Branche/Kommune

Wie gehen Bestatter mit den besonderen Belastungen um?

Bestatter im Einsatz

Es gibt Berufe, die mitunter Grausames, Hässliches und Erschreckendes mit sich bringen. Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehr, Ärzte, Pflegende und auch Bestatter gehören dazu. Die Durchschnittsbürger gehen oft davon aus, in solchen Berufen arbeiteten vorwiegend rauhe Gesellen, hartgesottene Gemüter und grobschlächtige Stiernacken.

Die Tatsache, dass in all diesen Berufen auch Frauen beschäftigt sind, ist ein erstes Indiz dafür, dass dem in Wirklichkeit nicht so ist. Das soll nicht heißen, dass nicht auch Frauen rauh, grobschlächtig und hartgesotten sein können.

Allein schon der Umgang mit Verstorbenen ist eine Herausforderung, der sich nicht jeder stellen kann. Wenn ich nur daran denke, wie sich manche anstellen, wenn von einer Leiche nur die Rede ist. Da schüttelt man sich, man erzeugt künstlich Würgegeräusche, wendet sich ab, verzieht das Gesicht und geht auf Distanz. Ich glaube, das ist in den meisten Fällen übertrieben, gespielt und gekünstelt. Käme es darauf an, würden viele dann doch mit einer solchen Situation umgehen können.

Werbung

Die schlimmsten Herausforderungen bieten Leichen, die nicht mehr intakt sind.
Ich wurde einmal Zeuge eines Unfalls, bei dem ein BMW mit über 100 Sachen nahezu frontal auf einen Audi-Kombi mit ebenfalls hoher Geschwindigkeit aufgeprallt war.
Der Audi war bis zur Hälfte komplett eingedrückt. Der Bereich, in dem der Fahrer saß, war bis auf die Rückbank geschoben. Da haben auch die Airbags nicht mehr helfen können. Dem BMW war die gesamte Frontpartie regelrecht abrasiert worden. Der Motorblock lag anschließend fast 100 Meter entfernt.

Sofort rannten rund 20 Helfer zu den Fahrzeugen, doch jeder, der dort ankam, wandte sich nach nur einem Blick ab. Sagen wir es so: Beide Fahrer hatten Verletzungen erlitten, die mit dem Leben nicht vereinbar waren.

Solche Verstorbene müssen ja auch geborgen werden. Auch Menschen, die in suizidaler Absicht Bahngleise betreten, von Brücken auf Bahnoberleitungen springen oder Opfer von schlimmen Unfällen werden, müssen ja von Rettungsdiensten und Bestattern „behandelt“ werden.

Darüberhinaus gibt es dann noch die Verstorbenen, deren Tod lange unbemerkt geblieben ist. Man müsste meinen, dass in einer so meldeeifrigen und obrigkeitsdienernden Gesellschaft wie der unseren das Verschwinden eines Menschen von der Bildfläche sofort zu Nachfragen führt.
Aber nein, dass da jemand seit Wochen „abgängig“ ist oder schon seit Monaten, wird manchmal erst bemerkt, wenn Ungeziefer und Geruchsbelästigung im Haus zu groß werden. In einem mir bekannten Fall hatte sich bei einer Familie im Wohnzimmer an der Decke über drei Monate ein dunkler feuchter Fleck gebildet. Auf die Idee, dass obendrüber ein Toter langsam in seine Bestandteile zerfällt, ist niemand gekommen. World of Warcraft war wichtiger.

In einem Haus ging eine junge Frau jeden Morgen fast zur gleichen Zeit auf ihren Balkon, um mit den Dächern der Stadt im Hintergrund als Kulisse Beiträge für ihren Instagram-Kanal aufzuzeichnen. Modetipps, Schmink-Tutorials und banales Gerede über ach so tiefgreifende Bedeutung ihrer Tätowierungen waren ihre Themen. Dass vom Nachbarbalkon ein süßlich-widerlicher Geruch herüberwehte, weil hinter der spaltbreit geöffneten Balkontür eine dicke alte Frau ihre Fahrkarte zu Mannitu gelöst hatte, hatte unsere Influencerin zwar mitbekommen, es hatte sie aber einfach nicht interessiert. „Woher sollte ich denn wissen, dass das die Rentnerin war? Hätte ja auch irgendein Tier sein können, ein Hund oder ein Spatz, keine Ahnung!“

Wir wollen aber noch die Leute erwähnen, die in Krankenhäusern, Altenheimen und in Krematorien oder auf Friedhöfen tagtäglich mit Verstorbenen zu tun haben. All diesen Berufen, zusammen mit den eingangs genannten, ist es gemein, dass der Umgang mit Toten dazugehört; und die sind nun mal eben nicht alle immer friedlich eingeschlafen.

Zwischen Härte und Menschlichkeit

Was diese Berufe verbindet, ist nicht eine besondere Lust am Grauen, sondern die Fähigkeit, trotz des Schrecklichen handlungsfähig zu bleiben. Es geht nicht darum, „abgehärtet“ zu sein oder das Gesehene spurlos an sich abprallen zu lassen. Vielmehr braucht es eine Mischung aus Professionalität, Empathie und Selbstschutz.

Wer täglich mit Tod, Leid oder Zerstörung zu tun hat, muss Strategien entwickeln, um seelisch gesund zu bleiben. Manche setzen auf Teamgespräche, andere auf professionelle Supervision oder die Unterstützung von Kriseninterventionsteams. Auch der Austausch unter Kolleginnen und Kollegen ist wichtig, weil nur sie wirklich nachvollziehen können, wie es sich anfühlt, wenn man gerade von einem besonders belastenden Einsatz kommt.

Belastung sichtbar machen

In der Öffentlichkeit wird oft übersehen, dass Bestatter, Rettungskräfte oder Polizisten und die anderen oben Genannten nicht unerschütterlich sind. Auch sie nehmen Bilder mit nach Hause, haben Albträume oder tragen die Last dessen, was sie gesehen haben, lange mit sich herum. Der Unterschied liegt darin, dass sie gelernt haben, ihre Arbeit trotzdem zu tun.

Die wichtige Arbeit der Krisenhelfer

KIT, Polizeipsychologen und Notfallseelsorge: Helfer für die Helfer

Wenn Menschen Schreckliches erleben – sei es ein plötzlicher Unfalltod, ein Suizid oder ein Gewaltverbrechen – geraten nicht nur Angehörige an ihre Grenzen. Auch die Einsatzkräfte, die täglich mit Leid, Tod und Extremsituationen konfrontiert werden, brauchen Unterstützung. Hier kommen das Kriseninterventionsteam (KIT), Polizeipsychologen und die Notfallseelsorge ins Spiel.

Das KIT wird oft direkt zu Betroffenen gerufen, um in den ersten Stunden nach einem traumatischen Ereignis psychologische Erste Hilfe zu leisten. Doch ihre Arbeit endet nicht beim Beistand für Angehörige – auch Feuerwehrleute, Rettungskräfte oder Bestatter können auf diese Unterstützung zählen, wenn ein Einsatz sie übermäßig belastet hat.

Polizeipsychologen sind speziell für die seelische Gesundheit von Beamtinnen und Beamten zuständig. Sie helfen nach besonders traumatischen Einsätzen, sorgen für Entlastungsgespräche und unterstützen dabei, mit dem Gesehenen weiterleben zu können. Gerade bei Fällen mit Kindern, schweren Unfällen oder Gewaltverbrechen ist ihre Arbeit von unschätzbarem Wert.

Die Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger – meist Pfarrer oder kirchlich ausgebildete Laien – sind ebenfalls rund um die Uhr abrufbar. Sie spenden Trost, begleiten in den ersten Stunden der Trauer und sind auch für Einsatzkräfte da. Viele Bestatter berichten, wie wertvoll es ist, nach belastenden Situationen jemanden zum Reden zu haben, der nicht urteilt, sondern zuhört und auffängt.

Diese Menschen im Hintergrund sorgen dafür, dass die Helfer nicht selbst zerbrechen. Ihre Arbeit ist still, aber lebenswichtig – und sie trägt dazu bei, dass unser System aus Rettung, Polizei und Bestattungswesen menschlich bleibt.

Wie gehen Bestatter mit den besonderen Belastungen durch Leichen um?

Strategien im Umgang mit Belastungen im Bestatterberuf

Der tägliche Umgang mit Verstorbenen ist für Bestatter eine enorme Herausforderung. Besonders dann, wenn es sich nicht um friedlich Verstorbene handelt, sondern um Opfer schwerer Unfälle, Suizide oder lange unbemerkt Verstorbene. Um diesen Belastungen standzuhalten, haben sich verschiedene Strategien etabliert, die sich in der Praxis immer wieder bewähren.

Eine der wichtigsten ist Humor – oft auch in Form von Galgenhumor. Er mag Außenstehenden unpassend erscheinen, wirkt im Team aber als Ventil und baut Anspannung ab. Ebenso hilfreich ist Ablenkung: Sport, Musik oder Gartenarbeit schaffen Abstand zum Erlebten. Viele Bestatter betonen, wie wichtig es ist, belastende Eindrücke durch gemeinsam Erlebtes und Gespräche zu verarbeiten. Ob bei einer Nachbesprechung im Büro oder bei einer Tasse Kaffee – das Teilen der Eindrücke verhindert Vereinsamung.

Ich finde es auch wichtig, nicht jeden Fall zu nah an sich heranzulassen. Professionelle Distanz bedeutet, sich auf die fachlichen Aufgaben zu konzentrieren – etwa auf die hygienische Versorgung oder die sichere Dokumentation – und die persönliche Tragik nicht ins Zentrum zu stellen. Dabei helfen Routine und feste Abläufe, die Sicherheit geben und emotionale Überforderung verhindern.

Mit der Zeit gewöhnen sich viele an die Eindrücke. Sich daran gewöhnen heißt nicht, gefühllos zu werden, sondern mit Erfahrung ruhiger und sachlicher reagieren zu können. Dabei spielt auch die Trennung von Beruflichem und Privatem eine zentrale Rolle. Wer die Arbeit bewusst im Betrieb lässt und nicht ins Familienleben trägt, schützt sich vor dauerhafter Belastung. Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, was ich schon häufiger hier im Bestatterweblog.de geschrieben habe: Diejenigen die sich bei mir vorstellten und die sagten, ihnen würde das alles nichts ausmachen, sind meistens am nächsten Tag schon nicht mehr wiedergekommen. Aber die, die eher etwas ängstlich waren und Respekt vor der Aufgabe hatten, konnten in fast allen Fällen eine gute Basis für sich finden und sind am besten mit den schwierigsten Situationen klargekommen.

Einige finden Rückhalt im Glauben, sei es durch ein Gebet oder das Vertrauen darauf, dass der Verstorbene „in Gottes Hand“ ist. Andere setzen auf Abreagieren – etwa beim Sport, an einem Boxsack oder beim lauten Musikhören. Auch Supervision und psychologische Hilfe sind bewährte Wege, um extreme Einsätze zu verarbeiten: Notfallseelsorge, Polizeipsychologen oder KIT-Debriefings stehen hier als professionelle Unterstützung zur Verfügung.

Nicht minder wichtig ist die Selbstfürsorge. Ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, bewusst geplante Pausen und Erholung schützen langfristig. Manche schaffen sich kleine Rituale, um Fälle bewusst abzuschließen – etwa indem sie nach einem Einsatz die Hände waschen, eine Kerze entzünden oder einen Moment still verweilen.

Auch Fortbildung und Wissen helfen, Belastungen zu reduzieren: Wer die körperlichen Veränderungen nach dem Tod kennt oder rechtliche Abläufe beherrscht, ist weniger von Unsicherheit geplagt. Schließlich spielt die Teamkultur eine enorme Rolle. In Betrieben, in denen Solidarität herrscht, niemand allein gelassen wird und man füreinander einspringt, lassen sich auch die schwersten Einsätze gemeinsam tragen.

Das Wichtigste ist, dass man mit den Belastungen nicht allein bleibt. Das Beste ist es immer, das Gespräch zu suchen.
Aber auch die Strategien, die sich über die Jahre bewährt haben, Humor, Gespräche, Distanz, Wissen, Selbstfürsorge und Teamgeist bilden wichtige Säulen einer gesunden Berufsidentität.

Strategie Beschreibung Beispiele aus der Praxis
Humor „Galgenhumor“ oder situative Witze helfen, Anspannung abzubauen. Am Einsatzort kurze, flapsige Bemerkungen im Team, um die Stimmung zu entkrampfen. Das geht nie auf Kosten des Toten.
Ablenkung Nach belastenden Einsätzen bewusst andere Tätigkeiten suchen. Sport, Kochen, Gartenarbeit, Musik, Serie schauen. Online-Spiele, Kneipenbesuch, Autofahren.
Gemeinsam Erlebtes Teamgefühl stärkt – das Teilen des Erlebten verhindert Vereinsamung. Nachbesprechung bei Kaffee, gemeinsam schweigen und präsent sein.
Gespräche Austausch mit Kollegen, Freunden oder Familie über Erlebnisse. „Weißt du noch, wie heftig das war?“ – verstanden fühlen statt allein grübeln.
Nicht jeden Fall an sich heranlassen Emotionale Distanzierung, ohne gleichgültig zu werden. Sich klar machen: „Es ist nicht mein Angehöriger“; Fokus auf Aufgabe.
Professionelle Distanz Konzentration auf fachliche Schritte statt auf die Tragik. Hygienische Versorgung, Dokumentation, sichere Abläufe priorisieren.
Routine Wiederkehrende Abläufe schaffen Sicherheit und nehmen Angst. Standardisierte Checklisten, feste Reihenfolge bei Bergung/Versorgung.
Sich daran gewöhnen Mit der Zeit werden Eindrücke weniger überwältigend. Erste Unfallbergung schockiert, später ruhiger, sachlicher Umgang.
Berufliches und Privates trennen Klare Grenzen verhindern, dass Belastung nach Hause „mitreist“. Dienstkleidung im Betrieb lassen, keine Einsatzdetails beim Abendessen.
Rückhalt im Glauben Religiöse/spirituelle Deutung kann Trost und Sinn geben. Kurzes Gebet, „Der Verstorbene ist in Gottes Hand“. Gespräch mit Gleichgesinnten/Seelsorgern.
Abreagieren Spannung durch körperliche Aktivität oder Ventile lösen. Joggen, Boxsack, laute Musik, kreatives Schreiben.
Supervision / psychologische Hilfe Professionelle Begleitung nach schweren Einsätzen. KIT-Debriefing, Polizeipsychologe, Notfallseelsorge, Therapie-Angebote.
Selbstfürsorge Achtsamkeit, Schlaf, Ernährung, bewusste Erholung. Feste Ruhezeiten, Pausenregeln, Wochenend-„Digital Detox“.
Rituale Persönliche Handlungen zum bewussten Abschließen eines Falls. Hände waschen als „Übergangsritual“, Kerze entzünden, kurzer Moment der Stille.
Fortbildung & Wissen Fachkenntnis reduziert Unsicherheit und Katastrophisieren. Schulungen zu Postmortem-Veränderungen, Recht, Hygiene, Eigenschutz.
Teamkultur & Unterstützung Solidarische, offene Kultur schützt vor Überforderung. „Niemand bleibt allein“–Regel; kollegiales Einspringen, Mentoring.

Fazit

Bestatter brauchen keine dicken Häute, sondern einen klaren Kopf, ein stabiles Umfeld und die Fähigkeit, zwischen Nähe und Distanz zu balancieren. So bleibt bei aller Professionalität die Menschlichkeit erhalten – und genau die ist in diesem Beruf unverzichtbar.

Bildquellen:

  • bestatter-im-einsatz: Peter Wilhelm

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#Bestatter Belastungen #Humor im Bestatterberuf #Notfallseelsorge Bestatter #professionelle Distanz Bestatter #psychische Belastung Bestatter #psychische Gesundheit im Bestattungsgewerbe #Strategien Bestatter #Stressbewältigung im Bestattungswesen #Trauerarbeit Bestatter #Umgang mit Verstorbenen

Lesezeit ca.: 14 Minuten | Tippfehler melden


Das Bestatterweblog informiert und unterhält – ganz ohne Google- oder Amazon-Werbung

1,4 Millionen Besucher im Jahr, aber nur etwa 15 spenden. Dabei kostet der Betrieb rund 20.000 € jährlich. Wurde Dir hier schon geholfen? Hattest Du etwas zu lachen? Dann sei eine der seltenen Ausnahmen und gib etwas zurück. Schon 5 € – der Preis einer Tasse Kaffee – helfen weiter. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)