Jeder Mensch hinterlässt Spuren auf dieser Welt. Jeder? Nein. Manche Menschlein müssen viel zu früh gehen, so früh, dass sie keine Chance haben, eine Spur zu hinterlassen. Wir nennen sie die Sternenkinder.
Ein Begriff voller Trauer – und voller Liebe
Manche Kinder hinterlassen keine Fußabdrücke im Schnee – aber Spuren in den Herzen derer, die sie erwartet haben. „Sternenkinder“ nennt man jene Babys, die noch vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Es ist ein Begriff, der sich bewusst von nüchternen Formulierungen wie Fehlgeburt oder Totgeburt absetzt – und stattdessen Zärtlichkeit, Würde und Zugehörigkeit ausdrückt.
Der Ausdruck hat sich in den letzten Jahren eingebürgert, vor allem durch die Eltern selbst. Er sagt: Dieses Kind war da.
Es war gewollt, geliebt, ersehnt. Und auch wenn es nur für kurze Zeit auf dieser Welt war – es gehört zur Familie.
Zwischen Medizin und Menschlichkeit
In der medizinischen Fachsprache unterscheidet man nüchtern:
- Fehlgeburt: Tod des Kindes vor der 24. Schwangerschaftswoche oder bei weniger als 500 Gramm Geburtsgewicht.
- Totgeburt: Tod nach der 24. Woche oder bei einem Gewicht ab 500 Gramm.
Doch Eltern, die ein solches Schicksal erleben, trauern nicht um eine Definition, sondern um ihr Kind. Deshalb wird der Begriff Sternenkind so wichtig: Er gibt diesen Kindern einen Namen, eine Identität. Er würdigt ihr kurzes Leben – und die Liebe, die bleibt.
Bestattung und Erinnerung
In Deutschland und Österreich dürfen Sternenkinder unabhängig von Gewicht oder Schwangerschaftswoche bestattet werden.
Das war nicht immer so. Früher galten viele von ihnen als „klinischer Abfall“. Heute erkennen Gesetzgeber, Kliniken und Bestatter zunehmend an, wie wichtig die Trauerarbeit auch bei sehr frühen Verlusten ist.
Viele Eltern geben ihren Sternenkindern einen Namen. Manche lassen sie taufen. Es gibt eigene Gedenkstätten auf Friedhöfen, stille Zeremonien, kleine Särge, Grabsteine mit Sternsymbolen. Auch Gemeinschaftsgräber werden gepflegt – von Gemeinden oder Elterninitiativen.
Warum „Sternenkind“?
Der Begriff „Sternenkind“ spendet Trost. Er gibt Hoffnung auf ein Wiedersehen – irgendwo, irgendwann. Viele Eltern sagen:
„Unser Kind ist nicht weg, es ist nur vorausgegangen.“ Der Stern steht für das Licht, das bleibt. Für das Kind, das da war.
Und für die Liebe, die nicht endet.
Hinweise für Angehörige und Freunde
- Vermeiden Sie Floskeln wie „Das war doch noch kein richtiges Kind“ oder „Ihr könnt ja noch ein neues bekommen“.
- Sprechen Sie den Namen des Kindes aus – wenn er bekannt ist.
- Fragen Sie, wie es den Eltern geht, ohne zu bewerten.
- Seien Sie da – einfach da.
Zum Schluss
Ein Sternenkind ist ein Kind, das viel zu früh gehen musste – und doch für immer bleibt. In der Erinnerung. Im Herzen. Und in den Sternen.
Nach dem Schluß
Ich persönlich habe lange mit dem Begriff „Sternenkinder“ gehadert und hatte meine Schwierigkeiten damit. Das hat mit Erfahrungen zu tun, die ich so ab den 1995er Jahren gemacht habe.
Größere Bekanntheit erlangte diese Bezeichnung erst so ab etwa 2005. Tatsächlich ist er mir aber schon 10 Jahre früher hin und wieder mal begegnet.
Und leider waren es sehr tragische Fälle von extremer psychischer Gestörtheit seitens der betroffenen Eltern, respektive der Mütter, die mir den an und für sich schönen Begriff „Sternenkind“ verleidet haben.
Trauer ist etwas, das man überwinden muss. Trauer ist nichts, was bleiben sollte. Trauer ist immer ein Prozess, der aber irgendwann zum Abschluss kommt. Danach geht das Leben trotz des erlittenen Verlustes in einer Form weiter, die das eigene Leben lebenswert macht.
Es darf nicht so sein, dass die Trauernden die Trauer zum Selbstzweck machen, ihr komplettes restliches Leben davon bestimmen lassen und sich selbst kasteien, indem sie viele Jahrzehnte selbst Leidensdruck für sich aufbauen.
Mein Ratgeber „Wenn die Trauer kommt – so geht sie wieder“ enthält wertvolle Hilfe zu diesem Themenbereich.
In einem besonders extremen Fall ist ein Kind während der Schwangerschaft verstorben. Das war 1995. Das Kind hätte Thorben heißen sollen.1
Die Mutter hat mir damals gesagt, sie versage sich jeden weiteren Gedanken an ein weiteres Kind, sie müsse sich ja um ihr Sternenkind Thorben kümmern. Das nehme sie so in Anspruch, dass sie auch keine Zeit mehr zum Arbeiten habe und sogar die Einkäufe von ihrer Schwiegermutter erledigen lassen müsse, weil sie das zeitlich nicht mehr hinbekäme.
Man muss nicht, wie ich, Psychologe sein, um erkennen zu können, dass hier ein therapeutisches Eingreifen angeraten war. Genauer gesagt …gewesen wäre.
Leider hat sich die Frau nicht helfen lassen. In der Folge hat ihr Mann irgendwann die Reißleine gezogen und sich von ihr getrennt. Sie hat sämtliche sozialen Kontakte eingestellt. Man sah die junge, aber vorzeitig gealterte Frau oft mit einer um den Kopf gelegten Stola über den Friedhof huschen.
Rund einen halben Zentner Spielzeug räumte die Kommune in halbjährlichem Rhythmus von Thorbens Grab. Die Kosten dafür haben einige Freunde und ich getragen. Wir haben alles versucht, um der Frau zu helfen. Aber es ist ungeheuer schwer, jemandem gegen seinen Willen Hilfe angedeihen zu lassen.
Einmal ist es dem getrennt lebenden Ehemann gelungen, die Frau dazu zu bewegen, mit ihm in eine psychiatrische Klinik zu gehen. Der aufnehmende Arzt hielt eine stationäre Behandlung für unbedingt angeraten. Doch die Frau mochte nicht und am nächsten Morgen musste man sie nach Hause entlassen. Ein in der Nacht eingeschalteter Richter hatte sich mit ihr unterhalten und konnte trotz gegenteiliger ärztlicher Diagnose keine Auffälligkeiten feststellen.
Inzwischen ist das Grab des Sternenkinds Thorben, der heute 30 Jahre alt wäre, längst weggemacht worden.
Alle Kindergräber in diesem Feld sind eingeebnet worden, und die neuen liegen in einer anderen Richtung an einer neuen Hecke.
Die Mutter des Sternenkinds Thorben hat sich aber die Stelle genau gemerkt und schmückt nun das Grab eines mit 6 Jahren verunglückten Mädchens mit ihren Liebesgaben aus Plüsch und Plastik.
Das möchten die Eltern des Mädchens nicht. Deswegen gab es schon viel Ärger, bis hin zu Polizeieinsätzen, Gerichtsverhandlungen und Betretungsverboten…
„Aber ich habe doch ein Sternenkind!“, bekommt man als Antwort, spricht man die Frau darauf an. Aus der netten Mittzwanzigerin ist eine verhärmte Mittfünfzigerin geworden, die extrem krank an Körper und Geist ist. Mir tut diese Frau unendlich leid.
Inzwischen habe ich meinen Frieden mit dem Wort Sternenkind gemacht und sehe, wie sehr der Begriff für betroffene Menschen hilfreich sein kann.
- sternenkinder: Peter Wilhelm
Fußnoten:
- (Name natürlich geändert) (zurück)
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Sternenkind, sternenkinder
Wir haben in der weiteren Familie auch ein Sternenkind… klar darf man sich erinnern, klar sind Monate der Vorfreude, des Bangens und der Trauer mit diesem Kind verbunden… Aber ich halte es auch für absolut falsch noch jahrelang das Grab jede Woche zu besuchen… mittlerweile sind zwei weitere Kinder da, diese verdienen nun die Aufmerksamkeit… Ich will der Mutter da aber nichts vorschreiben, ich habe das Gefühl sie gefällt sich in der Rolle… etwas befremdlich finde ich dieses Verhalten trotzdem. Ich bin da vielleicht einfach anders gestrickt, ich besuche auch nicht die Gräber der Großeltern, mir gibt das nichts… Ich denke oft an sie, verdrücke hier und da in einer stillen Stunde ein Tränchen, aber dann ists auch gut.
Ich wage aber auch keine Prognose wie es mir letztlich geht wenn meine Eltern tot sind, oder gar eines unserer Kinder… es ist, wie man so sagt, unvorstellbar…