Menschen

Vom Heiligtum zum Ramsch

Ich habe schon mal über dieses Thema geschrieben, aber es beschäftigt mich…
Da sitze ich bei Frau Röschen Hugler und unterhalte mich bei zu starkem Kaffee und nach Parfüm schmeckendem Spritzgebäck über Frau Huglers Vorstellungen bezüglich ihrer dereinstigen Bestattung.
Sie will zu ihrem Kurt ins Grab, das wird aber nicht gehen, denn Kurt liegt in einem Reihengrab, das in zwei Jahren ablaufen wird und verlängern kann man es nicht. Die Oma nimmt das aber gelassen auf, entscheidet sich dann für eine Feuerbestattung und ein anonymes Grab, sie hat niemanden, der danach schauen wird, ihre Kinder leben beide weiter weg.

„Ach, schauen Sie mal“, sagt sie und kramt aus der unteren Schublade des eichenen Altdeutschen ein Fotoalbum heraus. Bilder von einem jungen Mann in Wehrmachtsuniform, ein verliebtes Paar in Schwarzweiß am Hermannsdenkmal, gelblich gewordene Kodak-Abzüge von einem Holland-Urlaub.

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Dann steht sie auf und öffnet die Türen einer Vitrine neben dem Fenster. Lauter Hummelfiguren, für die einen purer Kitsch, für die anderen das Schönste auf der Welt, so auch für Frau Hugler.
Und ihre Mokkatassen. „Sind die nicht hübsch?“
Ach, wenn der Gemütliche vom Bestattungshaus schon so geduldig ist, dann muß man dem auch noch zeigen, daß man immer noch die Bettwäsche von 1939 im Schrank hat. „Gucken Sie mal, alles erstklassige Ware von Strunkmann und Meister aus Bielefeld, das Beste was man kaufen kann, die hält ewig, alles noch von meiner Aussteuer.“
Und viele Devotionalien hat sie, Rosenkränze, Kruzifixe, Ikonen, Weihwasserkesselchen, Gebetbücher…

Frau Hugler liebt diese Kleinigkeiten, sie sind ihr Leben und sie hegt und pflegt sie, sie bedeuten ihr etwas, ja, man kann sagen, sie sind ihr heilig.

Ihre Möbel, die liebevoll gepflegten Teppiche, der ganze Krimskrams, den man auch „Abstauberles“ und „Rumsteherles“ nennt, das sind alles Sachen, die der alten Dame am Herzen liegen.

Es sind anderthalb Jahre vergangen und Frau Hugler ist im Krankenhaus verstorben. Soviel ich weiß, hat sie nicht leiden müssen. Eine Heiratsurkunde oder ein Stammbuch hat die Tochter, die gekommen ist, um alles abzuwickeln, nicht gefunden. „Kommen Sie einfach heute Nachmittag in die Wohnung meiner Mutter, da sortiere ich alles aus und da werde ich das Stammbuch bestimmt finden.“

Nachmittags fahre ich dort hin und vor dem Haus steht ein Container. Aus dem Fenster fliegen die schönen Möbel, zu Brettern zerlegt, in den Container, Männer, die aussehen, als seien sie aus einer Anstalt weggelaufen, schleppen Pappkartons zu einem heruntergekommenen Lastwagen, von dem nur halbherzig die Beschriftung „Edeka“ entfernt worden ist.
Die Tochter finde ich im Wohnzimmer, wo sie due Hummelfiguren in Zeitungspapier wickelt. „Die kann man noch bei Ebay verticken, den ganzen restlichen Plunder hauen wir raus, ist eh nur altes Gelumps.“

Ich bekomme das Familienbuch, verabschiede mich und bin sehr nachdenklich.
Wie schnell wird aus geliebten Gegenständen Müll, wie schnell mutieren Heiligtümer zu ‚Gelumps‘ und wie wertlos werden Wertsachen nur dadurch, daß derjenige der sie wertgeschätzt hat nun tot ist…

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(©si)