Geschichten

Wenn ER noch da wäre

Sandy frotzelt herum: „Der läßt sich das jetzt alles betonieren und dann streicht der das grün an!“
Gemeint ist Nachbar Nasweis-Lästig, der seit heute Morgen Bauarbeiter in seinem Garten werkeln läßt.
Die gesamte obere Erdschicht des großen Rasens hinter seinem Haus ist schon letzte Woche abgetragen worden und jetzt ist man dabei, dort Knochensteine in ein Sandbett zu verlegen.
Das geht schneller als man denkt, denn da liegen keine Pflasterer auf den Knien und hämmern einzelne Steine mit einem Gummihammer fest, sondern da wird gleich von der Palette ein ganzer Quadratmeter auf einmal mit so einem Hubwagen gegriffen und an Ort und Stelle verlegt. Etwas rütteln, etwas klopfen und schon paßt es.

Seit zwei Stunden röhrt eine Rüttelmaschine über die neuen Knochensteine und verursacht einen ungeheuren Lärm; mein Kopf dröhnt, ich habe Kopfschmerzen. Frau Büser hat sich Watte in die Ohren gesteckt, bei Sandy sieht man die Kabel ihrer MP3-Kopfhörer unter den langen Haaren verschwinden und Antonia schwört darauf, daß das Kaugeräusch, das beim Zerbeißen von Puddingkrapfen entsteht, sowieso alles andere übertönt.

Manni beschwert sich, weil im Keller alles vibriert und im Grunde sind wir froh, daß wir an diesem Tag keine Trauerfeier haben.
Als gegen 14 Uhr Frau Büser in mein Büro kommt und Bescheid sagt, daß in Kürze Angehörige wegen eines neuen Sterbefalls vorbei kommen wollen, gehe ich zu Nasweis-Lästig rüber.
Der pensionierte Oberschlesienrat trägt einen gelben Bauhelm und rote Gehörschützer und mißt mit einem ebenso gelben Zollstock nach, ob die Arbeiter auch sauber und exakt gearbeitet haben.

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Erst als der kleine Schnauzbart an der Rüttelmaschine mal kurz Pause macht, gelingt es mir, verbal Kontakt zu Nasweis-Lästig aufzunehmen.
Ich erkläre ihm, daß wir bald Kunden haben werden und es mir angenehm wäre, wenn man dann mal für 20 Minuten Ruhe haben könnte.

Der Alt-88er winkt ab. „Werter Nachbar, ihre Sorge ist, wie mir scheint, von Unnötigkeit begleitet. Wir sind sowieso in 7 Minuten und 28 Sekunden fertig“, sagt er und tippt mit seinem Bleistift auf sein Schreibbrett. Dann ruft er dem Schnauzbart zu: „Noch 7 Minuten und 26 Sekunden rütteln!“

Brrrrr, brrrraaaaaaa, brrrrrrr….

Nasweis-Lästig zieht mich zur Seite und will mir irgendetwas erzählen, aber ich bin in der Kunst des Lippenlesens nicht sonderlich gut bewandert. Es ist wie bei den zu engen Leggins, man sieht wie sich die Lippen bewegen, aber man hört nichts…
Der Rüttler übertönt alles.
Mein Nachbar merkt das, gibt mir ein Handzeichen, das wohl bedeuten soll, daß ich ihm folgen möge und wenig später pflanzt er einen grünen Bauhelm auf meinen Kopf.
„Ist Vorschrift!“ brüllt er und blättert einige Seiten auf seinem Schreibbrett durch, um mir zu zeigen, daß er auch eine Kopie der Sicherheitsvorschriften stets am Mann trägt.

Ich denke gerade noch darüber nach, wogegen mich ein Helm schützen sollte, wo doch die gesamten Arbeiten unter mir auf dem Boden stattfinden, da erstirbt plötzlich das Geräusch der motorbetriebenen Rüttelmaschine mit meinem finalen Meck-Meck-Mopf und es ist Ruhe.

Wegen seiner Gehörschützer brüllt Nasweis-Lästig mich dennoch an: „Wegen dem Boden!“

Ich tippe klopfend auf seine roten Ohrenschützer aus Plastik und er nickt, nimmt sie ab und wiederholt weniger laut: „Es ist nur wegen dem Boden.“

„Wegen des Bodens“, berichtige ich den alten Studienrat, der sofort irgendetwas mit seinem Bleistift notiert. Wahrscheinlich hat er mir eine gute Note gegeben.

„Was machen Sie hier überhaupt?“ frage ich ihn.

„Fuchsbandwurm!“

„Was?“

„Fuchsbandwurm!“

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Ich habe Fuchsbandwurm.“

„Meine Güte, dann gehen Sie doch zum Arzt, lassen Sie sich durchspülen oder was man in solchen Fällen so macht.“

„Ich habe ihn ja nicht in meinem Körper, sondern auf meinem Grundstück.“

„Ach was!“

„Doch! Ich sah neulich erst einen Reineke hier durch die Stauden staksen und da war mir klar, daß er meine wundervollen Himbeeren mit dem Exkremente verdürbe.“

„Was?“

„Der Fuchs hat mir auf die Himbeeren geschissen!“

„Ich habe das mit den Exkrementen schon verstanden.“

„Ja und weil Füchse alle tollwütig sind und den Fuchsbandwurm übertragen, lasse ich die Vegetation nun entfernen und durch pflegeleichtes Pflaster ersetzen. Erst hier die eine Seite, dann die andere. Ich habe mir schon einen Hochdruckreiniger angeschafft, mit dem ich dann mein sauber gepflastertes Grundstück abstrahlen kann, wann immer der Reineke des Streunens sich erdreistete.“

„Sie müssen einen Fuchs fangen, ihn meucheln und an ein Kreuz nageln“, sage ich, um den Alten zu foppen, „das hält seine Artgenossen fern.“

Ein Leuchten geht über das Gesicht meines Nachbarn und er macht sich wieder Notizen. „Erst meucheln und dann kreuzigen? Oder kann man ihn auch am Kreuz sterben lassen?“

„Aber, Herrn Nasweis-Lästig, das war doch nur ein Scherz, lassen Sie um Himmels Willen die Füchse in Ruhe. Wir leben hier inmitten der Großstadt, ich habe hier noch nie einen Fuchs gesehen. Vielleicht war es ein Kaninchen oder eine dicke Ratte…“

„Kaninchen, Ratte…“, sagt er langsam, während er sich auch das aufschreibt. „Früher war alles besser“, fügt er noch hinzu und mit gesenkter Stimme sagt er: „Wenn ER noch da wäre, dann würde ich mein K98 aus dem Keller holen und die vierbeinigen Fruchtfrevler einfach über den Haufen schießen.“

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(©si)