Nostalgie geniessen:
http://www.wunschliste.de/index.pl?wirschaltenum_08
Bei mir blubbert da die Kindheit wieder hoch.
*seufz*
Fühlt sich an, als wär das 100 Jahre her. Bin ich wirklich schon so alt?
Vielleicht sollte ich mich langsam ma um ’ne Bestattungsvorsorge kümmern :-S
Danke Tom für diesen wunderschönen Beitrag. Besser kann man sich kaum von dieser großartigen Frau verabschieden.
Mir laufen die Tränen.
Ein schöner Abschied. Kommt mir vor, als wären das meine Samstagabende gewesen. Die hochtoupierten Frisuren habe ich zwar nicht mehr live erlebt, aber Ohnsorg-Aufzeichnungen mit meinen Eltern habe ich auch gesehen, so dass Heidi Kabel ein Bestandteil meines Lebens wurde.
Stimmt, ganz genauso war das damals.
Danke für die Zeitreise … und … viele Dankes an Heidi Kabel.
Es waren die wenigen schönen Stunden, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere – alle waren ausnahmsweise friedlich vereint und es gab kein Zank, kein Streit, kein Geschimpfe.
Ein Teller voll Schnittchen und es war so friedlich.
Jo, danke Tom. Genauso wars.
Und danke, Heidi.
Am 1. Januar war das Programm zur Mittagszeit
das Ohnsorg Theater. Mittagessen während eines Angriffs auf die Lachmuskeln. Für meine Eltern war es das Pflichtprogramm schlechthin.
So geht es mir auch immer, wenn ich entdecke. dass wieder einer meiner Theaterhelden, die mich als Kind oft schon als Hörspielsprecher begeistert haben nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Kurt Böwe, Wolfgang Dehler (bei denen ich das große Glück hatte, sie noch auf der Bühne zu erleben), Rolf Ludwig (ich würde einen Tag meines Lebens opfern um einmal eine Aufzeichnung des „Drachen“ mit ihm zu sehen), Klaus Piontek – oder auch Ulrich Mühe.
Heidi Kabel war eine tolle Frau, ich find’s immer schade, dass so wenige Ohnsorg-Stücke auf Platt gesendet werden. Ich spreche diese Sprache (ja, ist ne Sprache, kein Dialekt) ja selbst leider nicht, aber verstehen kann ich das inzwischen sehr gut. Nur von den wenigen Ohnsorg-Stücken, die mal zu Weihnachten laufen.
Sind jetzt eigentlich noch Theaterschauspieler übrig, die man Deutschlandweit kennt und als „Volksschauspieler“ bezeichnen könnte?
@pünktchen: das ist kein Zeitpunkt für Vergleiche
Es hat jede ihr Genre unt ihre Anhänger – und das ist gut so!
Danke, Tom, Du hast mir ein beinahe exaktes Bild in Erinnerung gebracht.
Ja *seufz* schön war´s. Auch gerne noch am Neujahrsmorgen mit dickem Brummfietz ein Ohnsorg-Stück, aber Hauptsache mit Heidi Kabel.
Ich möcht mich auch anschließen: Danke Heidi, machs gut!!!
Danke an „uns Heidi“, Danke!
Du wirst ewig in unseren Herzen bleiben, und nicht nur in unseren Hamburger Herzen.
Du sagtest einmal: „Hamburg ist nicht nur eine Stadt, Hamburg ist ein Lebensgefühl“.
Was machen wir jetzt nur ohne Dich?
Ja Heidi, wir werden weiter machen, mit Dir im Herzen!
Danke Tom für diesen Nachruf.
Hach…. Ohnsorg-Theater, Erdnussflips und Schnittchen…. ist das wirklich schon alles so lange her?
Danke Heidi! Mach’s gut.
Hallo liebe Heidi kabel, redaktion,
in meinem Namen möchte ich mein beileid geben an unsere liebe schauspielerin Heidi Kabel.. ich schicke ganz liebe grüße der verbleibenden Fanilie und möchte gerne sagen dass ich die heidi sehr gerne mochte.es tut mir in der seele leid dass unsere liebe heidi Kabel verstorben ist, ich kenne viele ihrer bühnenshow und ich werde sie sicher sehr vermissen. ich hoffe das Theater wird weiterhin statt finden und das man unsere liebe heidi nie vergessen wird..das tolle bühnenstück,treppenhaus bleibt mir in großer erinnerung,
ich wünsche euch und den familien die jetzt in tiefer trauer sind viel kraft und stärke dies zu überstehen…ich drücke sie ganz lieb und ich würde mich freuen wenn es möglich wäre eine tolle autogram karte mir zu senden die ich sicher in ehren halten würde..
ganz liebe grüße aus dem saarland..
silke schmidt.
ich bete für sie alle…ganz lieb grüße
Nee, nee wirklich, bei dem Wort „Ohnsorg-Theater“ wird mir immer ganz schlecht. Schillernde Gestalten wie Willi Millowitsch oder auch Heidi Kabel haben mir stets unangenehme Gänsehaut und und einen langweiligen Fernsehabend beschert, da gab es nur -> Um (ab)schalten, so fix wie möglich.
Dennoch, die genannten Schaupsieler waren Urgesteine und auch wenn ich sie nicht mochte und sie absolut nicht zu meinen Fernseh-Favoriten gehörten, zolle ich ihnen doch einen gewissen Respekt.
…….und im Theaterhimmel wird die Heide dann von Ihrem alten und längst verstorbenen Freund Willi Milliowitsch begrüßt…..schnüff…..
In Hamburg sagt mach Tschüß… Tschüß Heidi!
Tom,
herzlichen Dank, Du hast einen Samstag Abend beschrieben, wie er genauso auch bei uns abglaufen ist, als ich Kind war – und dabei einen schönen Nachruf auf eine großartige alte Dame geschrieben.
Beste Grüße
Sam
Tom, das hast Du so schön geschrieben! *schnief* Heidi Kabel war wirklich einmalig!
Aber auch als ich gestern – wiederholt – den „Großen Peter Frankenfeld Abend“ gesehen habe, habe ich bemerkt, dass Fernsehen heute echt nichts mehr ist.
Sach mal Tom, ich hab doch garkeinen Bruder, woher weißt du so genau, wie das damals bei uns war 🙂
Aber ich muss gestehen, manchmal bin ich Samstag Abends als kleiner Steppke beim Fernsehen eingeschlafen (auch wenn man sich das nie eingestanden hat – wo man doch schon mal bis 22 Uhr aufbleiben durfte…) – auf der Eckbank natürlich – auf dem „Schässlong“ (der Chaiselongue) lag meine Mutter und mein Vater saß in der ersten Reihe direkt davor auf dem Stuhl 🙂
Danke Heidi!
Danke Tom
gruß, Frank
Vielleicht erinnert sich noch jemand an den Schulfunk des NDR und WDR seit den 50er Jahren.
Dort gab es eine Kultsendung „Neues aus Waldhagen“.
Regelmäßig tauchte dort die Frau Erna des Bauern Piepenbrink auf.
Gesprochen von Heidi Kabel.
Solange man sich an sie erinnert, wenn man sie dort hört (z.B. in der jährlichen Schulfunk-Kultnacht des WDR), solange wird sie nicht vergessen sein.
Bestatterweblogger Tom hat mal wieder einen grossartikel Artikel verfasst. Eine Art Nachruf auf die alten Zeiten und auf die nun verstorbene Heidi Kabel im speziellen. Kennt hier in .at niemand. Heidi Kabel war eine grossartike norddeutsche Volksschauspie
Sehr schön geschrieben, Tom!
Heidi Kabel war ein Teil meiner Kindheit und Jugend. Ich hab sie immer sehr gemocht.
Mit ihr ging eine der „Großen“, eine echte Sympathieträgerin.
Tschüss Heidi. Danke für alles.
danke heidi, ich bin mit dir gross geworden, habe dich kennengelernt und deine familie.
das ist hamburg, das ist meine heimat,das ist heidi
danke, und nen dicken drücker für dich
Wow! Der Text war grad eine Zeitreise für mich. Ich hatte die Programmansagerinnen und den damals typischen Fernsehabend mit Sendermelodie schon fast vergessen. Danke für die schöne Erinnerung. Ich hab früher immer gern mal Theaterstücke im Fernsehen gesehen. Auch so Sachen wie „Der verkaufte Großvater“ und anderes lustiges. Auch mochte ich (immer noch) die damals schon alten Heimatfilme aus den 50ern. Deswegen mag ich Kabel 1, ab und zu kramen die immer wieder mal was schönes aus alten Zeiten aus.